Debatte Wahlkämpfe: Personen statt Programme
Weil die Parteien sich immer weniger unterscheiden, werden auch in Deutschland die einzelnen Kandidaten immer wichtiger. Wie in den USA.
D er Wahlkampf in Deutschland wird in den nächsten Jahren immer stärker amerikanische Züge annehmen. Amerikanische Wahlkämpfe sind Personenwahlkämpfe, in denen der einzelne Kandidat versucht, Stimmen aus ganz unterschiedlichen Lagern zu bekommen und dabei gezielt diese Lager umwirbt. Dies gilt in den USA nicht nur für die Präsidentschaftskandidaten, sondern auch für einzelne Kongress- oder Senatsabgeordnete. Da die Bindung der Wähler in den USA an die Parteien sehr gering ist und der Wähler sich für Parteien insgesamt wenig interessiert, muss der Wähler bei jeder Wahl erneut vom Kandidaten direkt gewonnen werden.
Vor der Bundestagswahl 2009 war dieser Trend auch in Deutschland zunehmend zu beobachten. Auch bei dieser Bundestagswahl ist es einigen Ministern gelungen, Stimmen aus anderen politischen Lagern zu mobilisieren, sodass sie im Endergebnis weit vor ihrer Partei lagen. Gleiches gilt für einzelne Abgeordnete. Ein vor der Partei liegender Einzelkandidat kann auch die Ergebnisse seiner Partei verbessern. Manch ein Wähler entscheidet sich, den Kandidaten nicht nur mit seiner Erststimme zu belohnen, sondern wählt dann auch dessen Partei, obwohl er dieses bei einem anderen Kandidaten nicht getan hätte. Der Kandidat zieht dann die Partei nach. Bei einem schwachen Kandidaten kann er auch der Partei die Stimme kosten, er zieht die Partei nach unten.
Die Bedeutung der Kandidaten wird in Deutschland aus drei Gründen weiter zunehmen. Erstens werden die für den Wähler erkennbaren ideologischen Unterschiede zwischen den Parteien immer geringer. Die rechten bürgerlichen Parteien rücken zur Mitte nach links, und die linken Parteien rücken zur Mitte nach rechts. Dies wird auch bei der Linkspartei zu beobachten sein, und zwar in dem Umfang, in dem sie an Regierungsbündnissen mitarbeitet oder auch nur Interesse bekundet. Ohne pragmatischen Abschied von einigen radikalen Positionen wird die Linkspartei zur Daueropposition und würde viele Hoffnungswähler verlieren. In der Opposition ist sie außerdem schwerer unterscheidbar von der SPD und den Grünen, sodass das linke Lager amorpher wird.
Karl Lauterbach, geboren 1963 in Düren, ist Professor für Gesundheitsökonomie und Sozialexperte der SPD. Seit 2005 sitzt er im Bundestag. Bei Rowohlt Berlin veröffentlichte er im März 2009 das Buch "Gesund im kranken System - ein Wegweiser".
Der Trend geht somit wahrscheinlich zu fünf Parteien, die sich immer weniger unterscheiden und die in ihrer Größe irgendwo zwischen Volksparteien und kleinen Parteien schwanken. Diesen Trend sieht man bereits heute in fast allen Großstädten wie etwa in Berlin, Hamburg oder Köln. Die CDU profitiert zwar heute noch von einem politisch relativ unbeweglichen Anteil von Rentnerwählern, deren politische Prägung noch aus der Zeit von Konrad Adenauer stammt, diese im Durchschnitt bereits heute über 70 Jahre alten Wähler werden aber in den nächsten zehn Jahren zu einem großen Teil versterben. Bei keiner einzigen jüngeren Wählergruppe ist die CDU noch eine Volkspartei, die auch nur mehr als 30 Prozent der Wähler gewinnen könnte. Die SPD kann nur im Westen die Größe einer Volkspartei halten, wenn sie dort die Linkspartei klein hält. Dazu benötigt sie einen strategischen Diskurs, der nicht hier geführt werden kann.
Zweitens nimmt das Interesse der Bevölkerung an Parteien und ihren Programmen wie in den USA grundsätzlich ab, das an den politischen "Stars" aber zu. Zu Guttenberg und von der Leyen sind gute Beispiel dafür, wie der "Coolnessfaktor" eines Kandidaten wesentlich wichtiger werden kann als das, was er über die Partei denkt und umgekehrt. Medien berichten über ganze Seiten und Sendungen hinweg über Personen, aber nur über wenige Zeilen oder Sekunden über Programme, weil dies den Bürger nicht mehr interessiert.
In der SPD war es Gerd Schröder mit seiner Agenda, der glaubte, man würde vom Wähler dafür belohnt, wenn man heldenhaft das Unvermeidliche als sein persönliches Programm verklärt, statt es geschehen zu lassen und so viel wie möglich dem politischen Gegner zuzuschreiben. Bis heute kämpft die SPD mit den Folgen dieser Aktion. Franz Müntefering hat bei der Rente mit 67 einen letzten Versuch unternommen, mit dieser "Strategie" durchzukommen, auch ohne Erfolg. Werden die Programme kleinlauter, müssen die Personen farbiger und lauter werden. Genauso ist die Union bei der Bundestagswahl vorgegangen. Steuersenkungen plus Kandidatin, das klassische amerikanische Programm also.
Der dritte Grund liegt darin, dass die Kompetenz der Parteien sogar zunehmend von der Kompetenzzuschreibung ihrer Spitzenkandidaten abgeleitet wird. Diese muss aber auch medial erst aufgebaut werden. Kein noch so gutes familienpolitisches Programm gilt als kompetent, wenn selbst die Parteimitglieder den Namen der familienpolitischen Spitzenkandidatin nicht nennen können, wie mir dieses bei vielen eigenen Wahlveranstaltungen widerfuhr.
Die gezielte Mobilisierung von potenziellen Wählern nach dem amerikanischen "Get out the vote"-System ist indes gerade für die Sozialdemokratie besonders schwierig. Die Grundidee ist die Konzentration des Wahlkampfs auf jene Wähler, die für die eigene Partei noch bereit sind zu stimmen, aber nicht zur Wahl gehen. Stichwort ist hier die Kombination guter prozentualer Ergebnisse und geringer Wahlbeteiligung in der Vergangenheit. Bei eigenem Einsatz dieser Methode zeigte sich aber, dass diese Bereiche fast immer auch gute Ergebnisse für die Linkspartei bringen, für die man quasi mitmobilisiert. Die Wähler der Linkspartei sind für SPD Kandidaten aber besonders undankbar, weil sie für die Abgabe ihrer Erststimme an einen SPD-Kandidaten fast nie bereit sind. Für einen Direktkandidaten der SPD ist die Stimme für die Linkspartei fast immer ein Totalverlust. Ein Bundestagswahlkampf für Rot-Rot-Grün könnte daher für die SPD leicht zum Fiasko werden, weil er das Lager der SPD-Wähler spalten und gleichzeitig für die Union und die Linkspartei mobilisieren könnte.
Was man aus diesen Überlegungen strategisch macht, gehört nicht in eine Zeitung. Auch muss klar sein, dass man ein gutes Programm braucht und das politisch und moralisch Richtige tun muss, auch wenn es Opfer kostet. Die Aufgabe muss aber für die SPD gemeistert werden, eine Skandinavisierung unserer Bildungs- und Sozialpolitik im Lichte einer Amerikanisierung der Wahlkämpfe durchzusetzen.
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