Debatte Urheberrecht: Der prekäre Content
Die Debatte über das Urheberrecht ist nur ein Symptom. Worum es geht, ist der Wert von Arbeit in der Wissensgesellschaft. Nicht Inhalte werden bezahlt sondern deren Verwaltung.
M alte Welding ist einer der vielen Schriftsteller, die den Wir-sind-die-Urheber Aufruf nicht unterschrieben haben. „Wir führen eine Scheindebatte, wenn wir über das Urheberrecht reden. Wir müssen über Geld reden“, schrieb Welding jüngst in der FAZ und schilderte stilsicher die wohlbekannt hundsmiserablen und paradoxen Arbeitsbedingungen als freier Autor.
Dass das staubtrockene Urheberrecht plötzlich diskursiv so hohe Wellen schlagen kann, liegt daran, dass mit ihm noch ganz anderes verhandelt wird als nur Autorenrechte oder sogenanntes geistiges Eigentum. Die Debatte spiegelt symptomatisch eine generelle Unsicherheit über den Wert geistiger Arbeit in der Wissensgesellschaft.
In den sogenannten knowledge-based economies, so sagt die Theorie, trete Wissen an die Stelle von Arbeit. Darin schwang schon immer auch eine vage Hoffnung fürs Geistige mit. Als ob genau jene Werte, die lange nicht für ökonomisierbar galten – Bildung etwa – durch die List der Vernunft der Geschichte doch noch in die Gewinnzone kommen könnten.
Doch ganz scheint das nicht aufzugehen, oder nur sehr widersprüchlich. Man muss also tatsächlich über Geld reden und fragen: Welche Kopfarbeit wird in der „Wissensgesellschaft“ eigentlich bezahlt, und warum wird manche besser bezahlt als andere?
Zwischen Friseur und Metzger
Laut Studien der Hannoveraner Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) liegt das durchschnittliche Jahresbruttoeinkommen von Geisteswissenschaftlerinnen mit 22.500 Euro ein Drittel unter dem der UniversitätsabsolventInnen insgesamt. Selbständige können im Schnitt mit 18.500 Euro im Jahr rechnen, das ist exakt zwischen dem vom Statistischen Bundesamt angegebenen Bruttojahresgehalt einer Friseuse (15.000 Euro) und dem eines Wurstwarenherstellers (23.000 Euro).
Nun wird man sagen, mit Geist ließ sich eben noch nie viel Geld verdienen. Erstaunlich ist aber, dass sich das unter den Bedingungen der Wissensgesellschaft nicht grundlegend zu ändern scheint. Maschinenbauingenieure bringen immerhin laut Statistik 70.000 Euro Jahresbrutto nach Hause, Chemiker 75.000, Unternehmensberater 82.000.
Ein gängiges Argument für die Gehaltsdifferenz ist das von Angebot und Nachfrage. Das leuchtet zwar ein, doch logisch ist diese Marktlogik nur als rein selbstbezügliches Wertsystem. Sie resultiert aus einer historisch gewachsenen monetären Überbewertung des technischen, wirtschaftswissenschaftlichen und (bedingt) naturwissenschaftlichen Sektors.
Angesichts des Innovationswahnsinns plus Folgekosten ließe sich aber mit Fug und Recht fragen, warum die 50.000. Verfeinerung der elektronisch gesteuerten Scheibenwischanlage am BMW so viel mehr wert sein soll als das 200. Buch zur mittelalterlichen Münzprägung – „gebraucht“ wird im Zweifelsfall beides nicht.
Inhalte werden ausgelagert
Ein anderer Systemfehler, der geistige Arbeit in Bedrängnis bringt, ist die wachsende Tendenz von Organisationen, Inhalte auszulagern. Dieser Trend wird über kurz oder lang nicht nur die Geistes- und Kulturwissenschaften betreffen, sondern Wissensarbeit generell.
In den letzten Jahren hat sich die fest angestellte Beschäftigung zunehmend auf reine Managementfunktionen konzentriert. Das gilt für Zeitungen, Verlage, Universitäten und Bildungseinrichtungen genauso wie für Industriebetriebe. Ein klarer Graben trennt mittlerweile privilegierte Festanstellung und prekarisierte freie Arbeit.
Für Buchverlage beispielsweise besteht die Hauptbeschäftigung in Programmplanung, Marketing und Vertrieb, das ehemalige Kerngeschäft „Lektorat“ ist nahezu komplett an freie MitarbeiterInnen oder gleich an die AutorInnen selbst ausgelagert. Bildungsträger wickeln ihr Kursprogramm gänzlich über freie Lehraufträge und sogenannte „Trainings“ ab. Was geschieht da?
Nicht Inhalte werden bezahlt, sondern die Verwaltung von Inhalten, nicht Wissen, sondern Wissensmanagement. Der Verdacht liegt nahe, dass mit dem produktiven Wissen in der „informationellen Gesellschaft“ (Manuel Castells) nicht das gemeint ist, was man sich üblicherweise unter „Bildung“ oder fundierter Fachkenntnis vorstellt. Wissen, gut bezahltes Wissen, ist Strukturwissen. Die Inhalte aber, von denen man eigentlich meinen könnte, es käme auf sie an, produzieren oft jene Personen, die auf prekären Stellen sitzen oder überhaupt freiwillig und unbezahlt „Content“ erstellen.
Die saubere, vom industriellen Schmieröl befreite Wissensarbeit wird dabei von derselben Profitlogik zerrieben wie alle anderen Waren auch: Sie verlieren an Wert. Die Paradoxie im Hase-und-Igel-Spiel von Angebot und Nachfrage ist ja, dass eine erhöhte Nachfrage in letzter Konsequenz den Wert senkt.
Das Kapital setzt auf Masse, den höchsten Profit garantiert Steigerung der Stückzahl bei Verringerung des Einzelpreises. Das bekommen alle Kopfarbeiter zu spüren, die nicht unter der Kategorie „Celebrity“ rangieren. Ihre Arbeit – vom Pressetext bis zur wissenschaftlichen Publikation – gerät notwendig unter die fordistischen Räder. Schneller produzieren für weniger Gewinn.
Gut geölte Gratismaschinen
Warum steht die Maschinerie nicht lang schon still, warum schreiben Autoren noch weiter, warum decken Privatdozentinnen für eine erbärmliche Aufwandsentschädigung einen großen Teil der universitären Lehre ab? Sie alle folgen einem Versprechen, das in den neuen Formen kreativer Arbeit steckt.
Die SoziologInnen Eve Chiapello und Luc Boltanski nannten das die „Künstleridentität“, die nun zum generellen Paradigma der Arbeitswelt wird. Der Imperativ, möglichst viel aus dem eigenen Leben herauszuholen, lässt die freien Kopfarbeiter wie am Schnürchen laufen, sie funktionieren als gut geölte Gratismaschinen kultureller Wissensproduktion.
Der Streit um das Urheberrecht spiegelt die Verunsicherung über diese Prozesse, doch er ist wirklich nur eine Scheindebatte. Die Lösungen müssen auf anderer Ebene ansetzen.
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