piwik no script img

Debatte UrheberrechtDer prekäre Content

Kommentar von Andrea Roedig

Die Debatte über das Urheberrecht ist nur ein Symptom. Worum es geht, ist der Wert von Arbeit in der Wissensgesellschaft. Nicht Inhalte werden bezahlt sondern deren Verwaltung.

M alte Welding ist einer der vielen Schriftsteller, die den Wir-sind-die-Urheber Aufruf nicht unterschrieben haben. „Wir führen eine Scheindebatte, wenn wir über das Urheberrecht reden. Wir müssen über Geld reden“, schrieb Welding jüngst in der FAZ und schilderte stilsicher die wohlbekannt hundsmiserablen und paradoxen Arbeitsbedingungen als freier Autor.

Dass das staubtrockene Urheberrecht plötzlich diskursiv so hohe Wellen schlagen kann, liegt daran, dass mit ihm noch ganz anderes verhandelt wird als nur Autorenrechte oder sogenanntes geistiges Eigentum. Die Debatte spiegelt symptomatisch eine generelle Unsicherheit über den Wert geistiger Arbeit in der Wissensgesellschaft.

In den sogenannten knowledge-based economies, so sagt die Theorie, trete Wissen an die Stelle von Arbeit. Darin schwang schon immer auch eine vage Hoffnung fürs Geistige mit. Als ob genau jene Werte, die lange nicht für ökonomisierbar galten – Bildung etwa – durch die List der Vernunft der Geschichte doch noch in die Gewinnzone kommen könnten.

Bild: archiv
ANDREA ROEDIG

lebt und arbeitet als freie Publizistin in Wien. Von 2001 bis 2006 leitete sie die Kulturredaktion der Wochenzeitung Freitag.

Doch ganz scheint das nicht aufzugehen, oder nur sehr widersprüchlich. Man muss also tatsächlich über Geld reden und fragen: Welche Kopfarbeit wird in der „Wissensgesellschaft“ eigentlich bezahlt, und warum wird manche besser bezahlt als andere?

Zwischen Friseur und Metzger

Laut Studien der Hannoveraner Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) liegt das durchschnittliche Jahresbruttoeinkommen von Geisteswissenschaftlerinnen mit 22.500 Euro ein Drittel unter dem der UniversitätsabsolventInnen insgesamt. Selbständige können im Schnitt mit 18.500 Euro im Jahr rechnen, das ist exakt zwischen dem vom Statistischen Bundesamt angegebenen Bruttojahresgehalt einer Friseuse (15.000 Euro) und dem eines Wurstwarenherstellers (23.000 Euro).

Nun wird man sagen, mit Geist ließ sich eben noch nie viel Geld verdienen. Erstaunlich ist aber, dass sich das unter den Bedingungen der Wissensgesellschaft nicht grundlegend zu ändern scheint. Maschinenbauingenieure bringen immerhin laut Statistik 70.000 Euro Jahresbrutto nach Hause, Chemiker 75.000, Unternehmensberater 82.000.

Ein gängiges Argument für die Gehaltsdifferenz ist das von Angebot und Nachfrage. Das leuchtet zwar ein, doch logisch ist diese Marktlogik nur als rein selbstbezügliches Wertsystem. Sie resultiert aus einer historisch gewachsenen monetären Überbewertung des technischen, wirtschaftswissenschaftlichen und (bedingt) naturwissenschaftlichen Sektors.

Angesichts des Innovationswahnsinns plus Folgekosten ließe sich aber mit Fug und Recht fragen, warum die 50.000. Verfeinerung der elektronisch gesteuerten Scheibenwischanlage am BMW so viel mehr wert sein soll als das 200. Buch zur mittelalterlichen Münzprägung – „gebraucht“ wird im Zweifelsfall beides nicht.

Inhalte werden ausgelagert

Ein anderer Systemfehler, der geistige Arbeit in Bedrängnis bringt, ist die wachsende Tendenz von Organisationen, Inhalte auszulagern. Dieser Trend wird über kurz oder lang nicht nur die Geistes- und Kulturwissenschaften betreffen, sondern Wissensarbeit generell.

In den letzten Jahren hat sich die fest angestellte Beschäftigung zunehmend auf reine Managementfunktionen konzentriert. Das gilt für Zeitungen, Verlage, Universitäten und Bildungseinrichtungen genauso wie für Industriebetriebe. Ein klarer Graben trennt mittlerweile privilegierte Festanstellung und prekarisierte freie Arbeit.

Für Buchverlage beispielsweise besteht die Hauptbeschäftigung in Programmplanung, Marketing und Vertrieb, das ehemalige Kerngeschäft „Lektorat“ ist nahezu komplett an freie MitarbeiterInnen oder gleich an die AutorInnen selbst ausgelagert. Bildungsträger wickeln ihr Kursprogramm gänzlich über freie Lehraufträge und sogenannte „Trainings“ ab. Was geschieht da?

Nicht Inhalte werden bezahlt, sondern die Verwaltung von Inhalten, nicht Wissen, sondern Wissensmanagement. Der Verdacht liegt nahe, dass mit dem produktiven Wissen in der „informationellen Gesellschaft“ (Manuel Castells) nicht das gemeint ist, was man sich üblicherweise unter „Bildung“ oder fundierter Fachkenntnis vorstellt. Wissen, gut bezahltes Wissen, ist Strukturwissen. Die Inhalte aber, von denen man eigentlich meinen könnte, es käme auf sie an, produzieren oft jene Personen, die auf prekären Stellen sitzen oder überhaupt freiwillig und unbezahlt „Content“ erstellen.

Die saubere, vom industriellen Schmieröl befreite Wissensarbeit wird dabei von derselben Profitlogik zerrieben wie alle anderen Waren auch: Sie verlieren an Wert. Die Paradoxie im Hase-und-Igel-Spiel von Angebot und Nachfrage ist ja, dass eine erhöhte Nachfrage in letzter Konsequenz den Wert senkt.

Das Kapital setzt auf Masse, den höchsten Profit garantiert Steigerung der Stückzahl bei Verringerung des Einzelpreises. Das bekommen alle Kopfarbeiter zu spüren, die nicht unter der Kategorie „Celebrity“ rangieren. Ihre Arbeit – vom Pressetext bis zur wissenschaftlichen Publikation – gerät notwendig unter die fordistischen Räder. Schneller produzieren für weniger Gewinn.

Gut geölte Gratismaschinen

Warum steht die Maschinerie nicht lang schon still, warum schreiben Autoren noch weiter, warum decken Privatdozentinnen für eine erbärmliche Aufwandsentschädigung einen großen Teil der universitären Lehre ab? Sie alle folgen einem Versprechen, das in den neuen Formen kreativer Arbeit steckt.

Die SoziologInnen Eve Chiapello und Luc Boltanski nannten das die „Künstleridentität“, die nun zum generellen Paradigma der Arbeitswelt wird. Der Imperativ, möglichst viel aus dem eigenen Leben herauszuholen, lässt die freien Kopfarbeiter wie am Schnürchen laufen, sie funktionieren als gut geölte Gratismaschinen kultureller Wissensproduktion.

Der Streit um das Urheberrecht spiegelt die Verunsicherung über diese Prozesse, doch er ist wirklich nur eine Scheindebatte. Die Lösungen müssen auf anderer Ebene ansetzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • I
    ion

    @ Megestos (16.06.2012 02:06),

     

    Schickes, 'geisteswissenschaftliches'(⸮) Geschwurbel!

    Nur, leider ließen Sie jetzt vollkommen ausser 8, ob der Output von "Geisteswissenschaftlern" auch Kriterien einer (wie auch immer) verifizierbaren Qualität genügt, was bei den offenbar als zu hoch empfunden dotierten "Verfeinerungen" von "Scheibenwischanlagen" (übrigens nicht nur bei "BMW" (¿illegales product placement?)) eher grundsätzlich zu unterstellen wäre, sonst zahlte niemand dafür u./o. baute sie (ein).

    Irrtümlicherweise scheint frau/man davon auszugehen, dass "Geisteswissenschaftler" per se und grundsätzlich etwas 'Wertvolles' oder 'Relevantes' produzier-t-en – was ich hier(-mit) mal zu bezweifeln wage. Hierzu brauchen Sie nur mal die Sortimente von Buchhändlern von vor 100 Jahren und heute zu vergleichen – exponentielle Zunahme von 'Koch'-büchern.

  • H
    hto

    "Als ob genau jene Werte, die lange nicht für ökonomisierbar galten – Bildung etwa – durch die List der Vernunft der Geschichte doch noch in die Gewinnzone kommen könnten."

     

    Wir könnten alle gewinnen, nämlich EINDEUTIGE und zweifelsfreiere Wertigkeiten OHNE Konsum- und Profitautismus, usw., wenn Ökonomie GRUNDSÄTZLICH und PRINZIPIELL wirklich-wahrhaftig demokratisch organisiert und NICHT regiert würde, auf der Basis eines unkorrumpierbar-bedingungslosen MENSCHENRECHTS auf Nahrung, Wohnen und Gesundheit (mit allen daraus MENSCHENWÜRDIG resultierenden Konsequenzen und vor allem Möglichkeiten) - dann wäre schon der Weg zur höheren "Bildung des Geistes für das materielle Wohl der Gemeinschaft" belohnenswert, und das Urheberrecht wäre Eigentum der Schöpfung (die auf solch Schwachsinn sicher keinen Wert legt) :-)

  • M
    Megestos

    Herbert,

     

    Sie begründen das "gebraucht-werden" kleiner Verfeinerungen beim BMW damit, dass diese für die Neuheit eines 2012er Autos im Vergleich zu früheren Modellen nötig sind. "Gebraucht werden" ist aber nicht identisch mit "neu sein und sich verkaufen".

     

    Ohne dass ich mir anmaße, eine endgültige Definition von "gebraucht werden" zu bringen, kann ich zumindest sicher behaupten, dass einige Funktionen eines Autos (z.B. schnell und sicher von A nach B zu kommen) auf eine andere Art gebraucht werden als andere (z.B. der Motor gut klingt und das Auto ästhetisch ansprechend ist).

    Wenn man will (und viele würden das wohl tun), könnte man das so weit vereinfachen, dass "im Zweifelsfall" die Transportfunktion eines Autos "mehr" gebraucht wird als die ästhetischen und unterhaltenden Funktionen. Umgangssprachlich ist die Transportfunktion des Autos ein >praktischer Nutzenschmückendes Beiwerk< wären.

     

    Die "Scheibenwischanlage" wäre für die Autorin in diesem Modell eher >schmückendes Beiwerkpraktischer Nutzen

  • P
    petronius

    nur mal so viel:

     

    "Angesichts des Innovationswahnsinns plus Folgekosten ließe sich aber mit Fug und Recht fragen, warum die 50.000. Verfeinerung der elektronisch gesteuerten Scheibenwischanlage am BMW so viel mehr wert sein soll als das 200. Buch zur mittelalterlichen Münzprägung – „gebraucht“ wird im Zweifelsfall beides nicht"

     

    der irrtum besteht vor allem in der annahme, es käme für die bezahlung darauf an, ob in welchem ausmaß etwas "gebraucht" werde. nein, ausschlaggebend ist, wer wieviel dafür zu bezahlen bereit ist. so funktioniert unsere wirtschaft

     

    das mag man bedauern, vor allem, wenn man zu den weniger nachgefragten (im sinne von gut bezahlten) gehört. wer aber anstatt des "marktes" (nein, er ist weder "frei" noch irgendwie "gerecht") bestimmen dürfen soll, was wie stark "gebraucht" und damit gut entlohnt wird, das ist die spannende frage

     

    die potentiell "gebrauchten" werden es eher nicht sein

  • S
    Sabine

    Ein sehr interessanter Artikel!

     

    Infolge dessen müsste die Debatte aber viel konkreter werden.

     

    Man muss nicht nur über Geld reden, sondern auch konkret mehr Geld fordern. Dazu müssen sich die Freien (Dreh-) BuchautorInnen, KünstlerInnen und JournalistInnen zusammen tun und konkret eine bessere Bezahlung fordern.

     

    In den USA gibt es meines Wissens eine Drehbuchautorengewerkschaft, die ziemlich gut für ihre Rechte kämpft. In Deutschland gibt es das meines Wissens nicht. und die deutschen Gewerkschaften sind ja eher nicht so erfolgreich für die schreibende Zunft höhere Honorare auszuhandeln und diese in der Praxis auch durchzuseetzen.

     

    Das Urheberrecht hat aber mit der Bezahlung der AutorInnen zu tun:

     

    Wenn es verschlechtert werden würde wie es die Piratenpartei will und AutorInnen z.B. nur noch für 10 Jahre nach ihrem Tod das Urheberrecht an ihren Werken haben, anstatt wie bisher für 70 Jahre nach ihrem Tod, dann schwächt das in der Gegenwart ihre Verhandlungsposition gegenüber den Verlagen enorm. D.h. sie würden dann noch schlechtere Verträge kriegen und weniger Geld. Damit kann kein denkender betroffener Mensch einverstanden sein.

  • H
    herbert

    Ihr Zitat:

     

    "Angesichts des Innovationswahnsinns plus Folgekosten ließe sich aber mit Fug und Recht fragen, warum die 50.000. Verfeinerung der elektronisch gesteuerten Scheibenwischanlage am BMW so viel mehr wert sein soll als das 200. Buch zur mittelalterlichen Münzprägung – „gebraucht“ wird im Zweifelsfall beides nicht. "

     

    Das schreiben - sorry - Geisteswissenschaftler immer gern. Stimmt aber nicht. Die Scheibenwischanlage beim BMW wird gebraucht. Denn all diese kleinen Verfeinerungen sind am Ende doch für die Produktentwicklung wichtig und sorgen dafür, dass ein BMW von 2012 eben deutlich anders aussieht als einer von 1992 oder 1972.

     

    Die "Schreibenwischanlage" - übertragen auf z.B. die Chemietechnik - hat dazu geführt, dass die deutsche Chemieindustrie mit weniger Energie mehr produziert als vor dreissig Jahren. Und ohne solche Verbesserungen wird es nicht gehen.

     

    In Ihrer Argumentation ist somit ein fundamentaler Denkfehler... aber das kenn ich schon, das passiert allen Geisteswissenschaftlern so.