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Debatte Unser Israel (15 und Schluss)Ein Jude ohne Land

Kommentar von Zeev Avrahami

In Israel zu leben war einst der Traum meiner Eltern. Als ich von Israel aus nach Deutschland zog, habe ich ihn auf den Kopf gestellt-

E in Israeli in Berlin: sechs Eindrücke.

Erstes Bild

Für meine Reisen nach Israel habe ich eine feste Methode entwickelt. Bevor ich fahre, gehe ich sicher, dass ich alle meine hebräischen Lieblingssongs auf meinem iPhone gespeichert habe. Ich buche einen Flug, der früh genug in Israel landet, damit ich dort in ein Taxi steigen und dem Fahrer sagen kann, dass er mich zum Hummus-Platz in Jaffa bringen soll - zu jenem Platz, der den Frieden symbolisiert, falls es dafür ein Bild gibt. Dort mischen sich Araber und Israelis - und zwar ballen sie sich dort in solchen Massen, dass sich die Kellner genötigt sehen, ihre Gäste aufzufordern: "Schlucken, nicht kauen!"

Bild: privat

Zeev Avrahami lebt seit zwei Jahren in Berlin. Er ist Israeli iranischer Herkunft, schreibt für die Zeitung Haaretz und auf www.taz.de sein Blog "Oy Vey Berlin". Mit seinem Beitrag endet unsere Debattenreihe.

Es ist ein magischer Ort: französische Gourmetküche mit der Atmosphäre einer Gefängniskantine. Jüdische Deutsche (oder Franzosen oder Amerikaner) kennen diesen Ort nicht. Sie sind Juden, ich dagegen bin Israeli.

Bei der Ankunft am Flughafen schlägt mein Herz höher: Wie sehr habe ich diese Wärme und Nähe vermisst! Wenn ich im Anflug die Küste näher kommen sehe, fällt es mir schwer, meine Tränen zurückzuhalten. Seit meine zweijährige Tochter in der "Warum"-Phase ist, nehme ich stets den Fensterplatz ein. Wie soll ich ihr erklären, warum meine Augen tränen?

Zweites Bild

Das erste Mal kam ich Anfang dieses Jahrhunderts nach Berlin. Ich erinnere mich, dass es eiskalt war und mich die Sprache irritierte. Als Kind in Israel gab es nur zwei Orte, an denen man der deutschen Sprache begegnen konnte. Durch Berlin zu laufen empfand ich deshalb, als wäre ich in einen Pornofilm geraten, der im Dritten Reich spielte.

Drittes Bild

Es braucht genau eine Woche. Dann beginnt es, in dein System zu kriechen. Ich bin mit meinen Freunden und der Familie am Strand. Die Schlagzeilen künden in Rot von der Korruption und der Gewalt, die über die Checkpoints und die Mauer kriecht und Israel infiltriert hat. Jeder auf der Straße versucht, mich umzubringen. Die Wärme, die ich in Berlin so vermisst habe, beginnt zu brennen. Es gibt so viel Hummus, wie ich essen kann.

Dann fahren wir nach Jerusalem und ich kann die Heiligkeit fühlen, die von den Bergen herabkommt und mich umarmt. Meine Mutter erzählt mir immer, dass ich geweint habe, als wir das erste Mal nach Jerusalem fuhren, nachdem meine Familie den Iran verlassen hatte. Juden haben immer davon geträumt, sich "nächstes Jahr in Jerusalem" zu treffen. Aber in der aufgeladenen Atmosphäre von Jerusalem sinniere ich unweigerlich darüber, wie gefährlich Träume sind, die in Erfüllung gehen. Nach Jerusalem rufe ich normalerweise die Fluggesellschaft an und sage, dass wir eine Woche früher zurückreisen wollen. Diesmal nehme ich einen Sitz am Gang.

Viertes Bild

Das zweite Mal kam ich nach den Anschlägen vom 11. September nach Berlin. Ich kam aus Köln, die Straßen waren vereist und die Fahrt dauerte zwölf Stunden. Ich erinnere mich noch, wie ich meinen Wagen parkte, das Fenster öffnete und sich mir folgender Anblick bot: eine riesige Synagoge, davor zwei Polizisten und ein bewaffnetes Fahrzeug. Wiederum davor standen zwei Prostituierte in weißen Schianzügen. Ich besitze noch die Notizen, die ich in jener Nacht niederschrieb: "Hier werde ich meine Lebensgeschichte aufschreiben."

Fünftes Bild

Nach drei Jahren bringt mich Berlin immer noch durcheinander. Ich genieße das langsame Tempo und dass es, im Sinne von "Zeit ist Geld", so eine reiche Stadt ist. Ich ärgere mich über die Tatsache, dass Deutschland zwar einige der größten Denker, Schriftsteller und Analysten des menschlichen Geistes hervorgebracht hat - aber dass so viele seiner Bewohner offenbar eine Gebrauchsanweisung brauchen, um mit diesem Geist umzugehen. Aber wenn ich sehe, was hier in den letzten 20 und 80 Jahren passiert ist, bin ich voller Hoffnung für mein Land.

Deutschland hat mir auch dabei geholfen, zu verstehen, dass Israel nicht mehr mein Land ist. Es hat mich wütend gemacht auf diese Siedler, die ihr Judentum mit einem bestimmten Stück Land verbinden, als gäbe es ohne dieses Land kein Judentum. Deutschland hat mich wieder jüdisch gemacht - ein herumwandernder und sich wundernder Jude und Träumer, der mit sich selbst eine ewige philosophisch-moralische Debatte darüber führt, wer er eigentlich ist.

Ich bewege mich durch Berlin zum stillen Klang einer Musik, die sehr laut zu mir spricht. Ich gehöre zu einer neuen Gattung, ich bin ein israelischer Jude. Ich habe, wie so viele Israelis meiner Generation, den Traum unserer Eltern auf den Kopf gestellt und Israel verlassen, um nach einem neuen Sinn zu suchen. Wir sehnen uns nach dem alten jüdischen Leben in der Diaspora: die Kunst, die Musik, die philosophischen Diskussionen, den Drang, besser oder gar Erster zu sein, weil man zu einer Minderheit gehört. Sollten meine Eltern von einer starken Armee geträumt haben, von einer Kultur, die sich in Reality-Shows erschöpft, und einer Gesellschaft, in der sich niemand für irgend etwas anderes als sein eigenes Fortkommen interessiert, dann ist das nicht mein Traum.

Meine Wurzeln liegen in einem fernen Land, dem Iran, in dem sich eine neue Art von antisemitischem Regime herausgebildet hat. Aber auch Israel liegt über Kreuz mit dem alten Judentum. Die neue Gattung, die Israel hervorgebracht hat, die Israelis, sie finden keinen Frieden mit den religiösen Juden. Man muss sich nur Jerusalem anschauen: Je heiliger es wird, desto weniger säkulare Juden leben dort.

Für den Moment betrachte ich also Deutschland als meine Heimat, die mein Leben durcheinandergebracht hat und mich mit Schrecken aus dem Traum meiner Eltern erwachen ließ.

Sechstes Bild

Manchmal laufen Maya und ich auf einer unserer endlosen Suchen nach einem anständigen Hummus durch die Straßen von Berlin. Bald wird sie mich fragen, wofür diese Stolpersteine stehen. Ich hasse es, wenn ich auf Wikipedia keine Antwort finde auf ein Warum von Maya. ZEEV AVRAHAMI

Übersetzung: Daniel Bax

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7 Kommentare

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  • V
    vic

    Schöner Abschluss einer kontroversen Serie.

    Und schön, dass sich der Autor (auch) in Deutschland heimisch fühlt.

    Herzlich willkommen.

  • S
    stauffenberg

    Am Besten klappt das Zusammenleben, wenn keiner von sich großes Aufheben macht. Ich habe das in vielen Ländern erlebt, wo die Menschen einfach miteinander leben, Geschäfte machen und sich ansonsten akzeptieren wie sie sind. Das läßt auch zu, einander mal ordentlich die Meinung zu sagen, ohne sich gleich angegriffen zu fühlen. Aber in Deutschland konnte sich eine solche Kultur trotz 60 Jahren Abstand bisher nicht etablieren. Statt dessen Selbstzensur auf der einen und mangelnde Kritikfähigkeit auf der anderen Seite. Die Israel Serie der TAZ hat nun sicher ein Schrittchen dazu beigetragen, dem Normalzustand wieder etwas näher zu kommen. Danke dafür.

  • K
    Kat

    Toda für diesen Artikel. Er hat mich ein bisschen melancholisch gemacht und ist sehr gut geschrieben.

  • J
    juan

    Ich finde den Text sehr schön. Auf die Reduzierung von "Oma Kruse" kann ich nur sagen, dass es mich wundert, wie beharrlich die Erfahrung von Israelis, die nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen, ausgeblendet wird.

  • A
    Armin

    Verwirrend, aber sehr schön geschriebener Artikel.

    Und die Diaspora positiveren ist auch nur durch Israel möglich.

  • A
    Alex

    Insgesamt eine gute Debatte.

     

    Frage und zugleich Bitte: Wird es eine Zusammenfassung der Beiträge in einem "TAZ-Spezial" oder ähnlichem geben? Ich würde diese gerne kaufen!

  • OK
    Oma Kruse

    Wenn man wie Daniel Bax wirren antisemitischen Ideen anhängt, holt man sich am besten einen Juden als Kronzeugen, der es für einen sagt. Alt, sehr alt, aber kein Klassiker.