Debatte Uni-Finanzierung: Ein bisschen Bildung
Die deutschen Hochschulen sind systematisch unterfinanziert. Das soll weiterhin so bleiben. Andere OECD-Mitglieder setzen auf Investitionen.
K urioser Zufall oder Absicht? Während Studierende ihre Hochschulen besetzen, um auf unsägliche Studienbedingungen hinzuweisen, belegen die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus Wiesbaden: Studieren ist so beliebt wie nie zuvor.
Über 420.000 Männer und Frauen haben sich in diesem Jahr für ein Studium eingeschrieben. Damit schnellt die Studienanfängerquote über die politisch erwünschte 40-Prozent-Marke, ohne dass Deutschland wesentlich mehr investiert hätte. Der Hauptgrund: Erstmals drängen zwei Abiturientenjahrgänge - nach 12 und 13 Jahren Schule - in die Hochschulen.
Die schönen Zahlen können indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesrepublik nach wie vor ein Problem hat: die Hochschulen sind seit über 30 Jahren unterfinanziert. Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD), der Club der 30 führenden Industrieländer, hat Deutschland deshalb mehrfach kritisiert: andere Länder hätten in den vergangenen Jahren weit mehr in Schulen und Hochschulen investiert als die Bundesrepublik und sie verzeichnen tatsächlich nachhaltig steigende Absolventenzahlen.
Zwei Strategien hätten sich dabei als erfolgreich erwiesen: entweder die öffentlichen Mittel für die Ausbildung von Hochqualifizierten massiv zu erhöhen. Für diese Variante haben sich die nordischen Länder entschieden. Oder aber die Hochschulbildung auszuweiten und die Kosten Eltern und Studierenden in Form von Studiengebühren aufzubürden, wie in Australien, Großbritannien oder den USA geschehen. Deutschland aber, so rügte die Leiterin des OECD-Bildungsbereiches, Barbara Ischinger, hätte weder das eine noch das andere getan. Dabei müsste die Bundesrepublik jährlich bis zu 36 Milliarden Euro zusätzlich in den Bildungsbereich stecken, damit sie das durchschnittliche Niveau der OECD-Mitglieder erreicht. Harte Worte aus einer Organisation, für die Bildung beileibe nicht Selbstzweck ist, sondern die einen positiven Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau der Bevölkerung und dem Wirtschaftswachstum annimmt.
Wachstum ist ein Ziel, dem sich auch die neue Bundesregierung verschrieben hat. Einiges spricht dafür, dass sie den angloamerikanischen Weg beschreiten und die Kosten eines Studiums in den nächsten Jahren verstärkt den Studies aufbürden wird. Statt der von der OECD angemahnten 36 Milliarden Euro will Schwarz-Gelb bis 2013 rund 12 Milliarden zusätzlich in den gesamten Bildungsbereich stecken. In den Hochschulen wird also nur ein Teil davon ankommen.
Hinzu kommt, dass Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) sogenannte Zukunftskonten für jedes neu geborene Kind einrichten möchte. Bei aktuell 680.000 Geburten pro Jahr entspräche das über 100 Millionen Euro allein für Startguthaben, die späteren staatlichen Zulagen kommen obendrauf. Und obwohl dieses Geld später einmal für Bildung ausgegeben werden soll, landet es zunächst bei den Banken. Eine von ihnen wirbt bereits jetzt damit, dass das Geld vom Bildungskonto später problemlos durch einen Kredit ergänzt werden könne. Dieser könnte durchaus nötig sein. Die Abiturienten von 2020 sollen ihre Guthaben nach Wunsch der Bundesregierung in ein Studium, also in Studiengebühren und Lebenshaltungskosten, investieren.
Allgemeine Gebühren bis 500 Euro pro Semester erheben derzeit sechs von 16 Bundesländern. Der dabei zusammenkommende Betrag macht nur einen Bruchteil des Etats der Hochschulen aus. 2007 zahlten die Studierenden Beträge von rund einer Milliarde Euro in die Haushaltskassen ihrer Hochschulen ein, die im gleichen Zeitraum 33 Milliarden Euro ausgaben. Ein Anteil von drei Prozent also. Um den privaten Anteil zu steigern, müssten Studiengebühren in den nächsten Jahren folglich kräftig steigen. Dafür spricht die Ankündigung Schavans, Darlehen und Stipendien ausweiten zu wollen. Diese dienen international dazu, Gebühren zu subventionieren und Kindern aus ärmeren Familien - sofern sie den Begabtentest bestanden haben - ein Studium zu ermöglichen.
Für die Gebührenbefürworter war es immer wichtig zu betonen, dass Studiengebühren auch eine Art sozialen Ausgleich schaffen. So betont das konservative Centrum für Hochschulentwicklung in Gütersloh, dass Hochschulabsolventen in Form von Gehalt und Lebenschancen überproportional von ihrem Studium profitieren, sich aber ihr Studium von der Öffentlichkeit finanzieren ließen. In dieser Argumentation, die auf den Ökonomen Milton Friedman zurückgeht, stecken zwei Mythen: zum einen dass das Studium in Deutschland öffentlich finanziert, zum anderen dass es quasi umsonst sei.
Richtig ist, dass sich Staat und Studierende die Kosten derzeit teilen. Die Hochschulbauten und das Personal werden zu über 80 Prozent aus Steuermitteln finanziert, etwa 19 Milliarden Euro pro Jahr. Umgekehrt ist es bei der etwa gleich großen Summe für den Lebensunterhalt. Diesen bezahlen zum größten Teil die Studierenden beziehungsweise ihre Eltern. Nur jeder Vierte erhält Bafög.
Eine Studie im Auftrag des Deutschen Studentenwerks aus dem Jahre 2000 zeigt, dass obere Einkommensschichten überproportional zur öffentlichen Finanzierung der Hochschulen beitragen. Akademiker aus unteren und mittleren Schichten bekommen dagegen mehr raus, als sie einzahlen. Gleichzeitig zahlten Akademiker im Laufe ihres Lebens mehr Steuern als Nichtakademiker, was einer Art "impliziter Akademikersteuer" gleichkäme.
Sozial gerecht ist es also, die Hochschulen weiterhin aus Steuermitteln zu finanzieren und zusätzlich die Lebenshaltungskosten der Studierenden stärker öffentlich zu subventionieren. Das bedeutet vor allem, das Bafög zu erhöhen und auszuweiten, welches all jenen - unabhängig vom Notendurchschnitt - zugute kommt, die keine begüterten Eltern haben.
Denn nur so werden in den nächsten Jahren verstärkt Leute zum Studium ermuntert werden, denen der Talar nicht in die Wiege gelegt wurde: Kinder aus Familien, in denen Hochschulkarrieren nicht vorgezeichnet sind und die sich einer beruflichen Ausbildung von Haus aus näher fühlen. Erst wenn auch die Nicht-Akademiker-Schichten in den nächsten Jahren das Studium für sich entdecken, wird der Anteil der Hochqualifizierten in Deutschland nachhaltig steigen. Denn der nächste Studienanfängerknick kommt bestimmt. Während aktuell noch knapp eine Million 18-Jährige in Deutschland leben, werden es in zehn Jahren schon 225.000 weniger sein. Auch das ist eine Prognose des Statistischen Bundesamtes.
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