Debatte Ukraine: Was machen die Oligarchen?
Das Land ist bankrott und zutiefst korrupt. So wird jede finanzielle Hilfe von außen schwierig. Viel zu privatisieren gibt es in der Ukraine aber nicht mehr.
D er Ukraine droht der finanzielle Kollaps. 35 Milliarden Euro bräuchte das Land in den nächsten beiden Jahren, einen großen Teil davon in diesem Jahr. Wie viel es werden wird, ist nicht klar. Denn die staatliche Finanzverwaltung zeichnete sich bisher – anders als die Privatunternehmen – durch kreative Buchführung aus.
Viele sind dafür, das Land einfach mit Dollars oder Euros zu fluten. Unter den gegenwärtigen Umständen würde das meiste jedoch in privaten Taschen verschwinden und im Ausland auf Immobilienmärkten oder in Finanzkasinos wiederauftauchen. Der Internationale Währungsfonds wird daher die üblichen Auflagen machen.
Erstens eine erhebliche Absenkung der Staatsausgaben, also Entlassungen, Lohnsenkungen, Rentenkürzungen und verminderte Fürsorge. Zweitens wird der IWF eine Steigerung der staatlichen Einnahmen fordern, was in der Ukraine vor allem eine Anhebung der Gaspreise für private Haushalte bedeuten würde. Für eine Bevölkerung, die gerade eine Revolution gemacht hat und voller Hoffnung nach Westeuropa schaut, wäre das sehr ernüchternd.
war bis 2007 Professor für Allgemeine Soziologie an der Universität Potsdam und lebt in Berlin. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Sowjetunion und ihr Zusammenbruch, die politische und wirtschaftliche Situation in postsozialistischen Ländern, informelle Strukturen, Nationalismen und Massenbewegungen. Die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine verfolgt er mit besonderem Interesse.
Das durchschnittliche Lohnniveau liegt bei einem Zehntel des deutschen, das Preisniveau von Konsumgütern entspricht dem mitteleuropäischen. Gekürzt werden kann und wird bereits bei der Aufstandsbekämpfung. Die Armee soll langfristig in die Nato integriert werden, an deren Auslandseinsätzen sie vielfach schon beteiligt ist. Da sie eine Wehrpflichtigenarmee ist, wurde sie wegen Unzuverlässigkeit jetzt auch nicht gegen den Aufstand eingesetzt.
Entmutigende alltägliche Korruptionserfahrungen
Der dritte Block westlicher Forderungen dürfte eine Reform des politischen Systems und eine Verminderung der Korruption sein. Das war neben dem ukrainischen Nationalgefühl auch eines der Hauptanliegen der Opposition. Was die Menschen besonders in Rage brachte, waren die entmutigenden alltäglichen Korruptionserfahrungen auf den unteren und mittleren Ebenen.
Die große Korruption ist wirtschaftlich folgenreicher, jedoch weniger leicht zu erkennen. Zudem gelingt es den reichen Oligarchen mit privaten Spenden für populäre Projekte immer wieder, Dankbarkeit zu erzeugen. Der mächtige „Schokoladenkönig“ Petro Poroschenko, der mit seinem Fernsehsender Fünfter Kanal schon bei der Orangen Revolution die Opposition unterstützt hatte, versprach auf dem Maidan, das Fußballstadion von Kiew auf eigene Kosten sanieren zu lassen. Die Fans, ein besonders nachdrückliches Segment unter den Rebellen, waren entzückt.
Die ukrainischen Oligarchen, also jene, die bei den wilden und teilweise kriminellen Privatisierungen der neunziger Jahre ungemein reich wurden, sind politisch einflussreicher als ihre russischen Kollegen. Die Verfolgung Chodorkowskis in Russland entlarvte nicht nur die Justiz, sie machte auch den anderen russischen Oligarchen klar, dass sie sich Putin politisch zu fügen hatten. In der Ukraine ist das anders. Hier beherrschen die Oligarchen weitgehend die Parteien; sie wechseln aber auch leicht das Lager, sobald es ihnen sinnvoll erscheint. Sie sind pragmatisch.
Der reichste dieser Oligarchen ist Rinat Achmetow aus dem ostukrainischen Donezk. Er hat Janukowitsch bis fast zum Schluss unterstützt. Nach Schätzung von Forbes Inc. ist Achmetow 16 Milliarden US-Dollar schwer. Als Herr über Kohle und Stahl im ostukrainischen Donbass ist er an guten Beziehungen zu Russland interessiert, denn dorthin geht sein Hauptexport. In der EU braucht man seine Kohle und seinen Stahl nicht.
Oligarchen wollen auch zur EZ gute Beziehungen
Gleichwohl ist Achmetow weder russischer Separatist noch Feind der EU – so wenig, wie Janukowitsch es war. Ein Anschluss der Ostukraine an Russland würde ihn der direkten Konkurrenz russischer Oligarchen und der Kontrolle Putins aussetzen. Außerdem ist seine Holding längst diversifiziert und produziert auch Waren, die sich auf dem europäischen Markt verkaufen lassen. Es geht ihm und den anderen Oligarchen also um gute Beziehungen sowohl zu Russland als auch zur EU.
Nationalismus für welche Nation auch immer ist etwas für die Bevölkerung, die sich mit Aufrufen, Symbolen und Gesängen steuern lässt und manchmal rebelliert. Die Oligarchen selbst sind davon überwiegend frei. Auch die Sprachprobleme in der Ukraine betreffen sie nicht. Sie können zumeist Russisch und Ukrainisch, und die Sprache Europas und des Weltmarkts ist ohnehin Englisch, auch das beherrschen sie.
Überdies gehört die Ukraine in vielerlei Hinsicht längst zur EU: Die Kooperation mit russischen und weißrussischen Geschäftsleuten läuft auf den legalen und illegalen Märkten der EU ausgezeichnet. Über teils offene, teils verschachtelte, teils verdeckte Beteiligungen ist man überall in der EU wirtschaftlich aktiv, wobei als Bankplätze Zypern, Liechtenstein, Österreich und Großbritannien eine gewisse Präferenz genießen.
Die Oligarchen sind innenpolitisch an Stabilität interessiert und unterhalten außenpolitisch nach Ost und West rationale Beziehungen. Sie würden russische Separatisten oder radikale ukrainische Nationalisten nur dann unterstützen, wenn die sich politisch durchsetzen können.
Staatliche Investitionsgelder gegen Zuwendungen
Das ukrainische Problem ist vielmehr, dass die Oligarchen ebenso wie die von ihnen finanzierte politische Klasse keinen Unterschied machen zwischen dem, was für die Firma, und dem, was für das Land gut ist. Das Hauptziel ihrer politischen Einflussnahme ist es, an staatliche Investitionsgelder heranzukommen.
Dafür lassen sie staatlichen oder politischen Entscheidungsträgern Zuwendungen zukommen. Diese wiederum sind gerne bereit, die gewünschten Dienstleistungen zu erbringen, um ihr privates Einkommen zu mehren. Politiker wird man in der Ukraine zumeist genau deswegen.
Das beweist auch das Parlament: Von den 450 Abgeordneten sind nach Schätzungen etwa 50 tatsächlich „unabhängig“, also weder selbst Oligarchen noch im Dienst privater Firmen. Störende öffentliche Kontrolle gab es bisher nicht. Die Familie Janukowitsch ist in den letzten Jahren sehr schnell sehr reich geworden.
Just diese Korruption macht jede Finanzhilfe von außen schwierig. Der ukrainische Staat benötigt Geld für Gehälter, Renten, Infrastruktur oder Bildung. Aber vieles von dem, was an Steuern eingenommen wurde, liegt auf Privatkonten im Ausland und verträgt sich dort gut mit dem, was hinterzogen wurde. Hilfszahlungen würden unter diesen Bedingungen vielleicht Schulden mindern helfen, aber sicher nicht bei den normalen Ukrainern ankommen.
Die Schulden müsste die ärmere Bevölkerung zahlen
Die Devisenreserven sind in wenigen Jahren zusammengeschmolzen. Sie wurden größtenteils eingesetzt, um sinkende Staatseinnahmen zu kompensieren. Die Schulden sind geblieben. Westlichen Werten entsprechend müssen sie bezahlt werden, und dafür ist dann de facto die ärmere Bevölkerung zuständig. Viel zu privatisieren gibt es in der Ukraine aber nicht mehr.
In dieser Situation ist Russland keine Hilfe. Der Kreml nutzt die Abhängigkeit der Ukraine von russischem Öl und Gas als Repressionsmittel. Julia Timoschenko handelte im Winter 2008/09 allein und ohne den Zwischenhändler RusUkrEnergo einen sehr hohen russischen Gaspreis aus. Unter Janukowitsch wurde ihr unterstellt, sie habe sich kaufen lassen. Natürlich war der Prozess gegen sie gezinkt. Aber völlig unrealistisch erschienen die Vorwürfe nicht.
Das Kalkül Putins, der jetzt die nationalistische russische Karte ausspielt, ist aber töricht. Er verhängt Sanktionen und Boykotte gegen ein Land, in dem er im eigenen Interesse um die Sympathie der Bevölkerung werben sollte. Da ist der Westen klüger: Er lockt mit Versprechungen.
Was aber auf die EU zukommt, sind erhebliche finanzielle Erwartungen, denen keine realistischen Reformerwartungen entsprechen. Das bedeutet nicht, dass die EU keine ernsthaften eigenen Interessen in der Ukraine verfolgen würde. Da gibt es zum Beispiel die besonders fruchtbare „schwarze Erde“. 45 Prozent des Landes sind Schwarzerdegebiet , das sind fast 9 Prozent der gesamten landwirtschaftlich nutzbaren Schwarzerdefläche der Welt.
Die sowjetische Landwirtschaft hatte zwar die Bodenqualität verschlechtert und das landwirtschaftliche Können in der Bevölkerung gemindert. Aber nun steigen die Erträge rapide an. Bei Gersteexporten steht die Ukraine weltweit an erster Stelle, bei Mais an dritter, bei Weizen an sechster.
Seit 2011 werden Lebensmittelexporte nicht mehr beschränkt. Die chinesische Firma XPCC hat bereits eine Fläche von der Größe Brandenburgs aufgekauft, auf der für den chinesischen Markt produziert werden soll. Aber auch die Anlagemöglichkeiten für europäische Agrochemieunternehmen sind atemberaubend. Für all diese Geschäfte aber braucht die Ukraine Stabilität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“