Debatte US-Terrorbekämpfung: Guantánamo schließen reicht nicht
Der neue US-Präsident wird wohl das Gefangenenlager Guantánamo schließen. Das heißt aber nicht, dass es einen grundsätzlichen Wandel der US-Außenpolitik geben wird.
Bettina Gaus ist Afrika-Kennerin, Buchautorin und politische Korrespondentin der taz.
Die Prognose sei gewagt: Der nächste US-Präsident, ob er nun Barack Obama oder John McCain heißt, wird das Gefangenenlager Guantánamo schließen. Alle Hoffnungen auf eine neue Ära lassen sich damit nämlich relativ einfach bündeln. Es ist nützlich für den Amtsantritt, wenn in Leitartikeln rund um den Globus von der Rückbesinnung auf demokratische Werte nach den dunklen Jahren der Bush-Regierung die Rede ist.
Und dann? Dann wird man abwarten müssen. Denn es geht bei der Bedeutung von Guantánamo schon lange nicht mehr um das Ziel möglichst effizienter Terrorbekämpfung, sondern um Symbolik. Die Abschaffung eines Symbols muss jedoch nicht zwangsläufig die Abkehr von einem politischen Kurs und den damit verbundenen Praktiken bedeuten.
Guantánamo. Wie wohl kein anderer Begriff ist der Name des Lagers zum Inbegriff geworden für den Wandel des politischen Klimas und des politischen Handelns der Vereinigten Staaten nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Guantánamo steht inzwischen für Rechtsbruch, Verfassungsbruch, Preisgabe des Völkerrechts.
Und für eine bittere Ironie: Die Unterbringung der Gefangenen im Niemandsland sollte - auch - die Botschaft aussenden, dass Feinde der Vereinigten Staaten außerhalb der zivilisierten Weltgemeinschaft stehen. Stattdessen kam in weiten Teilen der Erde die Botschaft an, dass die USA sich nicht mehr an die Regeln der zivilisierten Welt zu halten bereit sind. Dass sie sich also selbst außerhalb dieses Teils der Welt gestellt haben.
Aber ist diese Schlussfolgerung eigentlich gerechtfertigt? Ist all die Aufregung über Guantánamo nicht vielleicht übertrieben, nüchtern betrachtet?
Nicht nur in Diktaturen, sondern auch in demokratischen Staaten werden schließlich Grundrechte eingeschränkt oder sogar völlig außer Kraft gesetzt, wenn es gilt, die Allgemeinheit zu schützen - übrigens keineswegs nur im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus. Die Sicherungsverwahrung im deutschen Strafrecht erlaubt es beispielsweise, Häftlinge nach Verbüßung ihrer Strafe auf unbestimmte Zeit einzusperren, wenn sie der Einschätzung von Gutachtern zufolge eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Worin unterscheidet sich diese Praxis eigentlich von Überlegungen, den Fahrer von Ussama Bin Laden nach Ablauf des international als mild bewerteten Strafmaßes von fünfeinhalb Jahren Haft weiter festzuhalten?
Auch das Völkerrecht ist bekanntlich kein in Stein gemeißeltes Gesetzeswerk, das eine präzise Antwort auf jeden möglichen zwischenstaatlichen Konflikt in Gegenwart und Zukunft liefert. So hängt die Frage, wer als Terrorist zu gelten und wer Anspruch auf den Status eines Kriegsgefangenen nach den Bestimmungen der Genfer Konventionen hat, fast überall auf der Welt inzwischen vom Standpunkt des Betrachters ab - und von den Machtverhältnissen.
Kriegerische Auseinandersetzungen werden seit dem Ende des Kalten Krieges ja immer häufiger nicht mehr zwischen regulären Armeen verschiedener Länder ausgetragen, sondern unter Beteiligung von Gruppen, die keine Uniformen tragen und die international nicht als Konfliktpartei anerkannt sind. Was spricht vor diesem Hintergrund eigentlich gegen die Position der US-Regierung, die Gefangenen in Guantánamo als feindliche Kämpfer einzustufen, für die Bestimmungen des humanitären Kriegsvölkerrechts nicht gelten?
Alles spricht dagegen. Und die Empörung - innerhalb und außerhalb der USA - über die Verhältnisse in Guantánamo ist eben nicht übertrieben. Gewiss: dass Regierungen - auch die Regierungen demokratischer Länder - eine Anpassung nationaler und internationaler Regeln fordern, wenn sich Rahmenbedingungen grundlegend verändern, ist nicht nur verständlich, sondern außerdem ihre Pflicht gegenüber den Wählerinnen und Wählern. Also legitim. Was jedoch nicht ihre Pflicht ist, sondern politisches Abenteurertum: jeder auf nationaler oder internationaler Ebene anerkannten Institution die kalte Schulter zu zeigen und deutlich zu machen, dass man sich um universale Regeln nicht schert.
Die amtierende US-Regierung hat im Zusammenhang mit Guantánamo gegen das Folterverbot verstoßen, Kritik von so angesehenen Organisationen wie der UN-Menschenrechtskommission und dem Internationalen Roten Kreuz ignoriert und außerdem das Prinzip der Gewaltenteilung über Bord geworfen. Gerichtliche Auflagen, die den Gefangenen ein Minimum an Rechten einräumen sollten, wurden von ihr bekämpft oder gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Das bedeutet den Abschied von der Bereitschaft, sich überhaupt einem Regelwerk zu beugen, das unabhängig ist von der Machtfrage. Mithin den Abschied von Vertragstreue und Verlässlichkeit.
Die Öffentlichkeit in den USA hat dafür ein feineres Gespür, als ihr gemeinhin in vielen anderen Teilen der Welt zugetraut wird. Die Bereitschaft zu einem politisch-moralischen Wandel fordern nach den Erfahrungen mit George W. Bush jetzt Anhänger beider Parteien, also der Republikaner wie der Demokraten. Die Lügen, mit denen der Irakkrieg begründet wurde und die wachsende Unbeliebtheit der Vereinigten Staaten in weiten Teilen der restlichen Welt haben dazu geführt, dass sich viele US-Bürger derzeit parteiübergreifend nach einem Präsidenten mit diplomatischen Fähigkeiten sehnen. Einerseits.
Andererseits aber wird George W. Bush - ebenfalls über Parteigrenzen hinweg - zugutegehalten, dass es seit dem 11. September 2001 keinen Terroranschlag auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten mehr gegeben hat. Man kann es absurd finden, dies auf die Politik der US-Regierung zurückzuführen oder gar auf die Einrichtung des Lagers in Guantánamo. Man kann zu Recht darauf verweisen, dass Terroristen viel Zeit für die Planung eines Anschlags haben, weil ihr Ziel nicht in der Eroberung eines fremden Landes besteht, sie sich also nicht um die Frage kümmern müssen, wer gerade an der Spitze eines verhassten Staates steht.
All das ändert nichts daran, dass der nächste US-Präsident sich von seinen Wählerinnen und Wählern innenpolitisch auch an der Frage wird messen lassen müssen, ob er Sicherheit für die Bevölkerung wenigstens scheinbar zu garantieren imstande ist. Wenn er den Eindruck der Nachlässigkeit bei der Bekämpfung von Terroristen erweckt, dann dürften sich die meisten Leute weniger für verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Fragen interessieren als dafür, einen Schuldigen für ihre Probleme zu finden. Wie überall sonst auch.
Wer das Lager in Guantánamo ablehnt - und das, wofür es steht - , sollte deshalb aufhören, sich auf Guantánamo zu konzentrieren. Um Mechanismen geht es, nicht um einen Ort. Ob Obama oder McCain die Kraft haben, die Wahl der Instrumente zu korrigieren, entscheidet sich nicht an der Frage ihrer Haltung zum Lager Guantánamo. Jedenfalls nicht allein. BETTINA GAUS
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