Debatte Superwahljahr 2011: Wackeln als Chance
FDP-Chef Rösler wiederholt die Fehler von Westerwelle. Und die Liberalen spielen weiter Opposition in der Regierung. Die Profiteure sind SPD und Grüne.
M edien neigen zur Dramatisierung. Parteien sind demnach immer in irgendeiner Krise, die Regierung ist meistens zerrüttet, das Personal sowieso zerstritten. Wenn man aber eine ganz nüchterne Bilanz der Wahlen in 2011 zieht, stellt sich auch ohne rhetorische Knalleffekte die Frage: Wie lange hält Schwarz-Gelb noch?
Die FDP hat in Berlin weniger Stimmen bekommen als die NPD. Und die Liberalen haben bei allen Landtagswahlen, außer in Hamburg, Debakel erlebt. Umso erstaunlicher ist, wie der Koalitionspartner CDU diesen Absturz kommentiert hat. Immer noch besser eine demoralisierte, am Boden zerstörte FDP als eine die mit Anti-Euro-Stimmung Erfolg hat, so die Einschätzung im Merkel-Lager. Das zeigt, wie stark die Zentrifugalkräfte in dieser Koalition geworden sind.
Die Liberalen werden der Unsicherheitsfaktor in der Regierung bleiben. Sie haben ihren Chef demontiert und eine neue Führung installiert. Genutzt hat das alles nichts. Sogar jetzt fordert niemand in der Partei den Rücktritt von Westerwelle als Minister. Westerwelle taugt nicht mal mehr als Schuldcontainer. So finster sieht es aus.
ist Parlamentskorrespondent der taz.
Auf der Suche nach dem Sinn
Die FDP ist eine Partei auf der Suche nach einem Sinn, ja einem Daseinszweck. Und derzeit haben die Liberalen nur noch zwei Möglichkeiten: Sie können sich in ihr Schicksal fügen und als farblose Regierungspartei, die früher mal die Steuern senken wollte, geduldig auf ihr Ende 2013 warten. Eine solch stille Selbstauflösung widerspricht aber dem Selbsterhaltungstrieb, der noch jeden Apparat antreibt.
Deshalb wird die FDP ihrem Parteichef Rösler folgen, mag der auch noch so überfordert wirken, und sich als maßvolle, halbwegs seriöse euroskeptische Partei profilieren. Wenn sie noch einigermaßen rational tickt, wird sie Schäfflers Rebellen isolieren, die mit Unschuldsmine die Koalition in die Luft jagen wollen.
Stattdessen: Einerseits gibt man sich staatspolitisch verantwortlich, andererseits, wenn es passt, als wackerer Kämpfer gegen Tabus und Denkverbote, der unterdrückte Wahrheiten ausspricht.
Die FDP wird sich dabei nicht in eine rabaukenhafte deutsche Ausführung der Tea Party verwandeln. Was ansteht, ist vielmehr eine Neuauflage des Stücks, das Westerwelle 2010 schon mal - und damals völlig erfolglos - zum Besten gab: Man spielt Opposition in der Regierung. Damals führte sich Westerwelle als Außenminister auf, als würde er noch gegen die rot-grüne Regierung agitieren müssen. Die Zeit für Westerwelles Sozialpopulismus von oben und das Steuersenkungsmantra war 2010 schon abgelaufen.
Rösler tritt jetzt in seine Fußspuren - allerdings weniger dröhnend und mit einer weniger aussichtslosen Idee. Ob Röslers Versuch, den Euroskeptiker in der Regierung zu geben, gelingt, weiß niemand. Doch dies ist die einzige Chance der FDP, die wenigstens eine Hoffnung aufs politische Überleben eröffnet.
Zerbricht die Koalition also?
Bürgerliche Parteien neigen nicht zu jenem Putschismus light, den Gerhard Schröder 2005 an den Tag legte, als er aus Ratlosigkeit Neuwahlen verordnete. Solange die Mehrheit da ist, sitzt man die Sache lieber aus. Angela Merkel hat das Prinzip, abzuwarten, sogar zu ihrem politischen Stil gemacht. Das Szenario, das bevorsteht, ist also nicht die Selbstauflösung, sondern: Jede Woche mit dieser FDP wird für Merkel ein Risiko, jede Abstimmung im Bundestag über neue Eurorettungsschirme ein bisschen Roulettespiel.
So wird Schwarz-Gelb bleiben - und wackeln. Union und FDP werden gewissermaßen mit doppelter Buchführung weitermachen. Merkel wird kalkulieren, wann das sprunghafte Kokettieren der Liberalen mit dem Populismus den Ruf der Union als verlässliche proeuropäische Partei beschädigt. Und wann Neuwahlen das kleinere Übel sind.
Und die FDP wird taxieren, wann sich, gerade wenn die Eurokrise weiter eskaliert, der Ausstieg aus der Regierung lohnt. Die FDP muss dann plausibel machen, dass sie aus Staatsräson und Gewissensnot den Weg in die Schulden-EU nicht mehr verantworten kann und leider die Regierung verlassen muss. Einfach wird das nicht.
Es gibt in den verzweifelten Zukunftsszenarien der FDP einen Mitspieler, der die Überlebenshoffnung der Liberalen abdämpft: den Wähler. Er ist erstaunlich resistent gegen populistische Töne. Während Europaskepsis, Islamfeindschaft und Überfremdungsängste von Österreich bis Frankreich, von Finnland bis zur Schweiz Rechtspopulisten zu traurigen Wahltriumphen verhelfen, kanalisiert sich der Verdruss mit dem politischen Betrieb hierzulande anders: Mal gewinnen die Grünen in Baden-Württemberg, mal libertäre Netz-Piraten in Berlin.
Die Mechanik, dass das Land in Krisen reflexhaft nach rechts kippt, funktioniert nicht mehr. Die Angst, die man den Deutschen routinemäßig attestiert, hat bei den Wahlen 2011 schlicht keine Rolle gespielt. Es kann sein, dass die WählerInnen einfach zu klug für die FDP sind.
Opposition bleibt unsicher
Und die Opposition? Wenn die Regierung instabil ist, muss die Opposition nicht automatisch in blendender Verfassung sein. Ihre Lage ist diffus. Rot-Rot-Grün ist, mangels Interesse bei allen Beteiligten, von der Agenda verschwunden. Die Grünen wollen Rot-Grün, träumen aber heimlich weiter von Schwarz-Grün. Das ist keine so gute Idee: Die Wahl in Berlin zeigt, dass es für Rot-Grün eng wird, wenn die Grünen mit der Union anbandeln. Im Bund wäre Rot-Grün auch bei Neuwahlen keineswegs ein Selbstläufer.
Zudem steht mit der SPD, deren Wahlergebnisse 2011 gemischt waren, keine vitale, selbstbewusste und politisch klar justierte Partei in den Startlöchern. Die SPD fordert zwar Eurobonds, aber ob sie das in der Regierung auch noch meint, weiß sie selbst nicht. Die SPD will zwar Rot-Grün, kokettiert aber mit Peer Steinbrück als Kanzlerkandidaten, der weder die SPD noch die Grünen leiden kann. Klare politische Strategien sehen anders. Die Sozialdemokraten, noch immer nachhaltig erschöpft von ihrer Regierungszeit, brauchen noch eine Weile, um zu klären, was sie wollen.
Vielleicht ist das die Pointe der Situation: Das schwarz-gelbe Beharrungsvermögen nutzt sogar der Opposition.
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