Debatte Strategie Grüne: Jenseits der Lager

Im neuen 5-Parteien-System sollten sich alle Parteien an die Aufgabe machen, sich für neue Regierungsoptionen zu öffnen. Die Grünen-Wähler erwarten das.

Bild: Lali Masriera - Lizenz: CC-BY

Die Grünen sind aus der Bundestagswahl am 27. September 2009 als Gewinner, aber nicht als Sieger hervorgegangen. Wir haben mit 10,7% unser bisher mit Abstand bestes Ergebnis erzielt. Aber wir haben wichtige Wahlziele verfehlt: Wir sind nicht drittstärkste, sondern wieder nur fünfte Kraft geworden. Schwarz-Gelb haben wir nicht verhindert. Von den 4,5 Millionen Wählerinnen und Wählern, die die SPD verloren hat, haben sich im Saldo nur rund ein Sechstel für Grün entschieden – weniger als für Union und FDP.

Ausschließeritis war all überall

Ausschließeritis, dieser aus bekannten Gründen vom hessischen Landesvorsitzenden der Grünen Tarek Al-Wazir eingeführte Begriff, hat den Bundestagswahlkampf geprägt: Die SPD hat Rot-Rot-Grün ausgeschlossenen, die FDP die Ampel. Die Linke setzte ganz im Lafontaine-Stil auf Opposition. Wir Grüne haben Jamaika ausgeschlossen. Schwarz-Grün haben wir ignoriert. Zu Rot-Rot-Grün haben wir uns kaum verhalten, sondern auf die Probleme der jeweils anderen verwiesen. Durch die strategische Verengung der Grünen auf die Ampel hatte Guido Westerwelle die Entscheidungsmacht darüber, ob Bündnis 90/Die Grünen eine Regierungsperspektive haben. Wir hatten sie nicht.

Optionsmangel als Demokratieproblem

Für die Wählerinnen und Wähler gab es so nur noch zwei Mehrheitsoptionen: Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb. Wer die amtierende Bundesregierung abwählen wollte, musste also nicht grün, sondern FDP wählen – für viele eine unbefriedigende Situation.

Im neuen Fünfparteiensystem sollten sich alle Parteien an die Aufgabe machen, sich für neue, riskant erscheinende Regierungsoptionen zu öffnen. Wir sind der Überzeugung, dass die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler von uns Grünen wie von den anderen Parteien diesen Mut erwarten.

Grüne Eigenständigkeit

Wie viele grüne Wählerinnen und Wähler bereits bei der Bundestagswahl auf grüne Eigenständigkeit gesetzt haben, zeigt sich an ihren Erststimmen-Entscheidungen: Grüne haben rund doppelt soviel Erststimmen wie Zweitstimmen dazugewonnen. Grüne in Hessen, Baden-Württemberg, Bayern oder jüngst in Schleswig-Holstein haben bereits gezeigt, dass ein offener Kurs der Eigenständigkeit erfolgreich ist, weil die Wählerinnen und Wähler uns an den Inhalten messen.

Künftig muss deshalb gelten: Wir setzen ausschließlich auf GRÜN! Wir sind eine Inhalte- und Ideenpartei. Wir sind keine Koalitionsanhängsel. Wir sind nicht Schwarz-Grün oder Rot-Grün, sondern Grün. Wer mit uns regieren will, muss unsere Kernforderungen erfüllen. Darunter sind wir nicht zu haben. Die Ökologie ist unser Grundwert. Es ist gerade unsere Aufgabe, uns mit all unserer politischen Kraft gegen den Klimawandel zu stemmen und daran mitzuwirken, dass die besonders die Industrieländer die Weichen auf Nachhaltigkeit stellen. Fragen der Gerechtigkeit und der Freiheit überlassen wir nicht den anderen, sondern erarbeiten dazu immer wieder neue Antworten aus grüner Sicht. Wir sind unser eigenes grünes Lager!

Grünes Rechts-Links-Schema aufbrechen

Jenseits der klassischen politischen Lager zu agieren, wird nicht immer leicht sein. Es gibt dabei keine Äquidistanz zu unseren Wettbewerbern. Wir stehen in klarer Opposition zu Schwarz-Gelb im Bund und werden den Atomausstieg mit aller Kraft verteidigen.

Dazu gehört auch, das Rechts/Links-Denken innerhalb unserer Partei überwinden. Es frisst Kraft, die wir für die Durchsetzung unserer politischen Ziele brauchen. Wir brauchen eine neue Offenheit miteinander und müssen die Kultur der lebendigen Debatte pflegen. Grüne Realos müssen sich aufmachen und Themenverbündete bei linken gesellschaftlichen Kräften und bei der Partei der Linken suchen. Parteilinke sind gefordert, mit den progressiven Kräften auf der konservativ-liberalen Seite der Gesellschaft Gemeinsamkeiten auszuloten und sich mit Union und FDP neu zu befassen.

Nur mit dieser neuen Offenheit können wir gemeinsam erarbeiten, welche Wege gangbar sind und welche nicht. Es muss Schluss damit sein, dass wir uns gegenseitig einmauern. Wenn wir uns gemeinsam erneuern und bereit sind zu hinterfragen, werden wir als Bündnis 90/Die Grünen stärker werden.

Grüne Ideen durchsetzen

Und nicht zuletzt brauchen wir neue Antworten auf neue Herausforderungen, bei denen das klassische Lagerdenken nicht weiterhilft. So ist der virtuelle Lebensraum heute für Millionen von Menschen ein realer. Grüne Netzpolitik für ein freies Netz für mehr Demokratie, Transparenz und Entfaltung muss ein Querschnittsthema werden in einer Gesellschaft, in der sich Öffentlichkeit und Kommunikation rasant wandeln. Die wirkliche Gleichstellung der Geschlechter funktioniert nur über ein konsequent eingefordertes und tatsächlich gelebtes modernes Männer- und Väterbild. Die Wachstumsfrage muss wieder ebenso wie Lebensstil- und Konsumfragen ins Zentrum grüner Programmatik. Angesichts des Klimawandels sind wir verpflichtet, auch unbequeme Forderungen zu stellen. Grüner Leben ist der Trend der neuen Zeit.

Grüne Ideen sind heute mehrheitsfähig von der nachhaltigen Wirtschaftsweise bis hin zu einer gerechteren Bildungspolitik. Der Green New Deal und die grüne Marktwirtschaft sind zentrale Bausteine einer neuen kraftvollen Programmatik, von der aus wir Taktgeber und Antreiber für künftige Gestaltungsspielräume sein werden. Möglichst viele grüne Inhalte umzusetzen, das ist unser Ziel. In den Ländern erarbeiten wir uns heute schon neue grüne Optionen und Gestaltungsspielräume. Wir wollen den Pfad der grünen Eigenständigkeit ausbauen und stärken. Grün ist, was zählt!

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