Debatte Sportfunktionäre: Fürsorgliche Belagerung
Die deutschen Sportfunktionäre reden gern vom "mündigen Sportler". Doch sie tun viel dafür, dass engagierte Athleten bei den Olympischen Spielen keine Kritik an China üben.
Sie sagen, der Sport habe keinen direkten Einfluss auf politische Entscheidungen. Sie sprechen von der Chance für China, von der Chance auf einen gesellschaftlichen Wandel. Sie sprechen von einem Geschenk, das man den Chinesen, dem größten Volk der Erde, irgendwann einmal habe machen müssen, das man ihnen einfach nicht mehr wegnehmen dürfe. Sie sprechen von Frieden.
Andreas Rüttenauer, geboren 1968, ist seit 2006 Sportredakteur der taz. Im Sommer wird er nach Peking reisen, um von den Olympischen Sommerspielen zu berichten.
Die führenden Sportfunktionäre im Internationalen Olympischen Komitee, sie schwingen große Reden, besingen die Werte des Sports. Vor allem eine Tugend wird von ihnen hochgehalten: die Fairness. Die Sportler sollen fair sein nicht nur im Wettkampf, sondern auch abseits der Wettkampfstätten.
Es sind vor allem Sportfunktionäre und -politiker, die immer vom großen Traum sprechen, der eine Teilnahme an Olympischen Spielen für einen Sportler darstellt. Gleichzeitig sollen die Athleten aber die Klappe halten. Schließlich wissen die Funktionäre, welches Regime in China herrscht, und wollen von demonstrierenden Sportlern und kritischen Athleten nicht täglich daran erinnert werden, dass sie es waren, die einer Diktatur 2001 mit der Vergabe der Spiele zum Bau einer großen Showbühne verholfen haben.
Wenn ein Athlet partout nicht damit leben kann, dass er die größten Stunden seines sportlichen Lebens in einem Unrechtsstaat verleben muss, dann darf er sich zwar denken, was er will, sollte sich aber ganz genau überlegen, was und wo er etwas dazu sagt.
Der Deutsche Olympische Sportbund, dessen Präsident Thomas Bach auch der zweithöchste Vertreter der internationalen Olympischen Bewegung ist, hat die wohl absurdeste Verhaltensregel für die Olympioniken formuliert, die man sich vorstellen kann. Die Sportler dürften, so Bach, ihre Meinung frei äußern, wenn sie sich dabei an die Olympische Charta hielten, in der ja stünde, dass sie ihre Meinung eben nicht äußern dürfen. Insofern passen die Spiele ganz gut nach China.
In der Tat schreibt Regel 51 der Olympischen Charta fest, dass politische Meinungsäußerungen am jeweiligen Olympiaort zur Zeit der Spiele verboten sind. Es ist diese Regel, an die sich die Sportfunktionäre der Welt klammern, als drohe der Untergang der olympischen Bewegung, wenn sich ein Athlet einen Button anheftet, auf dem nichts weiter steht als beispielsweise: "Für eine bessere Welt". Französische Olympioniken wollen das tun.
Auch deutsche Spitzensportler machen sich Gedanken darüber, wie sie sich in Peking verhalten sollen, wie sie ihr Unbehagen dem chinesischen Regime gegenüber zum Ausdruck bringen können. Sie wollen zu olympischen Ehren kommen, wollen aber nicht verschweigen, dass sie lieber anderswo darum kämpfen würden. Doch das ebenso harmlose wie populäre Armband mit der Aufschrift "Sports for Human Rights", für das sich etliche deutsche Sportler interessieren, wird in Peking nicht erlaubt sein, solange Sportführer wie Bach das Sagen haben.
Wer wird schon von solchen Funktionären eine Stellungnahme zur Menschenrechtssituation in China erwarten, eine kritische zumal, wenn sie sogar eine geheim verlaufende Fackellaufetappe allen Ernstes als friedlich bezeichnen, obwohl das olympische Feuer von mehreren Polizeihundertschaften gesichert werden musste. Die Politik befindet sich nach wie vor im Stadium der Meinungsfindung - und Kanzlerin Angela Merkel ist wahrscheinlich heilfroh, dass sie sowieso keine Reise zu den Spielen gebucht hatte. Der Verweis auf den Terminkalender ist jedoch kein Ersatz für eine politische Stellungnahme.
Richtig ernst genommen werden die Sportler nicht. Sie müssen alleine damit zurechtkommen, dass sie zum Teil einer Masseninszenierung eines inakzeptablen Regimes gemacht werden. Nur die ganz Selbstbewussten äußern ihre Zweifel öffentlich. So wie Judo-Olympiasiegerin Yvonne Böhnisch, die der Eröffnungsfeier in Peking ebenso fernbleiben will wie Fechterin Imke Duplitzer. Die meisten deutschen Athleten jedoch sind derart verunsichert, dass sie jede Stellungnahme zum Thema Tibet und Menschenrechtsverletzungen meiden.
Trainer agieren dabei nicht selten als verlängerter Arm der Funktionärselite. Sie raten ihren Sportlern davon ab, sich zu äußern. Als die Eishockey-Nationalmannschaft der Frauen vergangene Woche in China bei den Weltmeisterschaften spielte, gab es für die Spielerinnen eine klare Ansage. "Wir haben die Mannschaft angewiesen, das Thema außen vor zu lassen", sagte Bundestrainer Peter Kathan.
Sogar Wintersportler müssen schweigen, obwohl sie im August in Peking sicher nicht dabei sein werden und dementsprechend bei ihrer WM der olympischen Charta gar nicht unterliegen. Sie wurden dennoch angewiesen, den Mund zu halten. Ulrich Schreck, Bundestrainer der Florettfechter, hat seinen Athleten geraten, sich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Andernfalls breche eine Medienlawine über die Sportler herein. Und das wiederum schlage sich dann auf die sportliche Leistung nieder. Einschüchterung könnte man das nennen. Auf jeden Fall ist es eine sportlich begründete Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung.
Die Athleten, die gerne als "mündige Sportler" bezeichnet werden, sollen kuschen: Sie sollen funktionieren und mitmarschieren. Dabei wäre es gar nicht so schwer, den Sportlern unter die Arme zu greifen. So wäre doch problemlos eine Presseerklärung des Deutschen Olympischen Sportbundes möglich, in der es hieße: "Wir unterstützen alle Athleten, die sich während der Spiele öffentlich für die Menschenrechte in China und überall auf der Welt einsetzen." Oder würde ein derartiger Satz die olympische Bewegung wirklich zum Einsturz bringen?
Wie wäre es mit einer Vollversammlung aller deutschen Olympiateilnehmer vor der Abreise zu den Spielen, einer Versammlung, auf der Athleten ihre Bedenken äußern, ihre etwaigen Protestpläne vorstellen können. Auch könnte die Teilnahme an der Eröffnungsfeier zur Abstimmung gestellt werden. Und wenn die Athleten es nicht wünschen, dann würde eben keine deutsche Mannschaft an den Staats- und Parteiführern vorbeidefilieren. Der deutsche Sport könnte sich als demokratisches Aushängeschild präsentieren, ohne dass gleich eine sportpolitische Revolution vom Zaun gebrochen werden müsste. Nein, es wäre wirklich nicht schwer, die Sportler als mündige Bürger zu behandeln.
Mit machthungrigen Funktionären wie Thomas Bach ist eine derartige Wende im deutschen Sport allerdings nicht zu erwarten. Schließlich will Bach einmal Präsident des IOC werden. Nicht zuletzt deshalb müssen bei der Eröffnungsfeier in Peking deutsche Sportler an einer internationalen Parade zur Feier chinesischer Herrlichkeit teilnehmen. Sie müssen Bachs Vorstellungen von olympischer Fairness folgen. Und wer das kritisiert, handelt unsportlich und wird von Bach und seinen Funktionärskollegen bestraft - mit Ausschluss von den friedlichen Olympischen Spielen. ANDREAS RÜTTENAUER
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