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Debatte Soziale SicherungssystemeRun auf den Sozialstaat

Kommentar von Ursula Engelen-Kefer

Wer mit Steuergeschenken Wahlkampf macht und die Senkung der Renten fordert, zerstört mutwillig die sozialen Sicherungssysteme.

Die Truppen zur Zerstörung des Sozialstaates formieren sich und zwar quer durch die Parteien. Allen voran schreiten die populistischen Steuersenker in CSU, CDU und FDP, indem sie Steuergeschenke bis zu 80 Milliarden Euro pro Jahr versprechen.

Ihnen auf dem Fuße folgt das Abrisskommando für die gesetzlichen Altersrenten. Peer Steinbrück, Bundesfinanzminister der SPD, macht gemeinsame Sache mit den jungen "Wilden" in CDU und CSU. Und die FDP? Die fordert in ihrem Wahlprogramm einen drastischen Abbau der gesetzlichen Altersrente und propagiert mit Vehemenz die private Altersvorsorge. Schützenhilfe beim Rentenbashing erhält sie übrigens von hoch dotierten Professoren, denen die Finanzindustrie teilweise kräftig die Kassen füllt - namentlich sind hier etwa Bert Rürup, Bernd Raffelhüschen oder Axel Börsch-Supan zu nennen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Bild: archiv

Ursula Engelen-Kefer ist promovierte Volkswirtin und war von 1990 bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des DGB. Zudem ist sie Dozentin für die Bundesagentur für Arbeit. Seit 1986 ist sie Mitglied des Parteivorstands der SPD und kandidiert 2009 in Ingoldstadt für den Bundestag.

Insgesamt schrecken Spitzenpolitiker und Mitglieder der höheren Ränge unserer Wirtschaftswissenschaften mit hohen und sicheren Pensionsansprüchen - 20- bis 40- oder gar 50-mal so hoch wie ein Durchschnittsrentner nach 45 vollen Beitragsjahren - nicht davor zurück, den Generationenkonflikt zu schüren. Dabei sollten sie sich lieber um die Hunderte von Milliarden Euro schweren Belastungen sorgen, die der jüngeren Generation aufgrund des Versagens der Finanzbranche und ihrer Aufsichtsinstanzen aufgebürdet werden: seien es Landesbanken, die zur KFW gehörende Industriekreditbank oder die Hypo Real Estate.

Umso wichtiger ist es daher, dass es Bundesarbeitsminister Olaf Scholz gelungen ist, gegen ein Heer von Lobbyisten der Finanzbranche einen wesentlichen Eckpfeiler unseres Sozialstaates - die gesetzliche Rentenversicherung - zu stabilisieren. Selbst wenn dies den nahenden Bundestagswahlen geschuldet ist: Damit haben über 20 Millionen Altersrentner nach vielen Jahren Nullrunden, zweistelligen Kaufkraftverlusten und stetig steigenden Belastungen für Gesundheit und Pflege erstmalig wieder etwas mehr im Portmonee. Politik und Wissenschaft wären gut beraten, wenn sie diesen Weg der Sanierung der gesetzlichen Altersrenten für die zukünftigen Generationen weiter beschreiten würden. Dafür allerdings müssten sie die verlogene Debatte beenden, die behauptet, bei der Anhebung der Altersrenten in diesem Jahr gehe es um ein ordnungspolitisches Vergehen gegen die lohnbezogene dynamische Altersrente. Richtig ist, dass dieses Prinzip am gravierendsten durch die willkürliche Absenkung des Rentenniveaus bei der Riesterreform 2001 verletzt wurde. Seitdem müssen auch die Erwerbstätigen, die nicht "riestern", mit ihren Steuern die Förderung der Riesterrente vor allem für die höheren Einkommensbezieher mitfinanzieren. Im Jahr 2009 handelt es sich dabei um einen Betrag von 12,5 Milliarden Euro.

Erst kürzlich haben die amtlichen Rentenberichte vor einem massenhaften Anstieg der Altersarmut gewarnt. Dringend notwendig ist folglich die Wiederherstellung der Lohnbezogenheit der Rente. Die Politik muss die Menschen aus dem Griff der Finanzlobby befreien. Den Gipfel der Schamlosigkeit leistet sich die Deutsche Bank, die bekanntlich bei der "Versorgung" der Anleger mit toxischen Papieren maßgeblich beteiligt war. In einem Werbebrief, der mit dem Briefkopf "Deutsche Rentenversicherung Bund" versehen war, schürte sie Panik, indem sie auf niedrige staatliche Rentenleistungen verwies. Auf der zweiten Seite erfolgte dann die Werbung für die eigenen Altersvorsorgeprodukte. Bleibt nur zu hoffen, dass die Gerichte solchen Praktiken zukünftig einen Riegel vorschieben werden.

Neuerdings nun wird auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) ins Visier der "Sozialabbauer" genommen. Und es kommt, wie es kommen muss: Entgegen mannigfacher Warnungen wurden die Beiträge seit 2006 von 6,5 Prozent auf jetzt 2,8 Prozent halbiert. Dies entspricht einer zusätzlichen Konjunkturspritze für Arbeitgeber und Arbeitnehmer von etwa 30 Milliarden Euro im Jahr - unzweifelhaft eine hilfreiche Stärkung der Binnenkonjunktur. Die BA aber steht dadurch mitten in der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise da wie der "Kaiser ohne Kleider".

Gefledderte Agentur für Arbeit

Hinzu kommt, dass die Politik der BA immer neue Lasten aufgebürdet hat, die richtigerweise von allen Steuerzahlern hätten aufgebracht werden müssen: Unkompensiert sind nach wie vor die sich auf Hunderte von Milliarden Euro belaufenden Rechnungen aus den Transfers von West nach Ost zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Die wiederum ist das Ergebnis einer fehlgeleiteten deutschen Wirtschaftseinheit.

Ebenso wenig zu rechtfertigen sind die milliardenschweren Belastungen der BA mit den notwendigen Investitionen in unsere Schulsysteme und mit den wachsenden Aufwendungen für die Programme für benachteiligte Jugendliche. Mit der unverfrorenen Belastung der Beitragszahler mit den Kosten einer Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose geht die Politik rücksichtslos über die von ihr selbst aufgestellten Grundsätze für Hartz IV hinweg: nämlich die Finanzierung von ALG I (aus Beiträgen) von der Finanzierung von ALG II (aus Steuern) zu trennen. Verheerenderweise fordert nun die FDP in ihrem Wahlprogramm, dass die BA ganz aufgelöst wird und die Arbeitnehmer damit in die Fänge privater Versicherer getrieben werden.

Dies alles zeigt deutlich die negativen Folgen der Politik einer radikalen Beitragssenkung bei gleichzeitig dramatisch steigender Belastung. Insofern müssen beide "Stellschrauben" korrigiert werden. Solange die Krise andauert, müssen die gesamtgesellschaftlichen Lasten der BA vor allem für die konjunkturbedingte Kurzarbeit durch Steuern ausgeglichen werden. Wenn die Haushaltsexperten von CDU/CSU und SPD unisono warnen, die Ausgabendisziplin bei der BA ginge durch eine solche Unterstützung verloren, muss dies in den Ohren der betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitslosen wie Hohn klingen.

Bleibt zu fragen: Wo ist denn die Disziplin der Politik, die über Jahrzehnte eigene Aufgaben und Ausgaben auf Beitragszahler und Leistungsempfänger der Sozialen Sicherung verschiebt? Zur Läuterung ist es nie zu spät.

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5 Kommentare

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  • A
    Andreas

    @Emil

    Es geht nicht gegen Gewerkschaften und gegen den DGB, aber was Hartz-IV (ALG II) angeht, haben die sich nicht mit Ruhm bekleckert. Und die Ausführungen der Kollegin Engelen-Kefer müssen einen verwundern vor dem Hintergrund, dass es in Deutschland bereits eine programmierte Altersarbeitslosigkeit gibt und geben wird. Das überdecken momentane Rentner mit ihren Auslandsreisen und noch ziemlich guten Renten und Vermögen.

    Was ich nur sagen will: Es muss politisch viel geändert werden, damit mehrere Millionen Deutsche nicht eine Armutsrente erhalten und auf soziale Milde durch Suppenküchen, Kirchen und karitative Einrichtungen angewiesen sind.

    Und da finde ich den DGB sehr milde gegenüber den neoliberalen Politikern. Gerade gegenüber der SPD haben sich Gewerkschaften ganz schön zurück gehalten und wurden ja belohnt (Kurzarbeitergeld, Rettung für Banken, Opel, Schäfler etc.).

    Im Übrigen würden ein oder zwei Millionen Gewerkschaftsmitglieder politisch kaum was ändern. Man sollte sich daran erinnern, dass Anfang der 1990er fast 12 Millionen Mitglieder gab - was änderte das damals? Es gingen dennoch Millionen Arbeitsplätze verloren - politisch regierte das bürgerliche Lager. Also die Anzahl der Mitglieder macht nicht den Unterschied (auch wenn mehr besser ist als weniger)...

  • E
    Emil

    @Andreas: gegen die Gewerkschaften zettern, ist das eine und das leichteste.

    Was aber tun wir selber, organisieren wir anderen, wer ist Gewerkschaftsmitglied, um die Durchsetzungsfähigkeit dieser Organisation zu erhöhen?

    Der DGB ist, trotz aller berechtigter Kritik, noch eine der wenigen Organisationen in dieser Republik, die auch das Wohl der sogen. 'Normalos' nicht aus den Augen verliert.

    Und über die auch die neoliberalen Parteien, von denen mit dem C über die FDP, die Neo-Grünen bis zur Agenda-SPD, nicht einfach hinweggehen können.

    Wie sähe das Land aus OHNE DGB?

    Wohl Agenda 2010 und Neoliberalismus ohne Abstriche.

  • W
    WaltaKa

    Vielleicht habt ihr es auch schon bemerkt, langsam kommen die Vorbeter des Neoliberalismus aus Medien, Wirtschaft und Politik wieder aus ihren Palästen, in die sie sich zu Beginn der Krise zurückgezogen haben.

    Und die neoliberalen Wandlungskünstler aus CDU,CSU,SPD, FDP, den Grünen, Herr Sinn von ifo, die Initiative-neue-soziale-Marktwirtschaft, sogen. Ökonomen, die Vertreter von BDI, vielen Medien usw, die erst den Staat verteufelten, ihn dann zum Handeln aufforderten, werfen nun den Schafspelz wieder ab und schreien nach 'Deregulierung'. Man merkt es in Zeitungen, im Fernsehen, in Diskussionsrunden....

    Das Problem, sagen sie uns, waren die Banker. Alleine. Kein Wort von der Politik (Schröder und seine SPD-Kumpels, der Grünen-Fischer und Co. in Kooperation mit CDU/CSU, FDP im Bundesrat), die erst für die nötigen Rahmenbedingungen gesorgt hat.

    Also, auf ein Neues.

    Wieviele Arbeitslose werden erwartet? Wieviele werden aktuell in der Statistik weggeschönt? Wieviele Millionen können alleine von ihrem Lohn nicht leben? Und Armut in Deutschland, Kinderarmut gar...ein Thema? Ach was.

    Die Einflußreichen drehen aktuell das Rad wieder zurück, noch langsam, aber bereits schneller werdend. Es wird für viele in dieser Republik nach dem 27.9. ein böses Erwachen werden.

  • A
    Andreas

    Ich kann mich gut erinnern, als Michael Sommer in Berlin rief: Wir kommen wieder. Er hatte damals mit Tausenden Menschen gegen die unwürdigen Hartz-Gesetze demonstriert. Aber Sommer kam nie wieder, sondern er verhandelte mit der Regierung und setzte ein paar DGB-Forderungen durch, und zwar ausschließlich für Arbeitnehmer in richtigen Arbeitsstellen.

    Die Langzeitarbeitslosen kommen seither beim DGB kaum noch vor. Mehrere Tausend 1-EURO-Jobs haben rictiggehend Branchen ausgedünnt oder wettbewerbsverzert (Garten- und Landschaftsbau, öffentliche Müllreinigung), aber der DGB schwieg.

    Deswegen habe ich beim Lesen hier das Problem, dass ich Ursula Engelen-Kefer nicht ganz glaube. Ob die Rente wirklich sicherer durch Scholz geworden ist?

    Die SPD steuert gerade auf eine historische Niederlage zu und es sieht so aus, als ob die Partei entweder hart mit sich selbst ins Gericht geht und sich sozialpolitisch nochmals neu erfindet oder sie wird auf das Niveau von 20 bis 25-Prozent sinken. Wie soll so eine Partei noch Einfluss auf die Rentenpolitik ausüben?

    Die nächste Regierung erhält doch durch Riester einen Fahrplan zur Absenkung der staatlichen Renten.

    Das bedeutet gerade für die Langzeitarbeitslosen Altersarmut. Und bei den stetigen Rückzugsgefechten könnte man vermuten, dass es wohl noch stärker bergab gehen könnte. Da aus der Wiedervereinigung immer noch kein sozial und ökonomisch funktionierendes Land geworden ist, könnten weitere Kürzungen und Einsparungen notwendig werden.

    Die würden nicht notwendig sein, wenn die Regierung sich für eine andere Wirtschaftspolitik entscheiden würde. Das hat aber weder die SPD/Grüne getan, noch wird dies aller Voraussicht die neue Regierung machen. Die werden alle mit einer Mixtur aus neo-liberalen und sonstwie liberalen Mischungen weiterarbeiten.

    Das bedeutet sie werden eine Anti-Inflationspolitik betreiben, nicht in Bildung investieren, nicht in Kindergärten oder andere soziale Einrichtungen investieren und sie werden auch die Wissenschaft nicht groß fördern, sonder sogar sparen und alles auf vermeidlich profitable Bereiche konzentrieren, ohne freilich dafür wirklich Renditen zu sehen, denn die werden von großen Unternehmen privatisiert.

    Und bei so einer Ausgangslage wird es zu wenig Beiträge in die Rentenkasse geben.

    Es müssten also theoretisch alle zum Beitrag gezwungen werden - inklusive der Beamten.

    Aber auch das wird nicht passieren und so steht heute eigentlich fest, dass die Rente nicht so sicher ist wie es scheint.

    Und vor allem die Rentenhöhe und die Absicherung gegen Altersarmut ist gar nicht gewährleistet. Wenn ein Mann oder eine Frau mit langen Erwerbspausen und ALG-II-Bezug in die Rente geht, muss er oder sie schon ein dickes Erbe mitbringen, um nicht zu verarmen. Der Grund dafür liegt in den privat zuzuzahlenden Ausgaben für Gesundheit. Die kommenden Generationen werden sehr lange leben und entsprechend viel und lang für Medikamente bezahlen müssen.

    Dafür reicht aber die abgesenkte staatliche Rente nicht aus. Da Riester-Renten aber verrechnet werden, helfen selbst diese Zusatzrenten nicht. Im Prinzip muss also jeder Bürger mit einem entsprechenden Sparvermögen in die Rente gehen.

    Und genau dieses Sparvermögen können Bezieher von ALG II (Hartz) gar nicht ansparen oder über ihre Erwerbsbiographie behalten.

    Und das wäre ja wohl das mindeste gewesen, was Scholz hätte machen sollen, dass ab dem 45. Jahr ein Vermögen von 100.000 EURO behalten werden kann. Das ist nämlich eine Summe, die wohl ausreichen könnte, um Gesundheitsausgaben im Alter noch tragen zu können.

    Insofern verstehe ich das Lob von Ursula Engelen-Kefer für diese knallharte und in meinen Augen stark anti-gewerkschaftliche Politik der SPD nicht.

    Ich denke, dass keine andere Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik eine so prekäre Rentenstruktur geschaffen hat, wie die SPD und besonders Walter Riester (er selbst aus dem Vorstand der IG Metall in dieses Amt gewechselt).

    Das erste Ziel des DGB müsste doch sein, dafür zu sorgen, dass es nicht zu menschenunwürdigen Altersarmutsstrukturen kommt?

    Wer will schon 2040 oder 2055 80-jährige sehen, die vor einem Supermarkt betteln oder die sich keine normale Kleidung mehr leisten können?

    Ich befürchte, dass dies aber genau das Bild in vielen deutschen Städten und Gemeinden sein wird.

    Vielleicht sollte der DGB mal seine sozialpolitischen Grundsätze erneuern und nur und zwar ganz ausschließlich für die Interessen der Mitglieder und der Arbeitnehmer Politik machen. Und das bedeutet auch für Arbeitslose, denn lückenlose Erwerbsbiographien sterben gerade aus...

  • V
    vic

    Sie haben ja so recht.

    Aber solange Regierungsmitglieder von dieser Praxis selbst profitieren und trotzdem gewählt werden, wird sich nichts daran ändern.

     

    "Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,

    Ich kenn auch die Herren Verfasser;

    Ich weiß, sie tranken heimlich Wein

    Und predigten öffentlich Wasser."

     

    [Heinrich Heine]