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Debatte Schwarz-GrünDann machen wir es eben

Kommentar von Albrecht von Lucke

Vom Hirngespinst zur Option der Stunde: Grüne und CDU verbindet mehr, als das Führungspersonal derzeit zuzugeben bereit ist.

D er Niedergang der Sozialdemokratie, ihr Absturz auf knapp 21 Prozent bei den Europawahlen und in den aktuellen Umfragen, ist eine Zäsur. Doch der Zusammenbruch der SPD setzt den Einschnitt nicht allein. Was die Zäsur historisch macht, ist der deutliche Stimm- und Popularitätsgewinn der Grünen. Denn dieser Zuwachs hat weitreichende Konsequenzen für die gesamte politische Statik des Landes.

Albrecht von Lucke

Jurist und Politikwissenschaftler, ist Redakteur der "Blätter für deutsche und internationale Politik" (www.blaetter.de). Zuletzt erschienen von ihm "68 oder neues Biedermeier" und "Die gefährdete Republik" (beide bei Wagenbach).

Angesichts der strategischen Aussichtslosigkeit von Rot-Grün und der inhaltlichen Unvereinbarkeit der Parteien in Ampel- und Jamaika-Koalition stand bei der kommenden Bundestagswahl bisher nur eine eindeutige Richtung zur Wahl: Schwarz-Gelb. Doch seit den Europawahlen gibt es eine zweite mögliche Konstellation, nämlich Schwarz-Grün. 2005 erzielten Bündnis 90/Die Grünen 8,1 Prozent. Sollten sie ihr jüngstes Europawahlergebnis wiederholen, kämen sie dagegen auf gut 13 (oder mehr) Prozent und könnten mit einer Union um die 35 Prozent im Herbst koalieren (aufgrund der wirkungslosen Stimmen für Splitterparteien würde dies für die absolute Mehrheit reichen).

Wenn es der Sozialdemokratie nicht bis zum Herbst gelingt, ihren Niedergang zu stoppen, werden wir es in Zukunft mit einem gänzlich anderen Parteiensystem zu tun haben. Anstelle der klassischen Konstellation aus einem linken und einem rechten Lager würden zwei "bürgerliche Parteien", FDP und Grüne, um die Union als schwarze Sonne kreisen, während SPD und Linkspartei sich, um im Bilde zu bleiben, in anderen, fernen Galaxien tummeln, die mit Regierungsmacht wenig zu tun haben. Die Union hätte die freie Auswahl; die Linke dagegen wäre als politische Strömung strukturell regierungsunfähig.

In dem Maße, in dem die Bindekräfte der SPD schwinden, wirkt die Verlockung der Macht - insbesondere bei den Grünen, die sich immer stärker der Union öffnen. Vorreiter sind, nachdem die Koalition in Hamburg bereits die Tür geöffnet hatte, die Großstädte im Süden der Republik. Ob Stuttgart, Freiburg oder Frankfurt: Überall stehen die Zeichen auf Schwarz-Grün.

Doch auch auf Bundesebene könnten wir es schneller als bisher angenommen mit einer schwarz-grünen Koalition zu tun bekommen. Bereits heute wird eifrig an derartigen Konzepten gearbeitet. Grüne Vordenker wie Joscha Schmierer und Ralf Fücks wollen in ihrer Partei bereits eine "neue Volkspartei" erkennen, die keinem Lager mehr zugehörig ist, sondern Äquidistanz zu SPD und Union hält, um auf diese Weise der babylonischen Gefangenschaft der SPD zu entkommen.

Auch die Beschlusslage der Grünen ist bezüglich Schwarz-Grün völlig offen, da der Wahlparteitag lediglich einer Jamaika-Koalition eine Absage erteilte. Inzwischen schließt Renate Künast eine Koalition mit der Union nach der Bundestagswahl nicht mehr aus. "Das Wort ,verschließen' passt nicht auf unsere Situation", teilte Künast dem Hamburger Abendblatt mit. Man müsse "jede Chance, die es gibt, nutzen", um eine ökologisch-soziale Politik zu ermöglichen. Und der zweite Spitzenkandidat, Jürgen Trittin, sagte in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung: "In allen zentralen Punkten geht für die Grünen nichts mit CDU und FDP." Und weiter: "Unsere Eckpunkte sind mit Jamaika nicht zu verwirklichen. Deswegen haben wir diesem Bündnis eine Absage erteilt." Ausdrücklich nur "diesem Bündnis" - aus Union und FDP. Nachtigall, ick hör dir trapsen, sagt dazu der Berliner.

Eines ist gewiss: Den Rückhalt wesentlicher Medien hätten die Protagonisten einer schwarz-grünen Koalition sicher. Die Hamburger Troika - Zeit, Spiegel, Stern - hat ihre einstige Verbundenheit mit der SPD längst abgelegt. Insbesondere die inzwischen eher liberal-konservative Zeit drängt seit langem auf eine neue "bürgerliche Koalition" von Grünen und Union. In den Grünen sieht man hier den eigentlichen liberalen Sachwalter eines ökologisch-aufgeklärten Bürgertums, die FDP um Guido Westerwelle gilt dagegen als vulgärer Marktschreier einer unappetitlich gewordenen Regulierungsfeindschaft.

Gewiss, noch erscheint fraglich, ob die Union für ein derartiges Bündnis auf Bundesebene bereit wäre. Bei Angela Merkel dürfte man daran weniger Zweifel haben als bei der CSU. Allerdings signalisierte Wirtschaftsminister zu Guttenberg soeben bereits sein Interesse; man müsse da "viel beweglicher werden".

Für ein solches Bündnis spricht in der Tat das gemeinsame strategische Interesse von Grünen und Union. Für die Union hätte die Konstellation zwei entscheidende Vorteile: Zum Ersten wäre mit einer Koalitionsalternative das Erpressungspotenzial der FDP als bisher einziger möglicher Partner einer kleinen Koalition gebannt. Zum Zweiten gab es unter wertkonservativen Aspekten immer schon Berührungspunkte zwischen Union und Grünen, während die fast ins Anarchistische gehende Staatsfeindschaft der Westerwelle-FDP die sozialstaatsorientierte Wählerschaft der Union eher abschreckt - und sich als gefährlicher Bumerang im Wahlkampf erweisen könnte.

Mittelfristig wird die Union, so sie gut beraten ist, wie die Grünen gleichen Abstand zu beiden Parteien halten und sich ihren jeweiligen Koalitionspartner je nach Lage aussuchen. Aus der Mittelfristigkeit könnte allerdings ganz schnell Kurzfristigkeit werden. Wie nämlich sähe die Lage aus, wenn es am 27. September nicht nur für Schwarz-Gelb, sondern auch für Schwarz-Grün reichte - oder vielleicht sogar nur für Letzteres? Immerhin ist der Vorsprung der FDP fast zusammengeschmolzen, so dass die Grünen am Ende tatsächlich die Nase vorn haben könnten. Dann kämen mit Sicherheit viele auf die Idee, Schwarz-Grün zu propagieren - schon um uns weitere vier Jahre einer lähmenden großen Koalition zu ersparen. Wie heißt der alte Leitspruch: Über Koalitionen spricht man nicht, Koalitionen macht man. Zumal wenn sie schwierig sind.

Aber auch das ist heute längst überholt. Denn einer hat das vermeintliche Schweigegelübde bereits gebrochen: Daniel Cohn-Bendit. Der geübte Provokateur meinte zur Pleite der SPD unverblümt: "Dann machen wir eben Schwarz-Grün."

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4 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • MK
    Moritz Keppler

    Die Gemeinsamkeiten zwischen Schwarz und Grün sind - so sehr sie sich als Option von konservativer Seita aus auch gewünscht werden mögen - reines virtuelles kondensat struktureller analysen, aber weit weg von der wirklichkeit. Man mag sich mühe geben, die Grünen zur bürgerlichen Partei zu machen und das sind sie auch, aber grün sein ist und bleibt mit einem gewissen Idealismus verknüpft und zwar mit einem linken! Grün ist der Modus, in dem linke Inhalte in der bürgerlichen Gesellschaft ankommen. Das geht ganz reel nicht mit der Union, strategische parteipolitische Situationen von Gedanken der maximalen Distanz zu allen Seiten hin oder her.

    Auch die Grünen sind eben kein klar verortbares Subjekt (der Fehler den die Politologie imer macht, das bei Parteien anzunehmen) sondern besteht auch aus Strömungen. Gerade hat sich Steffi Lemke öffentlich über steigende Mitgliedszahlen gefreut, die Grünen können es sich nicht leisten, alle Linken zu verprellen, wenn die im Nachhinein merken sollten, dass sie als Grüne Wahlkampf für die Pseudo-Klimakanzlerin Merkel oder den Bürgerrechtsschreck Schäuble gemacht haben. Das verkraftet die interne Stabilität der Grünen nicht, deswegen wird es Schwarz-Grün nicht geben!

  • D
    dissenter

    Ich halte die Schwarz-Grün-Debatte unter den obwaltenden Umständen für rein akademisch. Die nach den Wahlen anstehende Bewältigung der Wirtschaftskrise, die - There is no alternative! - der schrumpfenden Mittel- und der zunehmenden Unterschicht aufgebürdet werden wird, erfordert die Mitarbeit der SPD (und der Gewerkschaften). Frau Angela als Kanzlerin einer dann weniger großen Koalition wird uns noch lange erhalten bleiben, auch wenn die Grünen gar zu gern wieder am Kabinettstisch säßen.

  • V
    vic

    Natürlich werden sie´s machen, und ich habe sie aus diesem Grund schon längst aus meinen politischen Optionen verbannt.

    Wer sich mit den Schwarzen oder Gelben einlässt, der kann mir gestohlen bleiben.

    Ich habe zurzeit ein Buch auf dem Tisch;

    es heißt "Zeit des Zorns" und trifft meine Stimmung ganz gut.

  • LP
    Ludwig Paul Häußner

    Schwarz-grün? Besser: grün-schwarz

     

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    Deutschland ist seit Mitte der 1970er Jahr auf dem Weg in eine nachindustrielle Gesellschaft (Daniel Bell).

     

    Die GRÜNEN waren im damaligen Westdeutschland die erste Partei der nachindustriellen Gesellschaft.

     

    Für die nachindustrielle Gesellschaft brauchen wir aber soziale Basisinnovationen, die mit einer in der längst vergangen Industriegesellschaft verhafteten Rest-SPD leider nicht zu machen sind:

     

    1. ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)

    2. ein sozial-ökologisches System der Ausgabensteuer

    3. marktwirtschaftskonforme Ökoabgaben mit Ökobonus.

     

    Sowohl bei den Bündnisgrünen wie auch in Teilen der Union, wie auch in der FDP gibt es Befürworter eines BGE, bzw. eines solidarischen Bürgergeldes bzw. eines liberalen Bürgergeldes.

     

    In Anbetracht der globalen Arbeitsteilung und der zu sanierenden Staatshaushalte ist eine grundlegende Steuerreform unerlässlich - in Richtung Ausgabensteuer!

     

    Wir brauchen deshalb eine schrittweise Erhöhung der Mwst auf EU-konforme 25% oder aber einen dritten MwSt-Satz in Höhe von 25%, für besonders die Umwelt belastende Güter und Dienstleistungen.

     

    In der Klimapolitik brauchen wir marktwirtschaftliche Instrumente wie Ökoabgaben auf Wasser, Luft, Boden(-schätze). Die daraus resultierenden Einnahmen müssen pro BürgerIn rückvergütet werden.

     

    Bislang kann sich das bündnisgrüne Führungsquartett für diese sozialen Basisinnovationen noch nicht begeistern, wären sie aber langfristige bündnisgrüne Zielsetzung, so könnte eine grün-schwarze Koalition durchaus Realität werden.

     

    Ludwig Paul Häußner, Bündnisgrüne Karlsruhe

    Mitglied im GRÜNEN Netzwerk Grundeinkommen