piwik no script img

Debatte SPD-Parteitag in DresdenPartei ohne Volk

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Ihre unverbindliche Zerknirschtheit wird der Sozialdemokratie nichts bringen. Sie müssen plausibel erklären können, warum sie diese vielen Fehler gemacht haben.

Die SPD rückt in der Opposition sanft nach links. Auf dem Parteitag in Dresden hat sie milde ihre Fehler als Regierungspartei kritisiert, ohne sich selbst dabei wehzutun. Sie steuert einen mittleren Kurs und ist mal wieder ziemlich vernünftig. Aber das reicht nicht.

Das Desaster für die SPD in den letzten elf Jahren war nicht nur Hartz IV. Es war auch nicht die Rente mit 67, für die es ja auch gute Gründe gibt. Es waren nicht die 1-Euro-Jobs und nicht die gezielte Ausweitung des Niedriglohnsektors. Es war nicht die rot-grüne Steuerreform, die Streichung der Körperschaftsteuer, die Konzerne bevorteilt, die Senkung des Spitzensteuersatzes, die Vermögenden nutzt, die Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne der Konzerne, die dem internationalen Kapital zugutekommt. Es war auch nicht die Deregulierung der hiesigen Finanzmärkte und nicht die blanke Verachtung, mit der Gerhard Schröder zeitweise auf die Gewerkschaften herabschaute. Es war auch nicht die Hermetik der SPD-Spitze, die taub für jede Kritik an ihrer Politik war. Es war all dies zusammen.

Bild: taz

Stefan Reinecke ist Redakteur im taz-Parlamentsbüro in Berlin.

Angesichts dessen ist die freundliche Selbstkritik der Sozialdemokraten bislang nicht mehr als ein Lippenbekenntnis zur rechten Zeit. Was fehlt, ist eine Analyse ohne Schonbezüge, warum die Sozialdemokraten in den Kernbereichen, der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, so katastrophal versagt haben. Dabei geht es nicht darum, sich über verschüttete Milch zu grämen, eine Übung, die die SPD-Linke virtuos beherrscht. Die Sozialdemokraten werden das zielsicher zerstörte Vertrauen ihrer Klientel nur wiedergewinnen, wenn sie ihre Fehler präzise erklären können. Die unverbindliche Zerknirschung, die auf dem Parteitag in Dresden dominierte, reicht nicht.

Sigmar Gabriel hat in Dresden dazu ein paar Bemerkungen gemacht. Die SPD habe zu sehr auf die Mitte geschielt und sich dabei "schleichend an die Deutungen der Neoliberalen angepasst". Genau so war es. Aber warum? Die SPD kann sich noch nicht mal selbst plausibel erklären, warum ihr innerer Kompass derart versagt hat. Solange das so ist, wird sie nicht wieder regieren. Auch gutgläubige Wähler wollen wissen, warum, bitte schön, sich dieses Desaster beim nächsten Mal nicht wiederholen wird.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es wäre nichts gewonnen, wenn die SPD nun einfach umschwenkte. Jetzt in der Opposition, wenn man ohnehin nicht mehr entscheiden kann. Die Abschaffung von Hartz IV und der Rente mit 67 sowie den Rückzug aus Afghanistan zu fordern, wäre billig. Die SPD braucht keine wohlfeile Selbstdistanzierung, sondern eine scharfe Selbstanalyse.

Die zweite Aufgabe, die die SPD in der Opposition bewältigen muss, ist noch schwieriger. Sie muss akzeptieren, dass sie ihre beste Zeit hinter sich hat. Ein Mantra ist eine Beschwörungsformel, die gegen Dämonen schützen soll. Das Mantra der SPD-Spitze lautet: "Wir sind die große Volkspartei der linken Mitte." Mit dieser Formel versucht man, sich die unschöne Wahrheit vom Leib zu halten, dass sie nie mehr sein wird, was sie zu Willy Brandts Zeiten war. Sie wird, auf absehbare Zeit, kein schlagkräftiges, der Zukunft zugewandtes Bündnis zwischen Unter- und Mittelschicht mehr schmieden.

Die urbanen Mittelschichten sind schon vor Langem zu den Grünen abwandert, die Arbeitslosen und Marginalisierten haben Schröder&Co tatkräftig der Linkspartei in die Arme getrieben. Nichts spricht dafür, dass diese Prozesse umkehrbar sind. Überdies ist Deutschland kein Sonderfall. Fast alle sozialdemokratischen Parteien in Westeuropa haben es mit ökologisch-bürgerlichen und linkspopulistischen Abspaltungen zu tun, und fast alle sind zu "20 Prozent plus x"-Parteien geschrumpft.

Die SPD ist nicht mehr die große Volkspartei, die sich mit kleinen Klientelparteien verbündet. Sie muss, bei Strafe ihres Untergangs, eine neue, flexiblere Rolle finden - als Organisator von Koalitionen auf Augenhöhe, als Klammer zwischen neobürgerlichen Grünen und zur Linkspartei neigenden Arbeitslosen und Prekariat. Sie muss sich daran gewöhnen, auch mal grüne Kandidaten, die ein Direktmandat oder einen Oberbürgermeisterposten holen können, zu unterstützen.

In Stuttgart zum Beispiel schickte die SPD, zum Verdruss der Grünen, eine chancenlose Kandidatin ins Rennen, statt den Grünen-Chef Cem Özdemir zu unterstützen. Für eine große Volkspartei ist es in der Tat undenkbar, einer Klientelpartei so weit entgegenzukommen. Aber die SPD ist im Süden der Republik keine Volkspartei mehr - auch keine im Wartestand.

Statt der Nostalgie: Erfahrung

Ihre neue Rolle kann sich die SPD nicht einfach verordnen. Sie muss praktische Erfahrungen damit sammeln. Daher bedeuten das Saarland und Thüringen für die Sozialdemokratie zwei so herbe Niederlagen. In Thüringen hätte die SPD in einer rot-rot-grünen Konstellation mit einem unabhängigen Ministerpräsidenten lernen können, dass sie von unerprobten Bündnissen profitiert. In Thüringen hat die SPD diese Chance ausgeschlagen. Im Saarland hat sie alles richtig gemacht - und alles verloren.

Dort hat die SPD kurz vor der Wahl ihre eigenen Wähler gedrängt, taktisch für die Grünen zu votieren, um ihnen über die Fünfprozenthürde zu helfen und so die erste rot-rot-grüne Regierung zu ermöglichen. Die saarländischen Grünen haben diese tatkräftige Unterstützung bekanntlich benutzt, um die CDU im Amt zu halten und Jamaika zu installieren. Es ist fast tragisch, dass die SPD, ausgerechnet, wenn sie mal was riskiert, so bestraft wird. Denn nichts braucht die Partei mehr als die Erfahrung, dass Experimente mit Grünen und Linkspartei ihr zumindest nicht schaden. Nur wenn sie dies konkret lernt, wird sie ihre Rolle als mittelgroße, dafür nach vielen Seiten anschlussfähige Organisation als Chance begreifen.

Die Leidensgeschichte der SPD ist noch nicht zu Ende. Es kann noch schlimmer kommen. Der Worst Case wäre eine Jamaika-Koalition in NRW. Danach wäre Schwarz-Grün auch im Bund nur eine Zeitfrage. Damit wäre der Weg für ein modernes, bürgerliches Lager mit einer strukturellen Mehrheit geöffnet - und die SPD machtpolitisch auf Jahre hinaus kaltgestellt. Wahrscheinlich noch länger.

STEFAN REINECKE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

6 Kommentare

 / 
  • TK
    Tony König

    ... scheinbare SPD-Logik anno 2009:

    *

    Wir bestehen -

    wohlwissend der eigenen Fehler,

    in der Sozialpolitik, in der Finanzpolitik, sowohl im parteiinternen Bereich -,

    nachdrücklich darauf!,

    diese auch in Zukunft erfolgreich fortführen zu dürfen!;

    denn die SPD hat wie jedermann das Recht auf Selbstbestimmung

    und wird sich diesbezüglich von niemanden diktieren lassen!

    *

    Tony König

    - aktiv in den sozialen Bewegungen -

  • R
    Ralf

    "Modernes, Bürgerliches Lager", wenn ich so was lese kriege ich schon wieder einen Wutanfall.

    Der Artikel ist eine Wahlempfehlung für

    CDU, FDP und Grüne, billig und undetailliert und völlig unzutreffend.

    "Modern" ist Gehirnwäsche und Sozialabbau.

    "Bürgerlich" ist sich anzupassen (also immer für für die soziale Ausbeuterwirtschaft zu stimmen)

    Der SPD haben genau diese Themen bzw. Verbechergesetze geschadet: Hartz 4, Rente mit 67, Leiharbeit und Deregulierung der Finanzmärkte.

    Eine einfache Frage zur sozialen Gerechtigkeit hätte ich aber trotzdem gerne mal: Was ist an foldendem Sachverhalt sozial gerecht: Jemand mit einem Einkommen von 1 Millionen Euro/Jahr hat prozentual weniger Abgaben(Steuern + Sozialabgaben) bzw. die gleichen wie jemand mit 55000 Euro/Jahr.

    Auf die Antwort bin ich mal gespannt !

  • E
    end.the.occupation

    >> Was fehlt, ist eine Analyse ohne Schonbezüge, warum die Sozialdemokraten in den Kernbereichen, der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, so katastrophal versagt haben.

     

    Hat sie denn wirklich versagt? Wird der gefahrene Kurs nicht von Reinecke selber als 'mal wieder ziemlich vernüftig' bezeichnet? Versagt - oder nicht versagt? Wie denn nun?

     

    Analyse? Warum liefert Reinecke die nicht selber? Reinecke ist doch selber ein Teil des Problems.

     

    Das die SPD heute scheinbar links von der FDP ('Schonvermögen') überholt werden kann, dass die GRÜNEN sich als NATO-GRÜNE gebärden und das eine völlig harmlose Partei wie die LINKE - die überall neoliberale Politik mitbetreibt, wo sie an die Macht kommt - als linksradikal dargestellt wird, genau das ist doch auch sein Werk, das Werk auch der taz sowie von 99% der einheimischen Presse.

     

    Der Grund warum die Rechte in allen Parteien triumphiert hat liegt doch schlicht darin, dass sie in allen Medien gehätschelt und hochgepäppelt wird, während alles was links davon steht totgeschwiegen oder mit Kampagnen überzogen wird. Man muss doch nur in den Archiven der taz nachsehen, um das zu belegen. Wer hat denn - so wie alle anderen - kürzlich dem Dissidenten der Berliner 'LINKEN' nach seinem Austritt eine Plattform geboten, wenn nicht auch die taz? Schon vergessen Herr Reinecke?

     

    Das Problem ist die Uniformisierung der veröffentlichten Meinung. Die Journaille die Schröder Ende der neunziger an die Macht schrieb - um den geradezu hysterisch verfolgten Lafontaine zu verhindern. Die Journaille, die Trojaner wie Kahrs oder Clement zu 'Querdenkern' hochgejubelt hat. Die Journaille die Militarismus und Imperialismus im Stil des 19. Jahrhunderts zum Normalfall erklärt hat. Die Journaille die sich regelmässig darin übt, rassistisch antimuslimisches Ressentiment zu ventilieren - und deren - um es Rande zu erwähnen - Nahost-Berichterstattung einfach aus der Wiedergabe der Presseerklärungen der isr. Armee besteht.

     

    Das Problem - der Demokratie ingesamt, nicht nur der SPD - ist die fortschreitend gleichgeschaltete, sich selber gleichschaltende veröffentlichte Meinung, inklusive der taz.

  • BH
    Barbara Hattenhauer

    Der Artikel ist so toll,er ist nur noch toll,also nur gute Kommentare

  • BH
    Barbara Hattenhauer

    Kommentar zu Stefan Reinecke: Forsch geschrieben,fast mit zu spitzer Feder,denn,der Parteitag hat wohl gezeigt,dass,Gabriel es schaffen wird,die Menschen mitzureißen.Nur,nicht wie sie gleich das Kind mit dem Bade ausschütten,zu voreilig,und unter dem Aufsatz hätte gestanden,Thema verfehlt!Schwarz gelb ,verliert schon jetzt die Tünche,daher die Tagung xy,der weitere Tagungen folgen,weil außer Spesen,nix gewesen.

    Barbara

  • SB
    Sandra Burger

    »Analyse ohne Schonbezüge«, das ist im Prinzip Schulstoff der Klasse 9:

     

    Soziale Frage im 21. Jahrhundert

    http://wiki.zum.de/Industrielle_Revolution#Soziale_Frage_im_21._Jahrhundert

     

    Wie man sieht, haben die Sozialdemokraten insbesondere im Bereich der Sozialpolitik katastrophale Fehler begangen - und damit gleichzeitig sozusagen ihre ureigene (Entstehungs-)Geschichte und Identität negiert.

     

    Herzliche Grüße:.

    san.draB@web.de