Debatte Regionalwahl Italien: Die Mär von den braven Leuten
Berlusconis Regierungsbündnis hat bei den Regionalwahlen gewonnen. In der Fremdenfeindlichkeit finden die Rechtsparteien eine gemeinsame Basis.
D ie Italiener betrachten sich selbst gerne als besonders offenes und gastfreundliches Volk. Sie halten sich für "brave Leute", die in der Lage sind, das Fremde zu verstehen und den gesunden Menschenverstand walten zu lassen. Dieses Klischee wird regelmäßig bemüht, wenn es um italienische Militäreinsätze im Ausland geht, und das gilt auch für Italiens Beziehung zum Islam.
Schon Ende der Sechzigerjahre wurde in Italien ein "islamisches Kulturzentrum" gegründet, in den Siebzigerjahren der Bau der ersten Moschee auf dem Monte Antenna in Rom genehmigt - unter der Bedingung, dass sie die Kuppel des Petersdoms nicht überrage. Da lagen die Einwanderungswellen von heute noch in ferner Zukunft.
Heute zählt Italien 1,3 Millionen Muslime und 749 Gebetsstätten im Land, die meisten davon finden sich im Norden des Landes. Die Zahl der Imame liegt bei ungefähr Tausend, sie werden entweder von den Gemeinden selbst gestellt oder vom Ausland entsandt. Das Glaubensspektrum reicht von der radikalen Union islamischer Gemeinden in Italien (UCOII) über die Organisation islamischer Frauen (Admi) bis hin zur eher gemäßigten islamischen Gemeinschaft Coreis. Und wie überall in Europa entzünden sich an den Problemen, welche die Einwanderung mit sich bringt, auch in Italien die politischen Debatten, ob es dabei um die Verschleierung, den muslimischen Religionsunterricht, Gewalt im Namen der Familienehre oder die Praxis der Polygamie geht.
Es geht dabei um offensichtlich ungelöste Fragen, die in Italien auf zwei Besonderheiten treffen. An erster Stelle ist das die Lega Nord, die bei den Regionalwahlen gerade erst wieder einen klaren Erfolg verbuchen konnte. Die Partei hat ihren Ursprung im Protest des italienischen Nordens gegen die schlechte Regierung durch Rom und allgemein gegen einen als "parasitär" und "verschwenderisch" empfundenen Süden. Nachdem sie ihre ursprünglich sezessionistischen Ziele aufgegeben hat, ist sie nun - zusammen mit Silvio Berlusconi und den Postfaschisten um Gianfranco Fini - in Rom durchweg an der Regierung. Die zweite Besonderheit bildet die organisierte Kriminalität, die vor allem im Süden des Landes die Beschäftigung von illegalen Einwanderern als billige Arbeitssklaven zu großen Teilen in der Hand hat.
In der Fremdenfeindlichkeit finden die recht heterogenen Parteien der gegenwärtigen Regierungskoalition eine gemeinsame Basis, die sie eint und inspiriert. Mit dem Sicherheitsdekret von 2009 setzte sie die "Ronde" ein: das sind paramilitärische Gruppen von privaten Bürgern, die Funktionen und Rechte öffentlicher Ordnungskräfte übernehmen. Damit bekamen Organisationen wie die Nationale Italienische Wacht Auftrieb, die mit ihren Uniformen und Symbolen nahtlos an die faschistische Vergangenheit anknüpfen.
Mit dem Sicherheitsdekret wurde die illegale Einwanderung zum Verbrechen erklärt; es bedroht irreguläre Immigranten genauso mit dem Strafrecht wie diejenigen, die ihnen Unterschlupf gewähren. Das hat zu einem allgemeinen Klima der Intoleranz geführt, dem vor allem die Kinder ausgeliefert sind. Aus Angst vor Denunziation durch Ärzte, übereifrige Lehrer, aufmerksame Nachbarn oder übelwollende Bekannte bringt man sie nicht mehr zum Arzt und schickt man sie auch nicht mehr zur Schule.
Auf der anderen Seite hat das neu geschaffene Delikt der "illegalen Einwanderung" keineswegs verhindert, dass weithin Illegalität herrscht, insbesondere im Süden. In Wirklichkeit stößt man auf einen Riesenschwindel: Während Italiener, die regulär als Saisonarbeiter beschäftigt werden, nur die Mindestzahl von 52 Tagen arbeiten und dafür ganze zwei Monate Sozialabgaben entrichten, das Recht auf Ausgleichszahlungen für sechs Monate Arbeitslosigkeit in der Landwirtschaft in Höhe von 800 Euro monatlich erwerben, schuften illegale Einwanderer, die ihre Arbeitskraft im Morgengrauen anbieten, für einen lächerlichen Lohn und ohne jede Versicherung selbstverständlich schwarz.
Im kalabrischen Rosarno haben Fremdarbeiter, die in der Landwirtschaft beschäftigt und in einer leer stehenden Lagerhalle untergebracht waren, zu Hunderten gegen ihre Behandlung randaliert, womit sie pogromartige Gegenreaktionen auslösten; die Einwohner der Kleinstadt machten regelrecht Jagd auf die Immigranten. Innenminister Roberto Maroni sprach im Fall von Rosarno von "exzessiver Toleranz" gegenüber den Einwanderern. Da fragt man sich schon, wie die Verhältnisse waren, die da so weitgehend toleriert wurden, bis sie in den oben geschilderten Wirren ausuferten.
Die Angst der "Clandestini", der illegalen Einwanderer, bildet den Rahmen, in dem auch der italienische Umgang mit dem Islam einzuordnen ist. Der "Krieg" gegen die Immigranten ist der Nährboden für Konflikte, die eine religiöse oder rassistische Natur annehmen können.
In Coccaglio, einem kleinen Dorf in der Provinz Brescia, rief die rechtsregierte Gemeindeverwaltung zu Weihnachten 2009 zur Jagd auf Illegale auf und nannte die Operation "White Christmas". Gemeindeangestellte gingen in die Wohnungen von Ausländern, um deren Aufenthaltserlaubnis zu kontrollieren. Wessen Aufenthaltserlaubnis abgelaufen war, ohne dass er eine neue beantragt hatte, dem wurde der Wohnsitz von Amts wegen entzogen. Bei den Bürgermeistern der Lega Nord fand diese Initiative viel Beifall.
Die Islamphobie und die Angst vor dem Einwanderer überlagern sich, aus religiösen Symbolen wie dem Kruzifix wird eines der nationalen Identität. Deshalb kann man es nur begrüßen, dass die Regierung jüngst ein italienisches "Islamkomitee" eingerichtet hat. Es knüpft an eine Idee aus dem Jahr 1998 an, einen Runden Tisch zum Dialog mit Muslimen zu bilden. Doch so lobenswert diese Initiative auch ist: Sie wird am fremdenfeindlichen Klima, das im Land entstanden ist, kaum etwas ändern. Das Bild von den "braven Leuten" ist ein Mythos. Was die Italiener dringend brauchen, ist ein Moment der kritischen Selbstreflektion.
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