Debatte Rechtsterror: Ignoranz mit System
Die Fahndung nach den Zwickauer Terroristen sei nicht an strukturellen Problemen gescheitert, sagen einige. Das stimmt nicht.
![](https://taz.de/picture/229769/14/untersuchungsausschuss.nsu.jpg)
W as lehrt uns die beispiellose Mordserie der Neonazi-Terroristen aus Zwickau? Gar nichts, meinte jüngst Christian Rath –, solche heimtückischen Taten seien nicht zu verhindern, wenn man nicht in einem totalen Überwachungsstaat leben wolle. Das mag provokant zugespitzt sein. Aber Rath spricht damit für all jene, die den Fall - nach einem Moment des Erschreckens und nach der Entschuldigung des Bundestags bei den Opfern - am liebsten zu den Akten legen wollen. Und das sind nicht wenige.
Schwer vorstellbar, dass weite Teile der deutschen Öffentlichkeit in gleicher Weise zur Tagesordnung übergehen würden, wenn es sich bei den Opfern um Politiker oder Journalisten gehandelt hätte. Schon das verharmlosende Wort von der behördlichen "Pannenserie" spielt den Skandal zu einem x-beliebigen Versäumnis unter vielen herunter.
Dabei steckt hinter dem systematischen Versagen der Sicherheitsbehörden mehr als bloßes Pech. Und dass die Opfer von Polizei und Medien verdächtigt wurden, in kriminelle Machenschaften verwickelt zu sein, ist auch mehr als nur ein Grund zur "Scham".
Diese Betriebsblindheit von Behörden und Medien ist vielmehr ein Musterbeispiel für den strukturellen Rassismus und die institutionelle Ignoranz gegenüber Migranten. Sie sollte Anlass dazu geben, die deutsche Integrationspolitik von Grund auf zu überdenken.
Nicht allen fehlte die Fantasie
Es ist ja schlichtweg falsch, dass "niemand" auf die Idee kam, Neonazis könnten hinter der Mordserie stecken, wie Rath schreibt. Viele Angehörige der Opfer haben das lange geahnt. Nach dem letzten Mord in Hanau 2006 gab es sogar Demonstrationen von Migranten, die ein rassistisches Motiv hinter den Taten vermuteten. Viele Migranten waren daher nicht sonderlich überrascht, als das wahre Motiv der Täter herauskam. Nur Deutsche, die keinen Migrationshintergrund besitzen, fielen deswegen aus allen Wolken. Mörderischer Türkenhass? In unserem Land? Wie kann das sein?
Viele Deutsche konnten sich offenbar nicht vorstellen, dass Rechtsextreme zu so einer perfiden Tat in der Lage sein könnten. Dieser Mangel an Fantasie ist recht erstaunlich - gerade in Deutschland, das doch eine lange Tradition der "Türken raus!"-Parolen und eine historische Erfahrung mit rechtsextremer Gewalt hat.
Radikalisierungsprozesse, die zum Terrorismus führen, gab und gibt es zudem in allen politischen Milieus - und sie verlaufen meist nach ähnlichem Muster: Eine einstmals starke politische Bewegung, die einen radikalen Wandel der Verhältnisse fordert, spaltet sich: der größere Teil verlegt sich auf ein legales politisches Engagement, tritt den Marsch durch die Institutionen an oder arrangiert sich mit dem System. Ein kleinerer Teil aber hält kompromisslos an den radikalen Grundüberzeugungen fest, geht in den Untergrund und nimmt von dort aus den bewaffneten Kampf auf.
Logik der Radikalisierung
So ging aus dem Linksextremismus der 70er Jahre in Deutschland der Terror der RAF hervor. So hat der Islamismus des 20. Jahrhunderts den Terror von al-Qaida & Co hervorgebracht, der auch in Deutschland seine Spuren hinterlassen hat.
Warum fehlte es den deutschen Sicherheitsbehörden da an der nötigen Fantasie, sich auszumalen, dass auch der Rechtsextremismus der 90er Jahre in den Terror münden könnte? Hätte nicht klar sein müssen, dass nicht alle Aktivisten von damals den Weg in die Legalität oder in das parteipolitische Engagement für die NPD gehen würden? Dieser Mangel an Vorstellungskraft mutet im Rückblick gespenstisch an.
Die Terrorzelle aus Zwickau hat nun schlagartig vor Augen geführt, welche Gefahr man jahrelang unterschätzt hat. In gewisser Weise war das für die Behörden ein weiterer 9/11-Moment. Entsprechend tief sitzt der Schock bei den Verantwortlichen: Der Präsident des Bundeskriminalamtes BKA, Jörg Ziercke, nannte die rassistische Mordserie eine "Zäsur". Und Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm räumte ein: "Wir hätten es durchaus besser wissen können." Aber die Öffentlichkeit wirkt von der Blutspur der Terrorzelle aus Zwickau seltsam unberührt.
Nach "Zwickau" verspricht Innenminister Friedrich nun zwar, die Sicherheitsdienste zu "modernisieren". Und die Opposition glaubt, mit einem NPD-Verbot das Übel an der Wurzel zu packen. Aber das allein wird nicht reichen, denn das Problem geht weit tiefer. Rassismus und Türkenfeindlichkeit reichen bis weit in die Mitte der Gesellschaft. Der Rechtsextremismus ist da nur die Spitze des Eisbergs.
Sarrazins willige Vollstrecker?
Das haben die Debatten der letzten Jahre gezeigt: Wie müssen sich die Neonazis aus Zwickau bestätigt gefühlt haben, als Thilo Sarrazin mit der These hausieren ging, türkische und arabische Einwanderer seien - weil angeblich "dümmer" - eine Belastung für dieses Land? Haben sie nicht bloß in mörderischer Konsequenz vollstreckt, was Berlins Ex-Finanzsenator irgendwie nahelegte?
Selbst Horst Seehofer hatte sich ja im vergangenen Jahr, von Sarrazin beflügelt, damit gebrüstet, jede weitere Einwanderung aus "fremden Kulturkreisen" werde er "bis zur letzten Patrone" bekämpfen. Beim CSU-Chef war das nur eine rhetorische Entgleisung. Bei den Nazis aus Zwickau blutiger Ernst.
Nach "Zwickau" kann die Politik nicht einfach so weitermachen wie bisher. Dafür ist das Vertrauen vieler Einwanderer in den deutschen Staat zu stark erschüttert worden. Das Thema Diskriminierung, Ausgrenzung und Alltagsrassismus gehört jetzt endlich auf die Tagesordnung gesetzt. Und es ist höchste Zeit für eine aktive Integrationspolitik, die Migranten die gleichberechtigte Teilhabe erlaubt.
Würden alle Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren sind, automatisch eingebürgert, könnten sie nicht mehr als "Ausländer" ausgegrenzt werden. Gäbe es beim Verfassungsschutz und der Polizei mehr Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, wären diese Behörden beim Thema Rassismus und Rechtsextremismus womöglich etwas engagierter. Und gäbe es in den Medien mehr Migranten, würden diese vielleicht etwas weniger einseitig berichten, wenn es um Einwanderer und deren Diskriminierung geht.
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