Programm gegen Linksextremismus: Extrem teuer, extrem erfolglos
In einem Zwischenbericht lässt das Deutsche Jugendinstitut kein gutes Haar an Schröders Programm gegen Linksextremismus. Kritik kommt auch von anderer Seite.
BERLIN taz | Kristina Schröder hebt die Stimme. "Sie, liebe Genossinnen und Genossen", ruft sie den Abgeordneten von SPD und Linkspartei zu, "wollen diese Pionierarbeit aus ideologischen Gründen plattmachen." Und damit die Leistung "innovativer Projekte".
So wie bei dieser Bundestagsdebatte vor einigen Wochen reagiert Familienministerin Kristina Schröder (CDU) gerne, wenn die Opposition ihr Lieblingsprojekt kritisiert: die 2010 gestartete Initiative Demokratie stärken gegen Linksextremismus und Islamismus. Bisher wischte die Ministerin noch jede Kritik als notorische Nörgelei linker Betonköpfe beiseite.
Doch nun übt auch das renommierte Deutsche Jugendinstitut (DJI) in München, zuständig für die Evaluation des Programms, in einem Zwischenbericht scharfe Kritik, und das vor allem an den Projekten gegen Linksextremismus. Verständlich, dass Schröders Ministerium den Bericht unter Verschluss hält. Denn von "innovativer Pionierarbeit" hat das Programm im Fazit der Wissenschaftler gar nichts.
Das Programm: Mitte 2010 hat Familienministerin Kristina Schröder (CDU) zusätzlich zum Programm gegen Rechtsextremismus ein Präventionsprogramm gegen Linksextremismus und Islamismus gestartet, die "Initiative Demokratie stärken". 2010 gab es dafür 2 Millionen, 2011 und 2012 jeweils 5 Millionen Euro. Gegen rechts sind es 24 Millionen.
Die Projekte: Neben Konrad-Adenauer-Stiftung und Junger Union haben auch Einrichtungen wie das Berliner Archiv der Jugendkulturen oder die Hamburger Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie Geld aus dem Linksextremismustopf bekommen. Manche der Projekte wollten erforschen, was Jugendliche in die linksautonome Szene führt, andere veranstalten Expertentagungen oder drucken Broschüren für Schulen.
Die Kritik: Politiker von Linkspartei, SPD und Grünen warfen Schröders Programm von Anfang an vor, es setze Linksextremismus und Rechtsextremismus gleich. Nun üben auch die für die Evaluation zuständigen Wissenschaftler des Deutschen Jugendinstituts (DJI) Kritik. (wos)
Der mehr als 100-seitige "Ergebnisbericht der wissenschaftlichen Begleitung" liegt der taz vor. Darin moniert das DJI "die fehlende Klärung des Phänomens aus sozialwissenschaftlicher Perspektive" und "ein Defizit an verlässlichen Informationen" zum Thema "Linksextremismus".
Gewagtes Programm
Auf dieser Grundlage überhaupt ein Präventionsprogramm zu starten, erscheint zumindest gewagt. Und so schlussfolgern denn auch die DJI-Experten: "Aufgrund der mangelnden Erforschung des Gegenstands und der wenigen verlässlichen Daten über die potenzielle Zielgruppe haben viele Projekte Schwierigkeiten, sich im Themenfeld zu orientieren und adäquate pädagogische Konzepte zu entwickeln." Harscher kann Kritik von Wissenschaftlern kaum ausfallen.
Das ist unangenehm für Kristina Schröder. Lange bevor die CDU-Politikerin Ministerin wurde, forderte sie, neben dem Rechts- auch den Linksextremisten stärker zu bekämpfen. Den "blinden Hass" extremistischer Linker dürfe man "nicht aus ideologischen Gründen" ausklammern, sagte Schröder bereits 2006. Dass das heiß ersehnte Programm der Familienministerin nun ins Schlingern gerät, ist mehr als peinlich. Schließlich ist es gelinde gesagt teuer.
Erfolge? Dürftig
Rund 2,5 Millionen Euro investiert das Familienministerium inzwischen jährlich in die Linksextremismusprävention. Träger der Projekte sind unter anderem die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, die Europäische Jugendbildungs- und Begegnungsstätte in Weimar und der Internationale Jugendhof Scheersberg an der Ostsee. Die einen organisieren Kongresse, andere schulen Schülervertreter, die Nächsten drucken Broschüren für Lehrer oder Comics über die autonome Szene. Erfolge? Dürftig.
Überhaupt nicht gut kommt bei den Wissenschaftlern des DJI eine Broschüre der Münchner Zeitbild-Stiftung an, die laut Vorwort von Familienministerin Schröder "Schülerinnen und Schüler für das Thema Linksextremismus sensibilisieren" soll. Darin werde suggeriert, bereits die Äußerung "durch radikale Umverteilung müssen soziale Unterschiede beseitigt werden", sei linksextremistisch, rügt das DJI. Das verdeutliche "den Bedarf an der Erforschung des Gegenstands, seiner möglichen Vorfelder und Ursachen, bevor pädagogische Prävention betrieben werden kann".
Von der Opposition und von den Medien war die Zeitbild-Broschüre in den vergangenen Wochen schon heftig kritisiert worden. Peinlicher für Schröder und ihr Programm war da nur noch die geplante Berlinfahrt "gegen Linksextremismus" der Jungen Union Köln – inklusive "Ausflug in das Berliner Nachtleben".
Aber auch seriöse Einrichtungen hatten Probleme, ihre Vorhaben im Rahmen von Schröders Präventionsprogramm so umzusetzen wie gedacht. So musste eine Hamburger Fachhochschule Interviews in der linksautonomen Szene wieder absagen, weil von den Jugendlichen niemand mitmachen wollte, und Studenten der FH auf die Barrikaden gegen das Vorhaben gingen.
Bisher ein Teilnehmer
Eine anderer renommierter Verein, das Violence Prevention Network (VPN), wollte Jugendlichen, die bei Demos oder anderen Events der linksradikalen Szene straffällig wurden, Antigewalttainings anbieten. "Die Erfolgsquote in diesem Fall ist mit bisher einem Teilnehmer sehr gering", heißt es im Bericht des DJI dazu. Der Grund: Bei genauerer Recherche entpuppten sich viele der vermeintlich linksextremen Jugendlichen als nicht politisch motivierte Gewalttäter.
Die Wissenschaftler vom Deutschen Jugendinstitut gehen in ihrem Zwischenbericht sogar so weit, den Begriff "Linksextremismus" insgesamt infrage zu stellen. Es deute sich an, dass mit dem Begriff "so unterschiedliche Phänomene bezeichnet werden, dass zweifelhaft erscheint, inwieweit ,Linksextremismus' im sozialwissenschaftlichen und im pädagogischen Bereich einen geeigneten Oberbegriff darstellt".
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