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Debatte RechtspopulismusNicht immun gegen Parolen

Robert Misik
Kommentar von Robert Misik

Steht Deutschland bald eine neue Rechtspartei ins Haus? Ein Jörg Haider oder Geert Wilders hätte auch hierzulande gute Chancen. Schuld daran ist die Sarrazin-Debatte.

Gar nicht so einfach, rechtspopulistische Themen zu umgehen: Protest gegen Sarrazin in Potsdam. Bild: reuters

E in Dialog, irgendwo in Deutschland: "Wird Sarrazin der deutsche Haider?" - "Ach nein, das hat der nicht in den Genen." Die Umstehenden lachen gequält.

Für die Rolle eines Populistenführers wäre der tapsige, vollkommen charismafreie Erfinder eines muslimischen Deppen-Gens die absolute Fehlbesetzung. Doch die Debatte über seine Thesen und vor allem die Art und Weise, wie er medial gehyped wurde, hat gezeigt, dass es auch in Deutschland ein Potenzial für eine populistische Kraft rechts von der Union gäbe.

In der Vergangenheit gelang es immer wieder mal, dieses Potenzial zu mobilisieren. Ronald Schill, der ehemalige "Richter Gnadenlos", holte bei der Hamburger Bürgerschaftswahl vor knapp zehn Jahren fast zwanzig Prozent. Die Frage ist: Welche Umstände müssen eintreten, damit sich so ein Potenzial zu einer politisch relevanten Kraft formiert und dauerhaft stabilisiert? Wieso war das in Deutschland bisher nicht der Fall? Und hat sich daran etwas geändert?

"Klartext"-Rebellen vs. "Eliten"

Eine rechtspopulistische Partei aus dem Boden zu stampfen, ist schwerer, als es scheint. Sie würde alle Irren dieser Republik anziehen, und mit denen müsste sich ein Volkstribun erst einmal herumschlagen. Viel Spaß dabei. Kein Wunder, dass Gert Wilders "Freiheitspartei" in Holland bisher nur ein Mitglied hat: Wilders selbst. Der Mann weiß bestimmt, warum.

Franz Walter wiederum hat (in der taz vom 13.12.) den Gedanken ins Spiel gebracht, die FDP könnte sich einem "Lafontaine von rechts" an die Brust werfen, ein Populismus der Fleißigen würde schließlich zur DNA dieser Partei passen. Undenkbar ist das nicht, aber auch so einer muss erst einmal vom Himmel fallen - und zwar weniger buchstäblich als seinerzeit Jürgen Möllemann.

Die wesentlichste Vorbedingung für eine neue populistische Partei ist aber die Delegitimierung der etablierten politischen Parteien: ein grassierendes Anti-Eliten-Ressentiment. Weite Milieus der Bevölkerung müssen zur Auffassung gelangen, dass "die Politik" und "die Parteien" nur mehr abgekapselt ihren Geschäften nachgehen, dass sie die "wahren Sorgen der Menschen" nicht mehr kennen und nicht die "wirklichen Probleme". Diese Auffassung muss nicht sehr bewusst sein - es reicht, wenn sie gewissermaßen atmosphärisch herumwabert. Und diese schlechte Stimmung muss medial geschürt werden.

Robert Misik lebt als freier Publizist in Wien und schreibt für die taz, für Falter und Profil.

Diese Stimmung muss sich zu einer Erwartungshaltung und zu einer sensationalistischen Stimmung verdichten in dem Sinne, dass jetzt auch in Deutschland die Stunde einer solchen Kraft geschlagen habe. Jedes Indiz für diese These muss aufgeregt in Schlagzeilen verwandelt werden, wobei fast irrelevant ist, ob dies dann "positive" oder "negative" Schlagzeilen sind.

Der Rechtspopulismus braucht nicht das Wohlwollen der Medien. Was er braucht, ist ihre überproportionale Aufmerksamkeit. Und die hat er leicht, wenn auch die seriösen Journalisten die normale Politik als langweilig empfinden. Sicherlich, der Rückenwind des Boulevards hilft ihm. Aber er lebt auch gut von der scheinbaren Skandalisierung durch seriöse Medien. Nur eines kann er nicht brauchen: dass man ihn ignoriert.

Sucht nach Aufmerksamkeit

Diese diskursive Konstellation - hier die "abgehobenen" Eliten, da die populistischen Rebellen, "die Klartext reden" - ist wesentlich für den Erfolg des Populisten. Sie ist wichtiger noch als die politischen Inhalte, für die er sich stark macht: gegen Ausländer, gegen Muslime, gegen Kriminalität - die politischen Forderungskataloge, wie man sie heute bei allen erfolgreichen populistischen Formationen findet, sie sind nicht unwichtig, aber sie sind sekundär.

Primär ist das populistische Arrangement: Hier das Volk, dem der populistische Führer seine Stimme verleiht, und da die politischen und medialen Eliten, die ihn angeblich "mundtot" machen wollen. Die amerikanischen Tea-Party-Irren etwa kommen fast ganz ohne Muslime aus.

Eine paradoxe Tatsache ist, dass diese Rechnung nur dann aufgehen kann, wenn die Immunreaktionen gegen die populistische Herausforderung erlahmen - wenn also in Wirklichkeit gar niemand mehr versucht, diese Kräfte wirklich mundtot zu machen, sondern sich im Gegenteil praktisch alle gegenseitig darin überbieten, als Verstärker zu wirken, der ihre populistischen Themen und Thesen über alle Kanäle hinausposaunt.

Natürlich werden dann auch Gegenstimmen laut. Und diese Gegenstimmen nutzen die Populisten, um zu beweisen, dass man ihnen das Wort verbieten wolle. Selbst wenn sie von den Titelseiten aller Zeitungen und Zeitschriften starren, präsentieren sie sich in einem Akt der Selbstheroisierung als verfolgte Unschuld, der man das Recht auf Meinungsfreiheit abschneiden will.

Es wäre ein Fehler zu glauben, es sei erst das Beschweigen von Problemen - etwa der Einwanderungsgesellschaft -, das die Populisten erstarken ließe. Aus der österreichischen Erfahrung lässt sich sagen: Seit zwanzig Jahren wird nicht zu wenig, sondern viel zu viel über reale und eingebildete Probleme mit der Migration gesprochen. Gerade das hat die Rechtspopulisten starkgemacht und starkgehalten.

Medien als willige Verstärker

Der Humus, auf dem der Populismus wächst, ist die völlig unverhältnismäßige Fokussierung von Politik und Medien auf ein Problem, das dann im öffentlichen Diskurs vollkommen aus den Proportionen gerät und nunmehr als das zentrale gesellschaftliche Problem überhaupt angesehen wird.

Der Blick nach Österreich lehrt: Populisten wachsen stabil, wenn die Themen, die sie auf die Agenda setzen, als das zentrale Problem unserer Gemeinwesen angesehen werden, mögen das nun "die Ausländer", "der Islam" oder "die gescheiterte Integration" sein. Insofern kann man Populisten kaum in Schach halten, wenn man bei "ihren Themen" gegen sie argumentiert. Man darf schon ihre Themensetzung nicht akzeptieren. Wenn man ihnen auch nur ein bisschen nachgibt, wird man sie nicht mehr los.

In den letzten zwanzig Jahren haben Populisten in Deutschland nicht dauerhaft einen Fuß auf dem Boden gekriegt, weil die Immunreaktion der politischen und medialen Öffentlichkeit funktioniert hat. Die Sarrazin-Debatte hat gezeigt, dass das vorbei ist.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
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12 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • MH
    Markus Hill

    Die Linkspartei wie auch die NPD werden wohl vom Verfassungsschutz beobachtet. Ob jemand, der wie Herr Misik mehr oder weniger unverhollen zur Unterdrückung von missliebigen Meinungen auffordert bzw. wer sich als grosser Fan von Zensur outet - auch ein Fall für den Verfassungsschutz?:-)

    Solche Kommentare wie der von Herrn Misik und das Forum, dass ihm die TAZ zur Verfügung stellt, erscheinen mir gefährlicher für das politische Klima in diesem Land als ein paar dumme Nazi-Spackos in der hinteresten östlichen Ecke unseres Landes. Ausführungen dieser Art (linker "Meinungsterror", es heisst nicht umsonst National-SOZIALISMUS:-)grenzen grosse Teile der Bevölkerung willentlich vom demokratischen Dialog aus. Neudeutsch würde man sogar einen neuen Begriff für den Misik-Ansatz kreieren: Meinungs-Rassismus. Würde zur üblichen TAZ-Diktion passen. Im Ernst: Der Herr erinnert in seiner Argumentation irgendwie an überwundene Stalinismus-Zeiten. Lädt nicht zu einem sachlichen Dialog ein. Natürlich: Es herrscht Meinungsfreiheit, die ist auch sein Recht.

  • A
    Alex

    Ein guter Kommentar

  • MX
    ms. x

    lieber herr misik,

     

    wie immer: voll ins schwarze. danke!

  • H
    Hannes

    Guter Kommentar: Wenn ein SPD-Politiker einen NPD-Bestseller schreibt, sich als Opfer der Politiker ausgibt, den Islam, Türken, Kurden, Araber und allgemein Muslime zu Feinden des Landes deklariert - dann läuft es für die Neonaziszene, für die NPD und für den rechten Rand bestens.

    Wenn dann noch große Onlineversandhäuser sich über einen Bestseller freuen und in Bewertungsforen diesem Spektrum kaum kontrolliert ein Forum zur Aufwiegelung bieten - dann wird es eben feierlich bis Spitze.

    Noch nie war in Deutschland der Diskurs des rechten Randes so vehement in die Mitte der Gesellschaft getragen worden.

    Gleichzeitig wurden massive Sparprojekte und starke Einschränkungen im sozialen Bereich durchgezogen - Sarrazin war auch das beste Ablenkungsmanöver, besser als jede PR-Aktion seitens der Regierung.

    Ich würde sagen: Die SPD hat diesen Mann viel zu lange gehalten.

    Er hat schon lange vorher auf Arbeitslosen herumgeritten und immer wieder brachte er ein Argument, dass Arbeitslose und Arme eben keinen Wert haben für ihn. Inzwischen lebt Sarrazin von einer Bank, für die er nicht arbeitet, er hat politisch sich ein Salär erstritten und bildet genau das ab, was er selber Hartz-IV-Beziehern unterstellt hat: Sie seien funktionslos, überbezahlt und störten vor allem durch ihr Verhalten.

    Stören tut Sarrazin auch: Er ist ein Politik-Maniac, ein Aufwiegler, ein NS-Bagatelisierer und SPD-Schädiger, wie es ihn praktisch seit 1945 nicht gegeben hat.

    Wie Misik hier schreibt: Es kann nur ein Wunder helfen, Rechtsextreme in den Schranken zu halten.

    Und es kann auch nur ein Wunder helfen, dass Migranten nicht vermöbelt, ermordet oder drangsaliert werden. Bei dieser aufgeladenen Stimmung ist Neu-Köln, Kreuzberg oder Altona eine gute Adresse - Provinz nicht mehr.

    Dass parallel über Zuwanderung und einen Mangel an Fachkräften gestritten wird, ist nur noch idiotisch: Wer will in so ein Land einwandern?

    Ich muss sagen, dass Sarazin letztlich viel zu soft angefasst wird. Gerade die SPD hat seine irren und irrationalen Aussätzer mit einer Beförderung belohnt - warum?

    Und die Bundesbank hätte ihn schneller und besser feuern müssen.

  • P
    ProDiskussionsfreiheit

    Ziemlich dünner bzw. substanzloser Kommentar von Misik, flankiert durch ein ziemlich dümmliches Foto. Wer keine Argumente hat, der diffamiert einen missliebigen Mahner einfach mal als Rassisten. Schlichtweg niveaulos, man könnte auch sagen (links)populistisch.

  • K
    Kati

    "Schuld daran ist die Sarrazin Debatte." Mein Allah, wie oberflächlich. Es geht wirklich immer noch oberflächlicher.

  • J
    Jennifer

    Na viel Erfolg beim Austreiben des Eliten. und Poilitikerbashings.

     

    Bei ner Bevölkerung, die erst Schwarz-Gelb an die Macht bringt, (obwohl die spätere Opposition deren Atompolitik - erfolglos - als Wahlkampfargument benutzt) und sich später (als Schwarz-Gelb seine Wahlversprechen bezüglich Atompolitik HÄLT) nicht entblödet, plötzlich den Hals aufzureißen, man wäre ja mehrheitlich gegen Atomkraft, aber darauf würden die bösen Politiker ja nix geben und die armen Wähler könnten ja eh nix ändern, seh' ich da so richtig Potential.

  • J
    Jürgen

    Ich glaube auch, daß uns bald eine neue Rechtsaußenpartei bevorsteht. Die Neoliberalen der CDU, FDP, SPD und Grünen sagen irgendwie alle das gleiche. Es ist für mich kein Wunder, daß immer mehr Leute einerseits unzufrieden sind, andererseits aber gar nicht mehr wählen gehen. Und irgendwie wird sich diese Fruststau mal entladen. Die Partei "Die Linke" ist aber für den Geschmack vieler Leute immer noch zu sehr in ihrer Vergangenheit gefangen, also de facto auch keine Alternative. Bleiben noch zwei Möglichkeiten: Entweder es taucht eine neue Rechtspartei auf, die den politischen Takt bestimmt. Oder alle zivilisierten Menschen und NGOs, die sich im Dienst der Aufklärung, Demokratie, Menschenrechte, Umweltschutz, Meinungsfreiheit usw. sehen und gegen Lobbykratismus, Intransparenz, Politikerbestechung etc. sind, schließen sich zu einer neuen linken(!) Partei zusammen, um dieser zuvorzukommen.

  • G
    g. öttinger

    schöner kommentar, bringt es meiner meinung nach gut auf den punkt. danke!

  • T
    Tilman

    Sehr geehrter Herr Misik,

     

    Im Kern ist ihre Forderung "Die Rechtspopulisten dürfen nicht die Themen setzen" richtig, im Großen und Ganzen eine Utopie.

    Die "Medien" berichten über Themen die Menschen interessieren, oder anders gesagt über jenes was Menschen gern hören, über das was ihre Meinung wieder gibt. Genau das Prinzip wenden sie selbst auch an.

    Worauf ich hinaus will ist folgendes, die Art und Weise der Berichterstattung hat sich verändert. Ob man dies nun von einem nagativen Standpunkt sieht, so wie sie es in ihrem Artikel tun, oder von einer positiven Seite, siehe Wikileaks, bleibt einem zum Glück selbst überlassen.

    Was allerdings totaler Schwasinn ist, entschuldigen sie bitte die Ausrucksweise, zu behaupten die "Sarrazin-Debatte" ist Schuld oder Grund für einen neuen Rechtspopulimus.

    Die Beweggründe dafür liegen viel tiefer als sie glauben.

     

    Mit freundlichen Grüßen

     

    Tilman

  • RS
    Rudolf Steger

    Einen Punkt hat Herr Misik vergessen:

    Derartig einseitige Darstellungen, wie die Vorliegende von ihm, tragen wesentlich bei zum Erfolg "echter" Populisten. Sarrazin als "Erfinder eines muslimischen Deppen-Gens" zu bezeichnen, heizt natürlich die Emotionen an und zeigt, dass Herr Misik seinerseits ein großer journalistischer Populist ist.

    Im Buch von Sarrazin ist nichts derartiges zu finden. Wenn Probleme und Befürchtungen der Bürger sowohl von der etablierten Politik als auch von großen Teilen der Medien nicht ernst genommen werden, wenn Bürger als Dummköpfe, Rassisten, Ausländerfeinde usw. dargestellt werden, dann bereitet das den Boden für "echte" Populisten, die ihrerseits keine Lösungen anzubieten haben und nur persönlich vom Ärger der Menschen profitieren.

    Lieber Herr Misik, lesen Sie erst einmal in Ruhe das Buch von Sarrazin, erfinden Sie keine erlogenen Inhalte, bemühen Sie sich um eine sachliche Diskussion, dann tun sie selbst etwas gegen Populisten.

  • S
    Sprache?

    Es heißt "Schuld _daran_ ist die Sarrazin-Debatte".