Debatte Rassismus: Die neuen Kreuzritter
Europa stilisiert den Massenmörder Anders Breivik munter zum Promi des Bösen. So lässt sich der breite Hass auf Muslime ignorieren.
E r hat gejubelt, als seine Kugeln trafen, sagt vor zwei Tagen die 24-jährige Zeugin und Überlebende Tonje Brenna aus. Der Prozess gegen Anders Breivik tritt in eine neue Phase, denn nun sollen die Überlebenden in seinem Beisein ihre Sicht der Tat schildern.
Und ist die Freude beim Töten nicht ein weiterer Beweis für den Irrsinn des selbst ernannten Kreuzritters? Wahrscheinlich schon. Trotzdem wäre es der größte Fehler, den Europa jetzt machen kann, wenn es Breiviks Tiraden gegen den Islam und den Multikulturalismus einfach als das Delirium eines Irren abtut.
Sein tausendseitiges Manifest, genauso wie seine Überzeugungen insgesamt sind keineswegs einfach das „bizarre“ Produkt eines „kranken Gedankenuniversums“, so wie es das erste psychologische Gutachten konstatierte.
Der amerikanische Publizist, Autor und Politikberater lebt seit 1989 in Berlin. Seine Schwerpunkte sind Migration, Medienpolitik, Verbraucherschutz, Postkonfliktentwicklung und die Welt der NGOs.
Kein norwegischer Sonderfall
Im Gegenteil, Breiviks Gedankenuniversum enthält sämtliche Strukturelemente einer inzwischen mächtigen Islamophobie, die ganz Europa erfasst hat. Es ist höchste Zeit, Breiviks monströse Verbrechen als schrillen Weckruf zu begreifen – nicht nur für Europäer übrigens –, es ist höchste Zeit, das sehr reale Gewaltpotenzial zu erkennen, das dieser antimuslimischen Bewegung innewohnt.
Breivik ist kein norwegischer Sonderfall, sondern Symptom einer sich ausbreitenden Kultur der politisch motivierten Gewalt. Muslime werden beleidigt, angegriffen und getötet, ihre Moscheen und Friedhöfe werden mit Graffiti beschmiert beziehungsweise verwüstet, manchmal gehen auch Bomben hoch. Bislang reagieren die Polizei und andere Sicherheitsbehörden allzu lax auf die Bedrohung durch die (christliche) Rechtsextremen, insbesondere auf die radikalsten, islambesessenen Strömungen.
Die Quelle der Diskriminierung indessen, die hasserfüllte Rede (Hatespeech), und die wachsende Gewalt gegen europäische Muslime und Gemeinden findet aber nicht irgendwo weit weg statt, sondern direkt bei uns um die Ecke: Islamophobie hat eine akzeptierte Präsenz im Mainstream gewonnen, von Skandinavien über Osteuropa bis hin zum Mittelmeer.
Demokraten kapitulieren vor Islamphobie
Parteien wie die Lega Nord, Front National, die Rechten in Lettland und Slowenien und auch die Schweizer SVP oder das österreichische BZÖ, sie alle schlagen zwar einen milderen Ton an als Breivik, und sie rufen auch nicht zum Mord auf, in Sachen Hass aber auf die Muslime teilen sie wie Thilo Sarrazin die Ansicht, dass Muslime Fremdkörper in der Europa seien und der europäischen Kultur schadeten.
Selbst waschechte Demokraten haben vor der Islamophobie kapituliert, unfähig, das komplexe Feld des Islam und der europäischen Muslime konstruktiv zu bearbeiten. Das Verbot der Burka in Frankreich und Belgien fand jeweils breite Unterstützung. Gesetze wie diese stigmatisieren Muslime weiter und spielen direkt in die Hände der neuen europäischen Rechtsradikalen.
Es fehlt jede Tabuisierung
Der Rassismus gegen Muslime setzt auf eine kulturelle Hierarchie. Menschen werden nicht aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder einer Behinderung diskriminiert, sondern ihre Kulturzugehörigkeit ist das unüberwindliche Handicap. Damit wird unterstellt, dass Kulturen starr sind und „rein“: Die westliche Zivilisation steht ganz oben, der rückwärtsgerichtete Islam ist ihr Erzfeind.
Muslime sind nicht biologisch unterlegen, so wird argumentiert, aber kulturell seien sie eben inkompatibel. Die Behauptung von einem Zusammenprall der Kulturen funktioniert genauso, wie Rassismus funktioniert, und nutzt allen, die sie seit Langem darum bemüht sind, die Immigration einzudämmen oder ganz zu verbieten, die Türkei aus Europa fernzuhalten oder ein weißes christliches Europa zu sichern. Anders aber als beim offenen Rassismus gibt es keine politisch korrekte Tabuisierung der Islamophobie – noch.
Breiviks Statements im Netz – genauso wie die der zig anderen antiislamischen Intellektuellen, Autoren und Blogger in Europa und Nordamerika, auf die er sich bezieht – sind durchsetzt mit dem Regelwerk des antimuslimischen Rassismus.
„Errungenschaften des Westens“
Im Kern setzt diese Weltsicht die letzten 2.000 Jahre als Kampf der westlichen Zivilisation gegen den Vormarsch eines gewalttätigen, monolithischen Islam, der nichts anderes im Sinn habe, als das klassische christliche Europa zu zerstören. Im Namen der Aufklärung sollen die Errungenschaften „des Westens“ gegen die Implementierung der Scharia verteidigt werden.
Die neuen Kreuzritter legitimieren sich, indem sie sich selbst als die Protektoren von Frauen-, Schwulen- und Lesbenrechten gerieren – gegen den totalitären Islam. Der Gegendschihad macht keinen Unterschied zwischen europäischen Muslimen, Migranten-Communitys und al-Qaida. Und genau mit dieser Unschärfe ist er erfolgreich. In Frankreich hat die rechtsextreme Partei von Marine Le Pen jüngst bei der ersten Präsidentenwahl 18 Prozent der Stimmen bekommen.
Der Promi des Bösen
Natürlich, ja. Direkt nach Breiviks Anschlag haben die muslimfeindlichen Stimmen vorübergehend geschwiegen – und es gab Hoffnung, dass irgendwie doch etwas von dem Zusammenhang zwischen Wörtern, Rede und Hass gelernt wurde. Aber diese Hoffnung hielt nicht lange an.
Nachdem die breite Öffentlichkeit Breivik als Psychopath entpolitisiert und vehement als Stichwortgeber für eine breite gesellschaftliche Strömung verleugnet hat, gingen die Muslimenhasser munter in die nächste Runde. Norwegische Zeitungen haben regelmäßig ihre Kommentarfunktion bei Artikeln rund um Islam und Einwanderung abgeschaltet, so rassistisch waren die Anmerkungen vieler Leser.
Und die Medien? Sie konzentrieren sich auf die Person Breivik, personalisieren, was das Zeug hält, das verkauft sich gut. „Wir sehen so intensiv in die Augen des Terroristen, dass wir blind werden“, schrieb Aslak Sira Myhre, die für eine NGO zur Verteidigung der Meinungsfreiheit namens Fritt Ord arbeitet.
Anders Breivik ist ein Promi geworden, eine neue Ikone für das Böse. Damit verschließen wir unsere Augen vor der Tatsache, dass Breiviks Weltsicht von vielen in ganz Europa geteilt wird.“
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Ines Kappert
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