Debatte Privatisierung: Ein dritter Weg
Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben wie Wasserversorgung und Müllentsorgung ist gescheitert. Einfach die Rückkehr des Staates zu fordern greift aber auch zu kurz.
Werner Rügemer ist Journalist, Lehrbeauftragter an der Uni Köln und Vorsitzender von Business Crime Control (BCC), einer Organisation, die gegen Wirtschaftskriminalität kämpft.
Seit über zwei Jahrzehnten gilt das Glaubensbekenntnis: Der Staat kann nicht wirtschaften, nur die Privaten können es. Sie machen alles besser, billiger, kundenfreundlicher, wurde versprochen. Sie schaffen neue Arbeitsplätze. Sie entlasten die verschuldeten öffentlichen Haushalte. Die Mehrheit der Bürger stimmte dem lange zu. Dabei stand auch der Affekt gegen die DDR Pate, denn die Wirtschaftslobby konnte in einem Aufwasch auch die öffentlichen Unternehmen im Westen als bürokratisch, ineffektiv und bürgerfern diskreditieren.
Während die Energie-, Bau- und Versicherungskonzerne unverdrossen weiter ihre Heilslehre verkünden, begann längst ein gewisses Murren im Volk. Bürgerentscheide gegen den Verkauf von Stadtwerken und Wohnungen waren erfolgreich. Doch das zu überhören gehört zu den leichtesten Routineübungen der Talkshow-Profis. Es musste erst der Deutsche Beamtenbund kommen, um die Stimmung im Volk erkunden zu lassen. So stellte das Forsa-Institut im Auftrag des Beamtenbundes jetzt fest: Nur noch 16 Prozent der Befragten sprechen sich für weitere Privatisierungen aus.
Viele Bürger spüren allmählich, was da zusammenkommt: Studiengebühren, Praxisgebühren, Zuzahlungen zu Schulbüchern, Kindergärten und Medikamenten, Lkw-Mautgebühren auf den Autobahnen, Pkw-Mautgebühren bei privat betriebenen Tunnels (und demnächst auch auf den Autobahnen?), private Zusatzrente, horrende Ticketpreise bei der unpünktlichen Bahn und so weiter. Wer einmal zu rechnen anfängt, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. An den übrig gebliebenen Postschaltern bilden sich lange Schlangen wie im untergehenden Sozialismus. Staat und Städte sind überschuldet wie zuvor. Telekom, Deutsche Post, Bahn und Stadtwerke haben hunderttausende Beschäftigte entlassen und stellen fast nur noch Niedriglöhner ein. Die neuen privaten Briefdienste kalkulieren mit Hungerlöhnen, die zudem vom Staat subventioniert werden.
Als Gegenbeispiel wird vor allem die Telekom AG angeführt: Die Telefongebühren sind doch gesunken! Okay, aber die Gesamtrechnung sieht anders aus. Zehntausende Beschäftigte sind entlassen, zehntausenden wird das Gehalt gekürzt. Und während wir so schön billig telefonieren, zahlen wir als Steuerzahler jährlich unbemerkt Milliarden. Als Brautgeschenk zum Börsengang der Telekom übernahm die Regierung Kohl alle Pensionslasten der Postbeamten, gerade wenn sie in sehr frühen Vorruhestand abgedrängt werden. Bis 2090 werden das etwa 550 Milliarden Euro sein, wie der Bundesrechnungshof schätzt.
Als Gegenbeispiele werden auch die Städte Dresden und Düsseldorf gefeiert. Sie sind durch den Verkauf ihrer kommunalen Wohnungen und ihrer Stadtwerke schuldenfrei. Das Glück der Schnäppchenkäufer Fortress und Energie Baden-Württemberg (EnBW)/Électricité de France (EDF) und der populistischen Oberbürgermeister muss aber nicht das Glück der Bürger sein. In Dresden treibt Fortress inzwischen die Mieten so schnell so hoch wie noch nie. In Düsseldorf bleiben die Gewinne der Stadtwerke nicht mehr in der Stadt, sondern gehen an den größten Stromkonzern Europas; die Düsseldorfer Bürger werden bei Strom, Gas und Straßenbahn nicht mit Preissenkungen rechnen können.
Die Cleveren unter den Bürgermeistern sagen sich inzwischen: Die Gewinne mit Strom, Wasser, Gas, Müll und so weiter können wir auch selbst machen. Kleine Städte haben angefangen, die privatisierten Müllunternehmen zurückzukaufen. Das klingt gut, täuscht aber über die Größenordnungen hinweg. Die Verträge vor allem in den Großstädten laufen meist noch etwa zwanzig Jahre. So kann sich beispielsweise der Berliner Senat erst 2029 entscheiden, ob er RWE und Veolia weiter als Miteigentümer und Betreiber der Berliner Wasserbetriebe (BWB) haben will oder nicht. Und die neuerlich abgeschlossenen Verträge nach dem Muster Public Private Partnership (etwa bei Schulen des Landkreises Offenbach, dem Bildungszentrum Ostend in Frankfurt oder der Hamburger Philharmonie) laufen ebenfalls in der Regel zwischen zwanzig und dreißig Jahre lang.
Die Götterdämmerung der Privatisierer ist zwar eingeläutet, und die Stimmung schlägt um, aber wer soll das Geld aufbringen, um die privatisierten Unternehmen zurückzukaufen? Vor allem gegen vorzeitige Vertragsauflösungen haben sich die Privaten sehr gut abgesichert. Eine einfache Rückkehr in den vorherigen Zustand ist gegenwärtig finanziell nicht möglich.
Sie ist aber auch politisch nicht erstrebenswert. Es ist keine Lösung, den Staat wieder so herzustellen, wie er vor der Privatisierungswelle war. Denn die Versprechen wurden auch deshalb geglaubt, weil viele öffentliche Unternehmen mit schlechten Leistungen, politischem Filz und Transparenzmangel begründeten Anlass zu der Annahme gaben, dass private Unternehmen es besser machen. Die Privatisierung war und ist der bequemere Weg, um die notwendigen Umstrukturierungen des öffentlichen Dienstes zu umgehen. Die Alternative heißt: bessere Qualifizierung und mehr Demokratie.
Was gut ist an modernen Managementkonzepten und Bilanzierungsmethoden, lässt sich auch im Staat anwenden. Beamtenrecht und Parteibuchwirtschaft abschaffen, dafür die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes besser bezahlen - alles geht, wenn man nur will.
Ein Stimmungsumschwung kann der Anfang sein. Aber es muss mehr passieren. Die Parlamente dürfen sich die Geheimniskrämerei mit den Privatisierungsverträgen nicht mehr gefallen lassen. Bisherige Verträge müssen offengelegt werden, bei unseriösen Verträgen müssen auch Enteignungen möglich sein. Und wir kommen nicht um die Tatsache herum, dass der Staat für die bessere Bezahlung seiner Beschäftigten und für die Auflösung von Privatisierungsverträgen mehr Geld braucht. Wie der jüngste Steuerskandal wieder zeigt, kann durch konsequente Verfolgung von Steuerhinterziehung die Einnahmenseite des Staats erheblich verbessert werden. Mit dem Handwerkszeug von Staatsanwälten, Steuerfahndern und Betriebsprüfern lässt sich noch wesentlich mehr herausholen, wenn man sie nur ungehindert ihren Pflichten nachgehen lässt.
So verdienstvoll die Umfrage des Beamtenbundes ist - als Konsequenz steht etwas an, was die Beamten in Deutschland nicht dürfen oder sich (noch) nicht trauen, was aber die Lokführer munter durchführen: streiken, sich das börsenfiebrige Spardiktat des Konzernvorstands nicht gefallen lassen. Die Streiks der Lokführer fanden die Sympathie selbst vieler Bahnkunden. Sie sind daher Vorbild für Beschäftigte in privatisierten Unternehmen. Diese müssen sich jetzt nur trauen.
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