piwik no script img

Debatte PressefreiheitFahrlässige Stigmatisierung der Presse

Kommentar von Alexander Dix

Das Akkreditierungsverfahren für die Berliner Leichtathletik-WM ist rechtswidrig. Doch der Berliner Senat verweigert eine Überprüfung.

W ie schon bei der Fußball-WM 2006 werden auch bei der diesjährigen Leichtathletik-WM Journalisten und Servicepersonal (etwa Würstchenverkäufer) einer umfangreichen Zuverlässigkeitsüberprüfung unterzogen.

Zur Erinnerung: Jeder, der sich akkreditieren lassen will, muss eine Einverständnis-Erklärung mit seinen Personalien ausfüllen. Er muss sich einverstanden erklären, dass seine persönlichen Daten abgeglichen werden mit polizeilichen Datensammlungen des Landes Berlin und vergleichbaren Datensammlungen der Polizeien des Bundes und der Länder (vor allem mit INPOL neu und der Datei "Gewalttäter Sport"). Außerdem muss er zustimmen, dass das LKA Berlin beim Berliner Verfassungsschutz nachfragt.

Liegen Erkenntnisse bei Polizei oder Nachrichtendiensten vor, dann teilt das LKA Berlin diese Tatsache (nicht die Erkenntnisse im Einzelnen) dem Berlin Organising Committee 2009 (BOC) mit. Diesem obliegt es dann, seine Schlüsse daraus zu ziehen. Gleichzeitig informiert das LKA die betroffene Person darüber, dass Erkenntnisse über sie vorliegen. Welche dies sind, muss der betroffene Journalist oder Würstchenverkäufer selbst herausfinden, indem er oder sie Auskunft von der verantwortlichen Stelle (Polizei, Verfassungsschutz, BND) verlangt.

Dieses Verfahren ist rechtswidrig. Es wird zu Unrecht auf die Einwilligung der Betroffenen gestützt, denn diese haben gar keine Wahl. Laut Berliner Polizeigesetz ist die Übermittlung von personenbezogenen Daten durch die Polizei an Private mit Einwilligung nur dann rechtens, wenn echte Freiwilligkeit gegeben ist. Von der kann hier aber keine Rede sein. Journalisten, die nicht ins Olympiastadion gelassen werden, können nur über das berichten, was jeder im Fernsehen sehen kann. Letztlich verhängt damit also ein privater Veranstalter Berichterstattungs- und Beschäftigungsverbote.

Im übrigen ist auch nicht einzusehen, weshalb von Journalisten eine größere Gefahr ausgehen soll als von Zuschauern. Das ist kein Plädoyer für eine Zuverlässigkeitsüberprüfung auch der Zuschauer, sondern für ein Vorgehen mit Augenmaß. In jedem Fall führen solche Überprüfungen zu Eingriffen in die Grundrechte der Pressefreiheit und der informationellen Selbstbestimmung. Die aber sind nur zulässig, wenn es eine glasklare gesetzliche Grundlage gibt. Eine solche hatte ich bereits bei der Fußball-WM 2006 angemahnt.

Der Datenabgleich ist noch aus einem anderen Grund unzulässig: Die Datei "Gewalttäter Sport", mit der die Daten der Journalisten und Servicemitarbeiter abgeglichen werden, entbehrt ihrerseits einer rechtlichen Grundlage. Das hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht schon im Dezember 2008 bekräftigt (AZ 11 LC 299/08). Folglich hätte der Abgleich mit dieser Datei und den INPOL-Dateien unterbleiben müssen. Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, deren Vorsitz Berlin in diesem Jahr führt, hat im März dieses Jahres betont, dass die Gesamtheit der in Verbunddateien stattfindenden polizeilichen Datenverarbeitung rechtswidrig ist, solange nicht die nach dem Bundeskriminalamtsgesetz erforderliche Rechtsverordnung erlassen wird. Die Datenschutzbeauftragten haben das Bundesinnenministerium und die Landesregierungen aufgefordert, die polizeiliche Datenverarbeitung auf den Prüfstand zu stellen. Das Bundesinnenministerium hält eine solche Überprüfung allerdings für überflüssig.

Die Verantwortung für den Abgleich der Journalistendaten mit den Datenbanken von Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst liegt beim Land Berlin (genauer gesagt: beim Landeskriminalamt, das die Auskünfte der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern zusammenführt) und nicht bei dem Organisationskomitee (BOC) als privatem Veranstalter. Datenschutzrechtlich verantwortlich ist immer derjenige, der Daten preisgibt. Er bedarf dafür einer Rechtfertigung. Diese fehlt im Fall der Leichtathletik-WM. Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat in diesem Sommer den Senat aufgefordert bei der nächsten Vorlage zur Änderung des Polizeigesetzes entsprechende Rechtsgrundlagen vorzusehen. Zuvor hatte ich eine klare Regelung gefordet. Die Überprüfung hätte seit 2006 längst geschehen können. Berlin hat den Zuschlag für die Leichtathletik-WM nicht erst gestern erhalten.

Natürlich ist die Leichtathletik-WM ein Ereignis mit Sicherheitsrisiken, denen die Behörden weitmöglichst Rechnung tragen müssen. Trotzdem sollten die Maßnahmen sich an der jeweiligen Gefährdungslage orientieren. Nicht jedes Sport-Großereignis muss wie der G8-Gipfel in Heiligendamm vorbereitet werden. Und nicht jeder Datenabgleich ist geeignet, tatsächlichen Gefährdungen zu begegnen.

Der Datenschutz bei Großereignissen muss für Journalisten wie auch für andere Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätig werden wollen und aufgrund ihrer Aufgabe auch Zutritt zu diesen Bereichen haben müssen, endlich zweifelsfrei gewährleistet werden. Dazu gehört auch, dass die Betroffenen, deren Zuverlässigkeit überprüft wird, zunächst selbst erfahren, ob über sie "Erkenntnisse" bei den Sicherheitsbehörden vorliegen. Sie können dann zum einen überprüfen, welcher Art diese Erkenntnisse sind (soweit sie nicht geheim gehalten werden müssen) und ob die Sicherheitsbehörden möglicherweise falsche Daten gespeichert haben (z.B. aufgrund einer Verwechslung).

Selbst wenn es sich um zutreffende Informationen handelt, muss die überprüfte Person aber die Möglichkeit haben, ihren Akkreditierungsantrag beim privaten Veranstalter zurückzuziehen, bevor dieser davon erfährt, dass "Erkenntnisse" vorliegen. Denn wenn die Tatsache, dass "etwas" vorliegt, erst einmal bekannt geworden ist (dem Herausgeber bzw. der Redaktion der Zeitung, dem Arbeitgeber), dann ist der betreffende Journalist oder Service-Mitarbeiter stigmatisiert, lange nachdem die Leichtathletik-WM vorbei ist.

In Sachen Akkreditierung bei der Leichtathletik-WM hat Berlin zweifelos einen Fehlstart hingelegt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

4 Kommentare

 / 
  • GL
    Geneigter Leser

    Sorry, aber diese "Aufregung" ist heuchlerisch.

     

    Wenn "Mißliebige" mit Schikanen, Verboten und Überwachung überzogen werden, dann wird gejubelt.

    Und wenn man dann selbst betroffen ist, kommen die Kroko-Tränen.

     

    Wie war das Ende einer bekannten Geschichte:"...und als sie mich holen kamen war keiner mehr da...."

     

    Man muß JEDEN Anfang von Zensur und Überwachung abwehren, nicht erst wenn man selbst das Opfer ist. Eine starke Demokratie kommt dann auch mit den wenigen Deppen zurecht.

  • JL
    Jonathan Leuschner

    Die taz kann nicht klagen? Der Zusatz im Kasten zum Artikel von Alexander Dix erschließt sich mir nicht. Jurastudenten wird bereits im frühen Semester beigebracht, dass es eine "Flucht ins Privatrecht" gerade nicht geben soll. Die Rechtsprechung hierzu ist undurchsichtig, will aber jedenfalls verhindern, dass sich der Staat durch die Gründung privatrechtlicher Organisationsstrukturen aus der Verantwortung stielt. Dabei kommt es bei der Frage nach der öffentlich- oder privatrechtlichen Natur einer Maßnahme nicht ausschließlich auf die Mehrheitsverhältnisse im BOC an, sondern auch darauf, wer letztlich für die getroffenen Entscheidungen verantwortlich ist. Da das BOC (u.a.) mit hochrangigen Vertretern des Staates besetzt ist, scheint die Verantwortung einer staatlichen Stelle zumindest nicht ausgeschlossen.

    Auch und gerade weil vieles bei der Frage nach der "Flucht ins Privatrecht" umstritten ist:

    Warum legt es die taz nicht darauf an und versucht eine Entscheidung durch ein Verwaltungsgericht herbeizuführen?! Mehr als die Ablehnung der Klage als unzulässig kann nicht passieren. Dann wäre die Frage nach der Natur der Maßnahme des BOC zu Gunsten des Privatrechts entschieden. Eine derartige Entscheidung könnte Druck auf die Politik ausüben, etwas zu verändern.

  • AL
    Anna Lühse

    @Hanni

     

    Korrekt. Der "verantwortungsvolle" Qualitätsjournalismus frißt seine Gläubigen.

  • H
    Hanni

    Wie viele Jahre hat es jetzt gedauert, bis auch Journalisten auffiel, wie widersinnig "freiwillige" Einverständniserklärungen sind, zu denen man gezwungen ist? Hätten sie doch mal Hartz 4 beantragt. Diese Art erzwungener "Freiwilligkeit" ist dort für Millionen tägliche Praxis.