piwik no script img

Debatte Präsidentenwahl in SerbienEine gefährliche Wahl

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Wenn in Serbien Tomislav Nikoli siegen sollte, setzt sich eine antieuropäische und anti-demokratische Ideologie durch. Eine Aufnahme in die EU wäre auf Jahre hin undenkbar.

M an darf die Lage in Serben nicht schönreden. Der leicht favorisierte Präsidentschaftskandidat, Tomislav Nikolic von der Radikalen Partei, ist ein gefährlicher Mann, selbst wenn ihm manche Kommentatoren eine soziale Ader unterstellen und Peter Handke ihn sogar wählen würde. Schließlich kümmern sich auch Rechtsradikale um soziale Probleme in ihrer Nation. Das ist ja spätestens seit Auftreten der Nationalsozialisten keine neue Erkenntnis. Aber es lohnt sich, etwas näher hinzuschauen.

Bild: taz

Erich Rathfelder, 60, betreut seit über 15 Jahren in dem Dreieck Berlin, Split, Sarajevo die Region Südosteuropa. Sein jüngstes Buch: "Schnittpunkt Sarajevo. Bosnien und Herzegowina zehn Jahre nach dem Krieg" (Schiler Verlag, 2006).

Die Position der Radikalen Partei hat schon vor Jahren in einem taz-Interview deren ehemaliger Führer in Bosnien, Nikola Poplasen, auf den Punkt gebracht: Serbien unterscheide sich vom Westen durch die Ablehnung der Aufklärung. Ihm und den Radikalen ginge es um die Durchsetzung der kollektiven Rechte der Nation. Das westliche, europäische Selbstverständnis der Rechte des Individuums interessiere ihn nicht, es ginge nicht um die Durchsetzung von Menschenrechten. Im Zentrum seines Denkens stehe das Volk (narod) und dessen Schicksal. Konsequenterweise lehnen diese Leute den Aufbau eines Rechtsstaates westlichen Zuschnitts ebenso ab wie die Individualisierung von Schuld.

Vom UN-Tribunal als Kriegsverbrecher definierte Personen sind in den Augen der Radikalen nicht schuldig, denn sie sind Teil eines Volkskörpers und haben nur die Interessen des narod vertreten. Ihre Schuld zu akzeptieren ist in diesem Denken nicht zulässig. Deshalb schützen die Radikalen auch die flüchtigen Kriegsverbrecher Ratko Mladic und Radovan Karadzic und verehren sie als Helden.

In diesem Denken ist das Verhältnis zu Minderheiten und anderen Volksgruppen taktisch bestimmt. Nützt die Freundschaft dem narod, dann kann man zusammenleben, freundschaftlich verkehren. Wird eine andere Volksgruppe jedoch als Feind definiert, dann gnade ihr Gott. Genozid oder ein Massenmord wie in Srebrenica sind in diesem Denken eine folgerichtige Antwort, um die eigene Nation zu schützen.

Seit Ende des Krieges in Bosnien und Herzegowina versuchen nationalistische Serben, den Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates zu behindern und die kollektiven Rechte des narod zu behaupten. Ähnliches geschah nach der Nato-Intervention im Kosovo, die serbischen Nationalisten zwangen andersdenkende Serben dazu, jegliche Mitarbeit in den von der UN-Mission geschaffenen Selbstverwaltungsinstitutionen einzustellen. Und es ist natürlich konsequent, wenn der Präsidentschaftskandidat Nikolic den Weg Serbiens nach Europa ablehnt und offen einen Schulterschluss mit Russland sucht. Präsident Putin übernimmt ja seit seiner Annäherung an die orthodoxe Kirche immer mehr die Position der ähnlich gestrickten russischen Nationalisten.

Diese antieuropäische Verbindung zwischen Russland und Serbien ist keine leere Drohung, sondern entspricht einem tiefen gemeinsamen Verständnis der nationalistischen Bewegungen beider Seiten. Diese Dimension wird leider von Seiten der westlichen Politik und Öffentlichkeit bis heute unterschätzt.

Sicher, es gibt auch die pro-demokratischen, der Aufklärung verpflichteten Menschen in Serbien. Die modernen Mittelschichten Belgrads können mit Nikolic nichts anfangen. Sie fühlen sich als Teil Europas und sind das auch, sie sind aber gleichzeitig in der Minderheit. Trotz aller taktischen Kompromisse mit den Rechten ist der Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, Boris Tadic, nach wie vor die Galionsfigur dieser Kräfte. Verlöre er die Wahl, verlöre auch eine ganze Schicht von Leuten viele Möglichkeiten, in Serbien zu arbeiten und zu leben. Nur mit der Kraft und dem Willen, die Konsequenzen eines Wahlsieges von Nikolic aufzuzeigen, könnten sie noch zur Mehrheit werden. Deshalb müssten diese Kräfte jetzt in Serbien mit aller Kraft gegen Nikolic kämpfen. Sind sie dazu aber in der Lage?

Es geht bei den Wahlen um viel mehr als um das Amt des Präsidenten: Es geht um das serbische Selbstverständnis, um die Interpretation der Geschichte und die Anerkennung der durch Serben begangenen Kriegsverbrechen während der Balkankriege der 90er-Jahre. Bei all diesen Punkten sind die nach vorne blickenden gesellschaftlichen Kräfte leider in der Minderheit. Und: Da das Kosovo ein nationales Symbol ist, scheint die Einsicht, Serbien habe nach der Eroberung Kosovos 1912 bis zum Kosovokrieg 1999 bei der Verwaltung des Landes versagt, nicht einmal unter den Intellektuellen in Belgrad weit verbreitet.

Die Ideologie, immer nur Opfer der Geschichte zu sein, verstellt den meisten Serben den Blick auf die jüngste Vergangenheit. Zwar klagen Serben zu Recht über hunderttausende Opfer während des Zweiten Weltkrieges, die eigenen Verbrechen während dieser Zeit und während der jüngsten Kriege aber werden auch bei den Demokraten verschwiegen. Eine kritische Auseinandersetzung über die eigenen Verbrechen findet nicht einmal im proeuropäischen Lager statt, sondern nur in kleinen Zirkeln. Als der damalige serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic 2003 das Steuer herumreißen wollte, wurde er ermordet. Und selbst heute müssen Oppositionelle wie der Parteichef der Liberalen, Cedomir Ivanovic, um ihr Leben fürchten.

Die westliche Politik und auch die Medienwelt projizieren leider mehr ihr Selbstverständnis in die komplexe Lage Serbiens, als sie nüchtern zu analysieren. Wenn es stimmt, dass die westliche Diplomatie Tadic dazu brachte, Präsidentschaftswahlen zeitgleich mit der Entscheidung über die Unabhängigkeit des Kosovo abzuhalten, dann hat man ihm und damit den prowestlichen Kräften einen Bärendienst erwiesen. Denn die Kosovo-Problematik lässt auch Wähler zu den Radikalen stoßen, die vorher moderat konservativ wählten.

Verzweifelt fast schon mutet der Versuch der EU und auch des deutschen Außenministers Steinmeier an, ein Lockangebot an Serbien zu machen. Beim Außenministertreffen vor wenigen Tagen schlug die Mehrheit der 27 Minister vor, auf die bisherige Bedingung der Auslieferung der Kriegsverbrecher zu verzichten und vorbehaltlos über das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zu verhandeln. Der slowenische Außenminister Rupel erklärte sogar, Serbien könne spätestens zwei Jahre nach Kroatien in die EU aufgenommen werden.

Es ist den in Bezug auf den Genozid in Srebrenica nachdenklichen Niederlanden zu verdanken, diese Erklärung mit einem Veto verhindert zu haben. Und der niederländische Außenminister wies richtigerweise darauf hin, dass die Strategie des Appeasements auch gar nichts nützt. Denn jeder Kenner weiß: Dieses Verhalten wirkt bei den Nationalisten und auch bei einer großen Mehrheit im Volk nur als Zeichen der Schwäche Europas. Opportunismus ist keine Waffe gegen die antiwestliche Strömung in der Gesellschaft, sondern nur die Verwurzelung in den westlichen Werten. Europa darf für Serbien nicht zu billig zu haben sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • N
    Nachdenkender

    Sehr wohl ähnelt die heutige kroatische Flagge der faschistischen Ustascha Flagge. Aber Sie übersehen, dass dieses von vielen so als untragbar betrachtete Schachbrett seit ca. 1530 das Wappen Kroatiens ist - man sehe sich nur die Wappen Österreich-Ungarns oder sogar des Königreichs Jugoslawien 1918-1941 an, ebenso im sozialistischen Jugoslawien, dort war das Schachbrett das Wappen der Teilrepublik Kroatiens.

    Was die Leugnung des Holocausts betrifft: Gewiss, die Marginalisierung von seiten Tudjman und co. ist mehr als abzulehnen, doch wenn ich mich recht entsinne hat das heutige Kroatien diese nationalistische Äre spätestens ab dem Jahr 2000 hinter sich gelassen. (Natürlich viel später als Serbien, das unter dem Demokraten Milosevic schon seit 1989 sein kosmopolitisches politisches Wesen unter Beweis gestellt hat, das bis heute anhält.)

    Anbei, haben Sie je etwas von einem gewissen Memorandum der serbischen Akademie der Wissenschaften aus Jahr 1986 gehört? In diesem wird nämlich die Schaffung eines Großserbiens gefordert, natürlich zum Schutz aller Serben.

    Wenn Sie das Anlegen von zweierlei Maßen kritisieren (zu Recht), sollten Sie nicht den selben Fehler begehen.

  • DG
    Dirk Gober

    @Nachdenkender, nicht ich, sondern Ihre Freunde selbst betreiben diese Gleichsetzung, indem sie die Traditionen aus eben jener Zeit ausgegraben haben. Die kroatische Nationalflagge ist beinahe identisch mit der der Ustascha-Staats (aber ich nehme an, es wäre nicht OK, wenn Deutschland plötzlich das Hakenkreuz wieder entdecken würde?), die Moslems ehren plötzlich wieder die Legion Handschar und beleben sie neu und die Albaner träumen von einem Großalbanien, welches ihnen schon der Reichsheini schenken wollte. Und die größte Unterstützung kommt - na von wem wohl? Trotz Aussagen des kroatischen Führers Tudjman über sein Glück, nicht mit einer Jüdin, Serbin oder Roma verheiratet zu sein, trotz der Leugnung der fabrikmäßigen Ermordung von Juden, Roma und Serben in kroatsichen und bosnischen KZ. Was geschieht mit Holocaust-Leugnern in Deutschland? Wenn Sie das wissen, dann fragen Sie sich doch mal, warum man bei den "politischen Freunden" nicht die selben Maßstäbe anlegt.

    Und wollen Sie eigentlich im Ernst behaupten, die Berichterstattung über die Balkankrise sei auch nur einen Augenblick lang realistisch gewesen und nicht von alten Vorurteilen und, zumindest bei Rathfelder, Kleinert (ARD), Schmitz (ZDF) nicht von Beweggründen, die in Deutschland schlicht und einfach strafbar sind.

    Traurig, daß Publikationen wie die taz, die sich selbst als links bezeichnet, solcher Hetze und solchem offenen Rassismus ein Forum bieten. Ich kann nur hoffen, aus finanziellen Gründen, sonst wäre es ein moralisches Desaster für die gesamte Linke Deutschlands.

  • N
    Nachdenkender

    @ Gober

    Man ist doch immer wieder erstaunt - und erschrocken - dass man noch im Jahr 2008 eine vollkommen unreflektierte und pauschalisierende Gleichsetzung der deutschen Politik, Kroatiens, der bosnischen Muslime und der Albaner mit dem Nationalsozialismus und dem faschistischen Staat der Ustascha im Zweiten Weltkrieg vornimmt. Angesichts der Ereignisse der letzten 18 Jahre ist dies umso mehr eine Frechheit und eine Verhöhnung der Opfer - auch auf serbischer Seite.

    Eine Unterstellung nationalistisch-faschistischer Geldgeber aus Deutschland, Kroatien, etc. grenzt nicht nur ans Paranoide, sondern wiederholt nur die Propaganda von Leuten wie Seselj, Karadzic, Mladic, etc.. Menschen, die für ihre altruistischen Taten im Namen der jugoslawischen Idee der Völkerfreundschaft nur allzu gut bekannt sind.

    Herr Rathenfelder, machen sie bitte weiter so!

  • N
    Nachdenklicher

    @Dirk Gober

    Auf den Punkt gebracht... alle Achtung ;)

  • E
    Ede

    Für Europa ist es eine schlechte Lösung die serbischen Enklaven vor allem den Nordteil einem

    zukünftigen Staat Kosovo übergeben zu wollen . Dies schafft neues Spannungen die unnötig wären

    bei konstruktiven Lösungen.Europa und Russland sollte hierüber reden und dies auch irgendwie entscheiden. Dies wäre für Serbien für Russland

    für die Europäische Union und für das Kosovo ideal. Europa könnte dies ohne UNO und Amerika

    alleine lösen.!

  • A
    Anonym

    Hallo,

    Ein Autor, der sich in Sarajevo, Zagreb etc. aufgehalten hat und jetzt ganz objektiv seine vollkommen neutrale Sichtweise darstellt (Achtung Ironie).

  • DG
    Dirk Gober

    Und ich kann nur sagen: mal wieder ein echter Rathfelder. Erinnern wir uns: das, was Rathfelder als "Analyse" der Serben verkauft, trifft in einem mindestens genau solchen Maß auf seine Geld-, Auftraggeber und Freunde aus Kreisen der albanischen, kroatsichen und moslemischen Nationalisten zu, die traditionell von Deutschland und den anderen ehemaligen Achsenmächten und Nazi-Kollaborateuren gefördert werden und wurden, nicht zuletzt im WK II, als selbst deutsche Truppen von der Grausamkeit der heutigen Rathfelder-Freunde an Serben und anderen entsetzt waren. Logisch, daß diese Tatsache in interessenvertretenden Publikationen wie der taz, totgeschwiegen werden? Aus Scham? Wohl kaum - eher aus ehernen Ideologiegründen.

    Aber würde sich dieser Ewiggestrige einmal die Mühe machen, seine Freunde genauso zu analysieren und nicht zu "analysieren", bliebe ihm, ein wenig Anstand vorausgesetzt, nichts anderes übrig, als sich vor Scham von der nächsten Brücke zu werfen. Dies hat er bis jetzt unterlassen, was wiederum Rückschlüsse erlaubt.

    Nicht gerade ein Zufall, daß die extremistische (und absolut nicht humanistische) taz solchen Hetzern für immer und ewig ein Forum bietet.

  • X
    Xafer

    ich kann nur sagen, welch ein geistreicher Kommentar! Sehr kompetenter Autor.

     

     

    Viele Grüße an alle,

    Xafer