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Debatte ÖkodiktaturDie Dienstwagenverteidiger

Reiner Metzger
Kommentar von Reiner Metzger

Die Atomlobby hat ihre PR-Leute losgelassen: Eine "Ökodiktatur" drohe uns. Die ist doch längst Realität! Und die Öko-Skeptiker treiben uns immer weiter in die Tyrannei.

Nicht alle Reichen fahren Ferrari – aber auf die, die sich den Ferrari leisten können, kommt es an. Bild: Earl Wilkerson | CC-BY

D ie Rede von einer Ökodiktatur, die Umweltschützer und grüne Würdenträger gern einrichten möchten, ist Gefasel – jedoch auf eine andere Weise als gemeinhin angenommen.

Denn eine Ökodiktatur kann man schon deshalb nicht einführen, weil wir längst in einer leben – die derzeitigen Mahner vor einer kommenden grünen Diktatur verschärfen allerdings die Auswirkungen einer solchen erheblich.

Das weltweite Wirtschaftssystem ist eng verknüpft mit dem Ökosystem, in dem es agiert. Viele Wirtschaftswissenschaftler, Politiker und ein immer noch großer Teil der Öffentlichkeit tun hingegen so, als wäre ihr Handeln abgekoppelt von ihrer Umgebung. Eine stärkere Entflechtung ist zwar möglich, dafür muss man allerdings aktiv werden, statt zu jammern. Derzeit geschieht immer noch das Gegenteil, die Abhängigkeit vom Rohstoffnachschub aus der Umwelt wächst. Deshalb treiben gerade die Ökobremser und -skeptiker uns alle weiter in die Tyrannei.

Bild: taz
REINER METZGER

REINER METZGER ist stellvertretender Chefredakteur der taz. Er hat Physik studiert und beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Wirtschafts- und Umweltpolitik.

Schon immer ist der begrenzende Faktor von Gesellschaften ihre Energie- und Nahrungszufuhr gewesen. Durch das Anzapfen der Kohlevorräte mit der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert haben wir diese Zufuhren enorm erhöht. Später kam noch Erdöl und Erdgas hinzu. Getrieben davon stiegen Wachstum und Wohlstand.

What a wonderful world

Wir haben also unser System enorm erweitert, und das mit gutem Ergebnis: Von Küche bis Kultur, von Medizin bis Multimedia nutzen wir einen Fortschritt und eine Bequemlichkeit, von dem im Barock selbst Fürsten nur träumen konnten. Auf Dauer wird es uns jedoch nicht gelingen, den Rahmen unseres Handelns zu verdrängen. Die Erde ist groß, aber die Menschheit inzwischen größer. Der sogenannte ökologische Fußabdruck zeigt, dass weltweit eigentlich die Hälfte mehr Fläche zur Verfügung stehen müsste für jenes Wirtschaften, das sich die Menschheit leistet. Wir Deutschen bräuchten sogar zweieinhalbmal so viel. Die Erde kann also nicht weiter liefern wie für ein "Weiter so" nötig.

Wie wird das in dieses Ökosystem eingebettete Wirtschaftssystem reagieren? Die Wirtschaft passt sich an veränderte Rahmenbedingungen an. Für die Reaktion haben wir noch Zeit, denn die Preise knapper, aber notwendiger Güter wie Erdöl oder Nahrungsmittel sind noch bezahlbar und das Klima schaukelt sich nur langsam hoch. Allerdings verschwenden wir diese zur Verfügung stehende Zeit und begeben uns damit immer stärker in die Fänge der Ökodiktatur. Sie ist dann nicht nur im ökologischen Sinne als Grundlage allen Seins vorhanden. Sie drängt sich in das tägliche Handeln. Wer denkt, er habe ein Recht auf Verschwendung, auf über 7.000 Kilowattstunden Stromverbrauch pro Jahr (aktueller Pro-Kopf-Verbrauch der Deutschen), auf ein zwei Tonnen schweres Automobil (Durchschnittsdienstwagen eines deutschen Ministerpräsidenten oder Bundesministers), der beschleunigt den Fall in die harschen äußeren Zwänge.

Die Reichen bleiben cool

Die Reichen können dabei wie häufig kühler bleiben als der Rest, denn sie werden sich ein würdiges Leben auch unter verschärften Bedingungen länger leisten können, insbesondere wenn sie auch über Anteile an den Produktionskapazitäten der künftig knappen Güter (Wasser, Essen, Land, ressourcenintensive Waren) verfügen. Die anderen 90 Prozent der Menschheit jedoch müssen mit ihrer Arbeitskraft die immer teureren Lebensnotwendigkeiten ergattern.

Der Übergang von der heutigen latenten in die akute Ökodiktatur wird nicht schleichend sein, er wird Kipppunkte durchlaufen: Weil unersetzbare Rohstoffe schlagartig teurer werden, wenn die Nachfrage die Produktion übersteigt; weil das Klima immer sprunghafter wird; weil Verbraucher überraschend und panisch reagieren, mit Hamsterkäufen etwa; und weil sich Gesellschaften militantere Regierungsformen wählen, wenn sie sich bedroht sehen.

Eine wehrhafte Demokratie handelt rechtzeitig. Sie wartet nicht auf die scheinheiligen Warner vor einer Ökodiktatur, nicht auf Leute wie die Energiekonzernchefs und ihre Büttel, die doch von Energieknappheit profitieren. Wir zahlen derzeit Billionen an Strom- und Ölkonzerne, für Wegwerfprodukte und Umweltverschmutzung. Dieses Geld geht in die falschen Taschen und gefährdet die Demokratie. Das Verzögern nachhaltigen Handelns gefährdet die Freiheit - nicht ein paar Vorschriften zur Energiewende.

Wer die drohende akute Ökodiktatur nun als Weltuntergangsszenario der Ökopessimisten sieht, der liegt schon wieder falsch. Es liegt ja Hoffnung im Erkennen des Problems. Man kann es dann angehen. Viele haben es ja schon eingesehen und wären offen für Handeln.

Profite? Ja, bitte!

Das Problem dabei sind allerdings die reichsten zehn Prozent weltweit. Wird die Geldelite mitziehen? Sie ist in den meisten Staaten entscheidend, und sie schwankt. Denn sie hat bei Veränderungen nicht nur zu gewinnen, sondern auch sehr viel zu verlieren.

Derzeit überlassen wir den falschen Eliten die Wirtschafts- und vor allem die Energiepolitik. Nämlich denjenigen, die auch mit katastrophalen Veränderungen der derzeitigen Ökosysteme ihr Geld verdienen und mit ihren Profiten Regierungshandeln verzögern.

Die Demokratien müssen an diese Profite ran, um die Gegner des Wandels zu schwächen. Und sie müssen denjenigen Eliten Perspektiven bieten, die das Wirtschaftssystem in eine zukunftsfähigere und menschenwürdigere Form bringen wollen. Das müssen auch profitversprechende Perspektiven sein, denn Geld regiert nun einmal unsere Wirtschaftswelt.

Führt das in eine Ökodiktatur, wie die derzeitigen Mahner vor einer solchen sie verstehen? Nein. Wird den Leuten vorgeschrieben, wie sie zu leben haben? Ja, teilweise schon. Aber heute wird mindestens so viel vorgeschrieben. Und die Elite muss auch keine Bange haben: Statt Riesenautos oder einer energieverschwenderischen Lebensweise wird es andere Statussymbole geben. Die Gewinne der Energie- und Rohstoffzufuhr allerdings werden hoffentlich breiter verteilt sein. Das wäre dann aber weniger Diktatur als heute.

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Reiner Metzger
Leiter Wochenendtaz
Reiner Metzger, geboren 1964, leitet taz am Wochenende zusammen mit Felix Zimmermann. In den Bereichen Politik, Gesellschaft und Sachkunde werden die Themen der vergangenen Woche analysiert und die Themen der kommenden Woche für die Leser idealerweise so vorbereitet, dass sie schon mal wissen, was an Wichtigem auf sie zukommt. Oder einfach Liebens-, Hassens- und Bedenkenswertes gedruckt. Von 2004 bis 2014 war er in der taz-Chefredaktion.
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9 Kommentare

 / 
  • D
    Demokrat

    Danke für Ihren ehrlichen Kommentar! Als intelligenter Mensch: Glauben Sie wirklich an Ihre erstrebenswerte "gute grüne Diktatur"? Glauben Sie wirklich, dass die Mehrheit der Wahlbürger auf Dauer für das Wohl des Rests der Welt bereit ist auf den gewohnten Lebensstandart zu verzichten? Glauben Sie wirklich dass die Mehrheit leben möchten wie es Ihnen der Ökologismus vorschreibt ? Ich nicht. Wann werden Sie wohlwollend für die "Ökopessimisten" und "Klimaleugner" Umerziehungslager fordern ? Werden Sie dauerhauft den Menschen erlauben Ihr schönes selbstversorgendes Ökoparadies ins Nicht-Ökologische Ausland zu verlassen ? Wann werden Sie fordern, andere Länder zu zwingen der Deutschen Bewegung zu folgen? Mein lieber Herr: Ein wenig Diktatur gibt es nicht, es gibt nur Diktatur. Und wie Sie hier sehr deutlich zum Ausdruck gebracht haben: Wer nicht mit uns ist ist gegen uns! Wir sind die Wahrheit. (dann gibts eben ein wenig Diktatur mehr) Mit Verlaub: Auf Ihre Vorstellung von gelenkter Demokratie kann die Welt verzichten!

  • RM
    Reiner Metzger

    @Celsus: RWE-Chef Großmann hat die Ökodiktatur nochmal in den Ring geworfen; aber vorher gab es u.a. schon einen Text dazu in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ("Die herzliche Ökodiktatur") und eine ganze Serie dazu in der Welt. Ein Anlass war der Bericht zur "Großen Transformation" des wissenschaftlichen Beirats WBGU an den Bundestag. IN dem Bericht standen viele bekannte Sachen drin, aber die Schlussfolgerungen schmeckten nicht jedem.

  • HY
    helder yurén

    das bestimmungswort "öko-" ist erfreulich zweideutig, denn es ist entweder von "ökonomie" oder aber von "ökologie" abgeleitet. die von der ökonomie bestimmte ökodiktatur 1 haben wir. sie führt zwangsläufig zur ökologisch bestimmten ökodiktatur 2, weil diese die insolvenzverwalterin jener ist.

    allerdings ist die ökonomie keine wissenschaft, die ökologie aber sehr wohl. es kann also nur besser werden, wenn die gegenwärtige ökodiktatur 1 noch genug zum weiterleben übrig lässt.

  • S
    Student2

    @Student: Das wäre wünschenswert, entspräche letztlich den postfordistischen economies of scope, wenn kleine und dezentral organisierte Wirtschaftsformen gestärkt würden. Einstweilen sehe ich da aber Probleme, vor allem auch in den Köpfen, die auf Größe und Auslagerung unangenehmer Produktionsformen konditioniert sind. Hemmen würde eine solche Entwicklung damit verbundene Umformung bestehender Hierarchiestrukturen, die natürlich unterbunden werden soll.

    Auch stellt sich die Frage, wie es in die Köpfe zu kriegen ist, dem jahrzehntelangen Größenwahn abzuschwören - der ja nicht zuletzt durch das fardistische Wirtschaften immer noch bis ins kleinste Glied gereicht wird: Die Masse macht den Preis und nur der zählt auf dem Markt der tumben oder schlicht armen Verbraucher.

    Auch stellt sich neben der Frage nach den hergestellten und benötigten Produkten (wer will schon gerne ein Stahlwerk in der Nachbarschaft haben oder ein Recycling-Unternehmen?) die Frage der Ressourcen und (Infra-)Strukturen: Erlauben sie die Abkehr bzw. Rückkehr zu partiell alten regionalen Wirtschaftsformen oder sind z.B. Infrastrukturen wie Bahnanlagen so weit unwiederbringlich "rückgebaut", daß hier hoher Aufwand einer Reaktivierung ansteht? Dies als pars pro toto.

  • V
    vic

    Um es kurz zu machen: Bravo!

  • Z
    Zahal

    "Die Reichen", heisst es in dem Artikelchen, "können dabei wie häufig kühler bleiben als der Rest, denn sie werden sich ein würdiges Leben auch unter verschärften Bedingungen länger leisten können", – damit sind vermutlich die gutverdienenden Leser der taz und Wähler der Grünen gemeint, die sich gern mal 'n bisschen öko-snobismusund einen Schuss Multikulti leisten können. Und dabei die Kindchen in die ausländerfreien Zonen Walddorfschule und Montessori-KiTa schicken.

  • C
    Celsus

    Der Begriff der Öko-Diktatur stammt ja von dem RWE-Vorstand Großmann. Bislang glaubten die Herren einfach Demokratie zu praktizieren, indem sie Gespräche von ihren Lobbyisten mit führenden Politikern führen ließen und dabei "Vereinbarungen" über Steuern trafen.

     

    Jetzt müssen die Vorstände einmal sehen, dass eine Entwscheidung nicht mit ihnen vorab ausdiskutiert wird. Die sollten sich trösten. MIr geht es auch nicht besser. Mit mir wollen die mächtigen Fraktiosnchefs und andere einflussreiche Politiker auch nicht über meine Steuerhöhe diskutieren. Nennen wir das Demokratie, wenn es sein muss, obwohl ich es doch demokratischer fände, die nähmen eine kleine Spende von mir an und ...

  • BB
    BürgerEnergie Bergstrasse

    Ein sehr guter Artikel!

     

    Bürger sollten die Energie- und andere lebensnotwendigen Grundversorgungen selbst in die Hand nehmen, um unabhängig zu werden!

     

    Es geht! Man muß eben nicht nur reden, sondern bewußt handeln!

  • S
    Student

    "Die Reichen können dabei wie häufig kühler bleiben als der Rest, denn sie werden sich ein würdiges Leben auch unter verschärften Bedingungen länger leisten können, insbesondere wenn sie auch über Anteile an den Produktionskapazitäten der künftig knappen Güter (Wasser, Essen, Land, ressourcenintensive Waren) verfügen. Die anderen 90 Prozent der Menschheit jedoch müssen mit ihrer Arbeitskraft die immer teureren Lebensnotwendigkeiten ergattern ..."

     

    Nun, das sehe ich ein wenig anders. Es werden wieder die lokalen Produktionsstätten, die lange Zeit ins Ausland verlagert wurden, attraktiver. Heimische Erzeugnisse werden wieder ein größere Rolle in unserem Leben Spielen. Importierte Südfrüchte werden zBsp. wieder zum Luxusgut, was sicherlich für die Reichen bestimmt ist. Dafür werden wir "Normalos" uns vielleicht bald wieder regionalen "Modetrends" erfreuen. Unsere Welt muss nicht schlechter werden, aber garantiert kleiner.