Debatte Nationaler Sicherheitsrat: Die Kanzlerin braucht mehr Macht
Das "Ressortprinzip" gibt den Ministern zu viel Freiheit. Dieses Chaos ist besonders fatal bei der Terrorbekämpfung. Deswegen wird ein Nationaler Sicherheitsrat benötigt.
Glaubt man dem ersten Satz des Grundgesetzartikels 65, ist der deutsche Bundeskanzler eine mächtige Person: Er "bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung". Doch schon im nächsten Satz wird seine zunächst so nachdrücklich eingeführte Richtlinienkompetenz stark eingeschränkt: "Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbstständig und unter eigener Verantwortung."
In der praktischen Politik war und ist es dieses "Ressortprinzip", das es dem Bundeskanzler allzu häufig erschwert, sich gegen einzelne Minister durchzusetzen, um dem Regierungshandeln Kohärenz und Effektivität zu verleihen. Dies galt in der Geschichte der Bundesrepublik insbesondere dann, wenn der jeweilige Ressortchef einer anderen Partei als der Kanzler angehörte. Wie stark die Eigendynamik des Ressortprinzips sein kann, zeigt sich aber auch in Fällen, in denen einzelne besonders wichtige Ministerien von starken Persönlichkeiten geführt werden, die für den Machterhalt oder die Wiederwahl des jeweiligen Kanzlers eine wichtige Rolle spielen: Innenminister Otto Schily war so ein Beispiel.
Man muss kein Freund von Präsidialsystemen sein, um die Nachteile eines solchen Systems zu sehen. Als die Souveränität der Bundesrepublik noch stark eingeschränkt war, hatte die in der politischen Praxis schwache Stellung des Kanzlers nur geringe Auswirkungen. Die Sicherheitspolitik der alten Bundesrepublik folgte Grundlinien, die durch die transatlantische Allianz vorgegeben waren und nur wenig Handlungsspielraum ließen. Für ein Land, das sich bereits seit einigen Jahren bemüht, ein Akteur in der Weltpolitik zu werden, birgt diese Situation jedoch Gefahren: Zu schwach ist die Regierungszentrale und zu groß die Gefahr, dass die einzelnen Ressorts nicht nur ihre jeweils eigene Politik betreiben, sondern sich ihre Aktivitäten in wichtigen Bereichen sogar widersprechen.
Ein Beispiel hierfür ist die Terrorismusbekämpfung nach dem 11. 9. 2001. Sie wird durch das Innenministerium dominiert, das sowohl zu Zeiten der rot-grünen als auch der großen Koalition mit Schily und Schäuble von starken Politikerpersönlichkeiten geführt wurde. Auf sein Betreiben entstand das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), in dem seit Dezember 2004 das Bundeskriminalamt, der Bundesverfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst sowie die Sicherheitsbehörden der Länder vertreten sind. Hier wird die tägliche Terrorismusbekämpfung in Deutschland koordiniert. Dadurch wird die Gefahr deutlich verringert, dass für die Verhinderung von Anschlägen notwendige Informationen zwischen den fast 40 deutschen Behörden, die mit der Terrorismusbekämpfung befasst sind, in entscheidenden Fällen nicht weitergeleitet werden.
Das GTAZ war die angemessene Antwort auf die Unmöglichkeit, den Föderalismus der deutschen Sicherheitsarchitektur aufzubrechen. In der Folge übernahm das Innenministerium die Koordination der deutschen Terrorismusbekämpfung. Dass die Terrorismusbekämpfung aber auch eine immer stärker außenpolitische Aufgabe geworden ist, schafft neue Probleme. Die Wurzeln des islamistischen Terrors liegen in der arabischen Welt. Diese Einsicht hat unter anderem zu einem massiven Ausbau der Kooperation mit Regimen wie Jordanien, Algerien und Ägypten geführt. Eine außenpolitische Strategie ist dabei jedoch nicht mehr zu erkennen. Insbesondere der häufig problematische Konflikt zwischen dem Wunsch nach einer gemeinsamen Terrorabwehr und dem Willen, auf politische Reformen und Rechtsstaatlichkeit in solchen Ländern zu drängen, wird nicht in einer außenpolitischen Gesamtstrategie aufgefangen. Vielmehr betreiben die Innenpolitiker die Sicherheitskooperation, während die Außenpolitiker weiter der erklärten deutschen und europäischen Linie gegenüber diesen Ländern folgen.
Da auch andere Länder wie die USA, Großbritannien und Frankreich in erster Linie auf Kooperation im Sicherheitsbereich setzen, sehen die betreffenden Regime im Ergebnis meist keinerlei Grund mehr, tatsächlich innenpolitische Reformen anzugehen. Dies ist deshalb dramatisch, weil al-Qaida ursprünglich aus der Opposition gegen autoritäre Regime in der arabischen Welt entstanden ist. Eine Konsolidierung dieser autoritären Regime droht auch dem militanten Widerstand gegen all die Mubaraks, Sauds und Gaddafis neuen Auftrieb zu geben.
Deutschland spielt in diesem Zusammenhang nur eine nachgeordnete Rolle: Es sind vor allem die USA, die durch ihre Komplizenschaft mit solchen Regimen in der islamischen Welt die Verbreitung antiwestlicher Denkmuster befördern. Dennoch schadet die Widersprüchlichkeit der deutschen Vorgehensweise der Glaubwürdigkeit deutscher Politik und mindert auf die Dauer deren Gewicht.
Von den beteiligten Ressorts allein ist keine Besserung zu erwarten: Zu unterschiedlich sind schon die Behördenkulturen in Auswärtigem Amt und im Innenministerium, zu eingespielt ist die schon traditionelle Konkurrenz zwischen beiden. Wenn es der Bundesrepublik aber ernst ist mit ihrem Streben nach einer Rolle in der Weltpolitik, braucht es eine zentrale Institution, die der deutschen Politik hilft, kohärenter zu werden. Dies könnte ein Nationaler Sicherheitsrat im Kanzleramt leisten.
Ziel eines solchen Rates müsste es sein, die deutsche Sicherheitspolitik effektiver zu koordinieren. Seine Geschäfte könnten von einem Nationalen Sicherheitsberater im Range eines Staatssekretärs geführt werden; in seinem Arbeitsstab würden alle innen- wie außenpolitischen Aspekte der Sicherheitspolitik bearbeitet. Vertreten wäre Personal mit innen- und außenpolitischer Erfahrung, Militärs und diejenigen, die schon heute die Arbeit der Polizei und der Nachrichtendienste koordinieren. Ihre gemeinsame Arbeit am selben Ort wäre einer der wichtigsten Vorzüge eines Nationalen Sicherheitsrats. Sie könnte dazu beitragen, Personal für eine integrierte Sicherheitspolitik zu schulen, wie sie künftig immer dringlicher werden wird.
Zwar gibt es keine Garantie, dass eine Institution wie der Nationale Sicherheitsrat diese Aufgabe effektiver wahrnehmen könnte, als dies ihre Vorgänger bereits heute tun. Viel würde weiterhin von der Durchsetzungsfähigkeit von Kanzler und Kanzleramtschef abhängen. Ein Nationaler Sicherheitsrat böte aber die Grundlage einer effektiveren und besseren Regierungsführung in der Sicherheitspolitik. Vor allem jedoch könnte stärker als bisher gewährleistet werden, dass sicherheitspolitische Probleme wie etwa der islamistische Terrorismus in erster Linie (außen)politisch angegangen würden - und erst in zweiter Linie repressiv. Dass die Richtlinienkompetenz des Kanzlers in einem solchen Modell gestärkt und die Ressortchefs etwas an Einfluss verlieren würden, wäre dabei sicher kein ganz schlechter Nebeneffekt. GUIDO STEINBERG
Debatte Nationaler Sicherheitsrat: Die Kanzlerin braucht mehr Macht
Das "Ressortprinzip" gibt den Ministern zu viel Freiheit. Dieses Chaos ist besonders fatal bei der Terrorbekämpfung. Deswegen wird ein Nationaler Sicherheitsrat benötigt.
Glaubt man dem ersten Satz des Grundgesetzartikels 65, ist der deutsche Bundeskanzler eine mächtige Person: Er "bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung". Doch schon im nächsten Satz wird seine zunächst so nachdrücklich eingeführte Richtlinienkompetenz stark eingeschränkt: "Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbstständig und unter eigener Verantwortung."
In der praktischen Politik war und ist es dieses "Ressortprinzip", das es dem Bundeskanzler allzu häufig erschwert, sich gegen einzelne Minister durchzusetzen, um dem Regierungshandeln Kohärenz und Effektivität zu verleihen. Dies galt in der Geschichte der Bundesrepublik insbesondere dann, wenn der jeweilige Ressortchef einer anderen Partei als der Kanzler angehörte. Wie stark die Eigendynamik des Ressortprinzips sein kann, zeigt sich aber auch in Fällen, in denen einzelne besonders wichtige Ministerien von starken Persönlichkeiten geführt werden, die für den Machterhalt oder die Wiederwahl des jeweiligen Kanzlers eine wichtige Rolle spielen: Innenminister Otto Schily war so ein Beispiel.
Man muss kein Freund von Präsidialsystemen sein, um die Nachteile eines solchen Systems zu sehen. Als die Souveränität der Bundesrepublik noch stark eingeschränkt war, hatte die in der politischen Praxis schwache Stellung des Kanzlers nur geringe Auswirkungen. Die Sicherheitspolitik der alten Bundesrepublik folgte Grundlinien, die durch die transatlantische Allianz vorgegeben waren und nur wenig Handlungsspielraum ließen. Für ein Land, das sich bereits seit einigen Jahren bemüht, ein Akteur in der Weltpolitik zu werden, birgt diese Situation jedoch Gefahren: Zu schwach ist die Regierungszentrale und zu groß die Gefahr, dass die einzelnen Ressorts nicht nur ihre jeweils eigene Politik betreiben, sondern sich ihre Aktivitäten in wichtigen Bereichen sogar widersprechen.
Ein Beispiel hierfür ist die Terrorismusbekämpfung nach dem 11. 9. 2001. Sie wird durch das Innenministerium dominiert, das sowohl zu Zeiten der rot-grünen als auch der großen Koalition mit Schily und Schäuble von starken Politikerpersönlichkeiten geführt wurde. Auf sein Betreiben entstand das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), in dem seit Dezember 2004 das Bundeskriminalamt, der Bundesverfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst sowie die Sicherheitsbehörden der Länder vertreten sind. Hier wird die tägliche Terrorismusbekämpfung in Deutschland koordiniert. Dadurch wird die Gefahr deutlich verringert, dass für die Verhinderung von Anschlägen notwendige Informationen zwischen den fast 40 deutschen Behörden, die mit der Terrorismusbekämpfung befasst sind, in entscheidenden Fällen nicht weitergeleitet werden.
Das GTAZ war die angemessene Antwort auf die Unmöglichkeit, den Föderalismus der deutschen Sicherheitsarchitektur aufzubrechen. In der Folge übernahm das Innenministerium die Koordination der deutschen Terrorismusbekämpfung. Dass die Terrorismusbekämpfung aber auch eine immer stärker außenpolitische Aufgabe geworden ist, schafft neue Probleme. Die Wurzeln des islamistischen Terrors liegen in der arabischen Welt. Diese Einsicht hat unter anderem zu einem massiven Ausbau der Kooperation mit Regimen wie Jordanien, Algerien und Ägypten geführt. Eine außenpolitische Strategie ist dabei jedoch nicht mehr zu erkennen. Insbesondere der häufig problematische Konflikt zwischen dem Wunsch nach einer gemeinsamen Terrorabwehr und dem Willen, auf politische Reformen und Rechtsstaatlichkeit in solchen Ländern zu drängen, wird nicht in einer außenpolitischen Gesamtstrategie aufgefangen. Vielmehr betreiben die Innenpolitiker die Sicherheitskooperation, während die Außenpolitiker weiter der erklärten deutschen und europäischen Linie gegenüber diesen Ländern folgen.
Da auch andere Länder wie die USA, Großbritannien und Frankreich in erster Linie auf Kooperation im Sicherheitsbereich setzen, sehen die betreffenden Regime im Ergebnis meist keinerlei Grund mehr, tatsächlich innenpolitische Reformen anzugehen. Dies ist deshalb dramatisch, weil al-Qaida ursprünglich aus der Opposition gegen autoritäre Regime in der arabischen Welt entstanden ist. Eine Konsolidierung dieser autoritären Regime droht auch dem militanten Widerstand gegen all die Mubaraks, Sauds und Gaddafis neuen Auftrieb zu geben.
Deutschland spielt in diesem Zusammenhang nur eine nachgeordnete Rolle: Es sind vor allem die USA, die durch ihre Komplizenschaft mit solchen Regimen in der islamischen Welt die Verbreitung antiwestlicher Denkmuster befördern. Dennoch schadet die Widersprüchlichkeit der deutschen Vorgehensweise der Glaubwürdigkeit deutscher Politik und mindert auf die Dauer deren Gewicht.
Von den beteiligten Ressorts allein ist keine Besserung zu erwarten: Zu unterschiedlich sind schon die Behördenkulturen in Auswärtigem Amt und im Innenministerium, zu eingespielt ist die schon traditionelle Konkurrenz zwischen beiden. Wenn es der Bundesrepublik aber ernst ist mit ihrem Streben nach einer Rolle in der Weltpolitik, braucht es eine zentrale Institution, die der deutschen Politik hilft, kohärenter zu werden. Dies könnte ein Nationaler Sicherheitsrat im Kanzleramt leisten.
Ziel eines solchen Rates müsste es sein, die deutsche Sicherheitspolitik effektiver zu koordinieren. Seine Geschäfte könnten von einem Nationalen Sicherheitsberater im Range eines Staatssekretärs geführt werden; in seinem Arbeitsstab würden alle innen- wie außenpolitischen Aspekte der Sicherheitspolitik bearbeitet. Vertreten wäre Personal mit innen- und außenpolitischer Erfahrung, Militärs und diejenigen, die schon heute die Arbeit der Polizei und der Nachrichtendienste koordinieren. Ihre gemeinsame Arbeit am selben Ort wäre einer der wichtigsten Vorzüge eines Nationalen Sicherheitsrats. Sie könnte dazu beitragen, Personal für eine integrierte Sicherheitspolitik zu schulen, wie sie künftig immer dringlicher werden wird.
Zwar gibt es keine Garantie, dass eine Institution wie der Nationale Sicherheitsrat diese Aufgabe effektiver wahrnehmen könnte, als dies ihre Vorgänger bereits heute tun. Viel würde weiterhin von der Durchsetzungsfähigkeit von Kanzler und Kanzleramtschef abhängen. Ein Nationaler Sicherheitsrat böte aber die Grundlage einer effektiveren und besseren Regierungsführung in der Sicherheitspolitik. Vor allem jedoch könnte stärker als bisher gewährleistet werden, dass sicherheitspolitische Probleme wie etwa der islamistische Terrorismus in erster Linie (außen)politisch angegangen würden - und erst in zweiter Linie repressiv. Dass die Richtlinienkompetenz des Kanzlers in einem solchen Modell gestärkt und die Ressortchefs etwas an Einfluss verlieren würden, wäre dabei sicher kein ganz schlechter Nebeneffekt. GUIDO STEINBERG
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Kommentar von
Guido Steinberg