Debatte Mindestrente: Renten-Lotto für die Jüngeren
Wer heute arbeitet, braucht bessere Zukunftsaussichten. Im Alter arm zu sein, ist unzumutbar. Die Mindestrente ist nach dem Mindestlohn das Thema der Zukunft
Barbara Dribbusch ist Inlandsredakteurin
Die Zahlen waren schon länger auf dem Markt: Ein Durchschnittsverdiener, der 30 Jahre lang für die gesetzliche Rentenversicherung Beiträge berappt, bekommt damit am Ende nur ein Ruhegeld in Höhe der Sozialhilfe heraus.
Sie erzeugten aber erst ein bundesweites Echo, als das ARD-Magazin Monitor mit einer ähnlichen Rechnung aufmachte - und dadurch feststellte, dass sich die private Altersvorsorge etwa durch die Riesterrente für Schlechterverdienende gar nicht lohnt. Denn sie wird auf die Grundsicherung angerechnet.
Vom "Riester-Betrug" schäumte umgehend die Linke. Regierungspolitiker indes hofften inständig, dass die Debatte so schnell wie möglich wieder versandet. Das aber wird so nicht passieren. Vielmehr dürfte das Thema in den kommenden Jahren erst so richtig Schwung gewinnen. Denn beim Streit um die schmalen Zukunftsrenten geht es um eine tiefe Legitimationskrise der sozialen Sicherungssysteme.
Das betrifft auch die Mittelschichtmilieus und vor allem die Jüngeren. Und davor fürchtet sich die Politik.
Erst mal die Fakten: Das Durchschnittseinkommen der gesetzlich Versicherten liegt derzeit bei rund 2.500 Euro brutto beziehungsweise 1.500 Euro netto im Monat für einen Alleinstehenden. Wer bei diesem Einkommen 30 Jahre lang Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlt, kommt nach den Rentenreformen im Jahre 2030 auf ein Ruhegeld in heutiger Kaufkraft von 660 Euro. Das entspricht der Sozialhilfe im Alter, heute Grundsicherung genannt, und liegt auf der Höhe von Hartz IV. Wer jahrzehntelang weniger verdient, etwa nur 2.000 Euro brutto im Monat beziehungsweise 1.300 Euro netto, muss fast 38 Jahre arbeiten und in die gesetzliche Rente einzahlen, um ein Ruhegeld in Höhe dieser Grundsicherung zu erreichen.
Wer durch einen sozialversicherungspflichtigen Job wenig verdient hat oder länger arbeitslos oder selbständig war, bekommt also nur eine Minirente. Und hat damit unter Umständen Anspruch auf die staatlich finanzierte aufstockende Grundsicherung im Alter. Zuvor aber wird privat Erspartes und auch ererbtes Vermögen gegengerechnet. Das bedeutet, auch das kleine Extra einer privat angesparten Riesterrente muss erst aufgebraucht werden, bevor der Staat für die Grundsicherung zahlt. Wer spart, und sei es für die subventionierte Riesterrente, kann also am Ende der Dumme sein. Bislang ist das die Botschaft.
Daraus ergibt sich ein missliches Rentenlotto. Komme ich mit meiner gesetzlichen Rente später über die Grundsicherungsschwelle oder nicht? Lohnt sich daher die private Vorsorge? Das ist die Frage, die sich auch Jüngere aus schlechtbezahlten kreativen akademischen Berufen stellen. Frauen, die oft größere Lücken in ihrem Erwerbsleben haben, fürchten die Altersarmut besonders. Der Rentenstreit berührt die Ängste auch der Mittelschichtmilieus, zumal die Worte "Durchschnittsverdiener" und "Altersarmut" plötzlich in einem Atemzug genannt werden.
Die Empörung wächst, weil alte Werte der Arbeitsgesellschaft nun in Frage stehen. Sich im Erwerbsleben abzumühen, Belohnungen auch mal aufzuschieben, an die Zukunft zu denken - das galt immer als Merkmal besonders der mittelschichtigen Biografien. Soziologen sprechen vom deferred gratification pattern, also dem Verzicht auf schnelle Befriedigung zugunsten vorausschauender Zukunftsplanung.
Doch diese subjektive Zukunftsorientierung wird durch die Rentenproblematik auf den Kopf gestellt: Wer spart, hat am Ende vielleicht etwas falsch gemacht. Wer dagegen im Hier und Jetzt lebt und sich auf die Sozialhilfe verlässt, der lässt sich wenigstens nicht zum Deppen machen vom Sozialstaat. Das Misstrauen bleibt, auch wenn viele Erwerbstätige mit der gesetzlichen Rente das Grundsicherungsniveau wohl doch erreichen werden.
Die Rentendebatte ist Teil der Gratifikationskrise, in die unsere Arbeitsgesellschaft geraten ist. Der Kampf um den Mindestlohn zeigt bereits, wie strittig das Verhältnis zwischen Arbeitsmühen und Entlohnung geworden ist. Dabei reden Politiker gerne vom "Lohnabstand" zwischen Arbeitsentgelt und Hartz IV, der angeblich nötig ist, um die Motivation zur Ackerei zu erhalten.
Auf die Alterssicherung übertragen, könnte man vom "Rentenabstand" sprechen, also der nötigen Differenz zwischen gesetzlicher Rente und der Sozialhilfe, die erforderlich ist, um die Motivation zur Beitragszahlung und zur privaten Vorsorge zu erhalten.
Wenn man davon ausgeht, dass ein solcher Abstand nötig ist, um das gesetzliche Rentensystem wenigstens noch ein bisschen vertrauenswürdig erscheinen zu lassen, dann muss die Politik nach Lösungen suchen. Der zynischste Ausweg aus dem Dilemma bestünde darin, das Niveau der staatlich finanzierten Grundsicherung abzusenken.
Eine vom Deutschen Gewerkschaftsbund vorgeschlagene Lösung läge darin, privates Alterseinkommen nur noch teilweise mit einem möglichen Anspruch auf staatliche Grundsicherung im Alter zu verrechnen. Dies schafft allerdings systemische Probleme. Denn damit würde die Nachrangigkeit der Sozialhilfe in Frage gestellt. Warum, so könnten Kritiker fragen, soll eine durch die Steuerzahler finanzierte Grundsicherung eingesetzt werden, um privates Vermögen zu schützen? Ein Vermögen, das beispielsweise viele Geringverdiener gar nicht erst ansparen konnten, weil ihr Gehalt dazu nicht ausreichen würde.
Der Vorsitzende des Sachverständigenrates der Bundesregierung, Bert Rürup, schlägt vor, eine Sockelrente einzuführen, ähnlich dem Kombilohn. Wer 35 Jahre lang Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat und am Ende doch nur eine Minirente herausbekommt, dessen Rente soll aus Steuermitteln zumindest auf etwas über dem Niveau der Grundsicherung von 660 Euro aufgestockt werden, so Rürup. Privat Angespartes soll dabei nicht gegengerechnet werden.
Doch auch der Rürup-Vorschlag wirft Gerechtigkeitsfragen auf. Damit bekäme beispielsweise ein Erwerbstätiger, der in seinem Leben nur wenig Rentenbeiträge eingezahlt, aber ziemlich viel privat angespart hat, am Ende trotzdem eine gesetzliche Rente von 660 Euro heraus. Außerdem hätte er noch sein eigenes Vermögen zur Verfügung. Und dies auf Kosten der Steuerzahler.
Es muss also einen Kompromiss aus diesen Lösungsmöglichkeiten geben - und auch der wird nicht frei von Ungerechtigkeiten sein.
Im Bundeswahlkampf 2009 soll der Mindestlohn eine entscheidende Rolle spielen. Es brauchte einige Jahre, bis SPD und Union auffiel, dass sie um das Thema der würdigen Entlohnung von Arbeit nicht herumkommen werden. Die Frage ist, wann denn nun die Mindestrente, also die Gratifikation und Würdigung des Arbeitslebens, zum großen politischen Thema wird.
BARBARA DRIBBUSCH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!