Debatte Milieus: Im Windschatten der Generation Golf

Teile der Generation 35 plus wuchs privilegiert auf und grenzt sich heute unsolidarisch nach unten ab. In ihrem Schatten gibt es aber ein zweites Milieu, das mehr Hoffnung macht.

Nur Golf ist auch langweilig. Bild: reuters

Der Generation 35 plus kommt in einer Gesellschaft eine besondere Rolle zu. In diesem Alter haben die Menschen ihre Restjugend hinter sich gelassen. So langsam übernehmen sie die Verantwortungsjobs und die Ersten kommen wie Vizekanzler Philipp Rösler (*1973), Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (*1977) und vorübergehend Karl-Theodor zu Guttenberg (*1971) in den Schaltzentralen der Macht an. Hinreichend Gründe also, um zu fragen: Wo kommen sie her? Und was waren die frühen, prägenden Einflüsse dieser nach 1970 Geborenen?

Nach Ansicht von Florian Illies (*1971), dessen Buch „Generation Golf“ einem Teil dieser Alterskohorte vor gut zehn Jahren ihren Namen gab, ist diese Generation geprägt von einer materiell sorgenfreien Jugend. Sie genieße den Wohlstand, den die Eltern erarbeitet haben. Sie agiere daher im Gegensatz zur Vorgängergeneration sehr unpolitisch, bekenne sich zur eigenen Bürgerlichkeit und Spießigkeit, sei pragmatisch und erhebe den Hedonismus und das Markenbewusstsein zu einem Wert.

Generationenerzählungen wie diese sind problematisch, da sie stets nur Teilsegmente einer Alterskohorte beleuchten. Es gibt auch andere Erzählungen.

1989, als eine scheinbar grandiose Zukunft vor dieser Generation lag, ist nicht nur die Mauer gefallen, auch der Neoliberalismus hatte in ganz Deutschland gesiegt. Die Gewerkschaften verloren an Bedeutung, traditionelle Arbeitermilieus lösten sich auf. Dies tat 1985 auch die Band Ton Steine Scherben. Ihr „Macht kaputt, was euch kaputt macht …“ war fünfzehn Jahre lang der Soundtrack einer rebellischen, aufmüpfigen und anarchistischen Jugendkultur.

EBERHARD SEIDEL ist Journalist und Geschäftsführer von "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage".

Die letze homogene Generation

Mit der Band und mit dem Fall der Mauer endete ein Kapitel deutscher Geschichte, die bislang zu wenig beachtet wurde. Die letzte homogen deutsche Jugendgeneration der Bundesrepublik wurde endgültig erwachsen. Für die in den 1950er und 1960er Jahren Geborenen war es keine allzu große Herausforderung, die gemeinsamen Wurzeln und ihre Identität in der deutschen Geschichte, in deutschen Familien und Traditionen zu finden.

Für die nachwachsende Generation stellten sich hingegen neue Herausforderungen. Sie lauteten: Wie reagieren die nach 1970 Geborenen auf den Wandel durch Migration? Auf Diskriminierung und Rassismus? Auf ihre rechtliche und soziale Ungleichheit? Auf das Verschwinden der DDR, das Entstehen des neuen Deutschland? Auf welche gemeinsame Erzählung, auf welche gemeinsamen Traditionen und Werte werden sie sich einigen? Dieses bunte Mosaik der ethnischen und sozialen Herkunftsmilieus, das es so in der Geschichte Deutschlands nach 1945 noch nicht gegeben hat?

Das Milieu der „Generation Golf“ blieb merkwürdig unberührt von all diesen Fragen. Aber außerhalb der geschützten Kinder- und Jugendzimmer der westdeutschen Mittelschicht tobte in diesen Jahren bereits ein harter Deutungs- und Verteilungskampf. Diesen Auseinandersetzungen haben wir unser Buch „Krieg in den Städten“ (1991 und 2012) gewidmet. Jugendgangs, häufig nach ethnischen Merkmalen gegründet, konkurrierten in jenen Jahren um die Dominanz in einem Viertel, einem Jugendklub oder einem Park.

In diese Auseinandersetzungen waren vor allem die Kinder aus Einwanderer- und aus bildungsfernen Familien, aber auch aus den Familien der untergegangenen DDR verwickelt. Diese Heranwachsenden, nennen wir sie „Generation Krieg in den Städten“, waren unfähig zur Artikulation ihrer Interessen in den Jugendverbänden der Parteien, Gewerkschaften und Kirchen. Von der Erwachsenenwelt und den gesellschaftlichen Institutionen alleingelassen, stemmte sie sich mit zum Teil untauglichen, weil gewalttätigen Mitteln gegen Diskriminierung, Desintegration und sozialen Abstieg.

Die Rebellion der Zukurzgekommenen

„Krieg in den Städten“ – das war die bislang letzte laut vernehmbare Rebellion der Zukurzgekommenen, die letztlich nichts anderes als Teilhabe und den Einstieg in die neoliberale Konsumgesellschaft sowie gesellschaftliche Anerkennung forderten. Für den Staat und die Justiz war das ein leichter Gegner. Für viele mündete der eingeschlagene Weg in Jugendarrest und Knast. Die Mehrheit der „Generation Krieg in den Städten“ kämpft heute, zwanzig Jahre später, ums Überleben im Niedriglohnsektor.

Auf Mitgefühl und Solidarität von den bessergestellten Angehörigen der „Generation Golf“ können diese Systemverlierer und ihre Kinder nicht unbedingt setzen. Solidarität und Einfühlungsvermögen gehören nicht zu deren Kernkompetenzen. Seit ein paar Jahren realisieren sie: Der lange sicher geglaubte (ererbte) Lebensstandard der westdeutschen Mittelschichten ist bedroht.

Aggressiv grenzt sich dieses Milieu heute nach unten ab. Statt einer solidarischen, gemeinsamen Perspektive beschwört es eine Renaissance konservativ-bürgerlicher und bisweilen auch religiös-fundamentaler Werte. Es achtet auf Distinktion, häufig in Form kulturalistischer Islamdebatten. Es schickt seine Kinder auf (christliche) Privatschulen und strebt nach Homogenität – frei von sozialer und ethnischer Durchmischung. Ein solches Ausmaß an gewollter sozialer Segregation wie heute hat es seit Gründung der Republik noch nicht gegeben.

Trotz dieser bedenklichen Entwicklungen gibt es keinen Anlass zum Pessimismus. Im Windschatten der saturierten „Golfer“ hat sich in der Generation 35 plus längst ein Milieu entwickelt, das nicht das Gestern der westdeutschen Provinz beweint, sondern zukunftsfähige Beiträge zu ihrem Generationenprojekt liefert, das da lautet: Wie wollen wir künftig in der entwickelten Einwanderungsgesellschaft im geeinten Deutschland in Zeiten der Globalisierung zusammenleben?

Was sind die Themen und die Probleme? Fatih Akin (*1973), Juli Zeh (*1974), Yassin Musharbash (*1975), Jana Hensel (*1976), Bushido (*1978), Naika Foroutan (*1971), Judith Holofernes (*1976), Omid Nouripour (*1975), Hilal Sezgin (*1970), Bülent Ceylan (*1976) und viele andere gewinnen an Bedeutung. Sie belegen: Die Welt, sie bewegt sich doch. Auch in Deutschland.

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