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Debatte LeistungssportDrogen, Rekord und Sieg

Kommentar von Jörg Magenau

Sport ist Theater, und wir wollen Spektakuläres sehen. Doping ist die unmittelbare Folge dieses Wunsches. Sparen wir uns also die moralische Empörung darüber, sie ist bigott.

Was waren das für Zeiten! Als Lance Armstrong sich noch einmal umdrehte, um Jan Ullrich tief in die Augen zu blicken, bevor er antrat und den Berg hinauf verschwand. Schöne Zeiten für Doper, weil sie nur selten erwischt wurden. Noch schönere Zeiten für uns Zuschauer, weil wir zwar wissen konnten, dass gedopt wird, es aber nicht jederzeit wissen mussten. Die Theaterillusion der Sportaufführung war einigermaßen intakt. Helden durften Helden sein, und Sieger waren Sieger. Wir durften sie lieben und hassen. Heute setzt sich jeder Sieger dem Verdacht aus, dass das nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann. Ist das fair?

Manuel Beltran wurde bei der Tour positiv auf EPO getestet. Man führte ihn in Handschellen ab wie einen Verbrecher. Die dramatische Inszenierung war eine pure Entschlossenheitsdemonstration jakobinischer Dopingbekämpfer. Justiz wurde zum Spektakel. Da konnte man sehen, dass das Sporttheater längst auf einer anderen Bühne oder vielmehr im Bühnenhintergrund gespielt wird. Medizinische Kontrollen, juristische Auseinandersetzungen, bürokratische Normierungen schaffen Rahmenbedingungen, unter denen der eigentliche Wettkampf nur noch mit Vorbehalt zu führen ist. Niemand weiß, wessen Name hinterher gestrichen und wer stattdessen zum Sieger erklärt wird. Man muss also gar nicht mehr zuschauen, sondern nur noch die Gerichtsverhandlung abwarten. Floyd Landis hat den Toursieg verloren. Der mit EPO gedopte Bjarne Riis bleibt offiziell in der Siegerliste eingetragen. Ist das gerecht? Wer hat den besten Anwalt?

Ein Sportler muss nicht nur siegen, sondern der oder die Beste überhaupt sein. Asafa Powell, mit 9,4 Sekunden über 100 Meter bis vor kurzem Rekordhalter, hat das so formuliert: "Da draußen tobt ein Krieg. Jeder will der Schnellste der Welt sein. Aber nur einer kann siegen." Die Verpflichtung zum Rekord gehört zum Sport wie das Wirtschaftswachstum zum Kapitalismus. Stillstand ist Rückschritt; nur die Verbesserung zählt. Es ist abzusehen, dass ungebremstes Wirtschaftswachstum katastrophale Folgen hat, trotzdem machen wir immer weiter. Ersatzweise treiben wir den Dopingteufel aus. Aber was bleibt vom Sport dann am Ende übrig?

Sportler allein wären längst nicht mehr in der Lage, immer neue Rekorde zu produzieren. Ohne Ingenieure, Mediziner, Physiologen, Ernährungsspezialisten, Trainingsoptimierer, Videoanalytiker usw. wären sie hilflos. Selbst Yoga gehört zum modernen Methodencocktail.

Es ist allzu leicht, mitreisende Ärzte und Apotheker zu diffamieren. Die Forscher, die spezielle Legierungen für Schlittschuhkufen oder ultraschnelle Schwimmanzüge erfinden, stören uns ja auch nicht. Dabei stellen sich bei Material und Maschine dieselben Fragen wie beim Menschenkörper: Was ist erlaubt und was nicht? Ja, schlimmer noch: Ist heute noch erlaubt, was gestern erlaubt war, und wird es morgen verboten sein? Die Grenzen zwischen Doping und medizinischer Fürsorge sind nur willkürlich festzulegen. Zu begründen sind sie nicht.

Doping ist ein unlösbarer Widerspruch. Es findet statt, darf aber nicht sein. Zur Optimierung der Körperkondition ist es so notwendig wie fragwürdig: Es zerstört die Chancengleichheit (falls es die überhaupt jemals gab) und den Glauben an die "Authentizität" - ein Begriff aus der Kunst, der neuerdings auch auf den Körper anwendbar ist. Doping ist das Schmiermittel zwischen Fairplay und Konkurrenz oder zwischen der großen, imaginären, friedlichen Weltgemeinschaft des Sports und der (symbolischen) Vernichtung des Gegners. Doping ist aber auch eines der großen Heuchelthemen der Öffentlichkeit, weil es uns Zuschauern erlaubt, risikolos auf der Seite des Guten zu stehen. Den Widerspruch zwischen Siegeswillen und Sportlerethos müssen ja die anderen, die Athleten, aushalten. Wir verkleistern ihn mit Moral. Doping ist das Schweigen im Zentrum des Sports und zugleich die Lüge im Reden über den Sport.

Es gibt keinen reinen Naturzustand des Körpers. Sport ist definitionsgemäß dessen Spezialisierung, Modulierung und Manipulierung. Die Olympischen Spiele werden reichlich Gelegenheit bieten, seltsam schöne und monströse Körper in ihrer wunderlichen Vielfalt zu bestaunen. Es führt kein Weg zurück zum Idealbild der griechischen Antike, als nackte (männliche) Körper göttergleich miteinander konkurrierten wie später nur noch bei Leni Riefenstahl. Denn schon der antike Körper wurde sorgfältig eingeölt, damit er schöner glänze und die Muskeln zur Geltung kämen: Wenn Illusion Lüge ist, dann war auch das schon falsch.

Aber Sport ist Illusion. Sport ist das große Als-ob: eine Welt neben der Welt, in der dieselben Regeln gelten, die aber doch nur als Spiel konzipiert ist; eine Welt, die besser sein soll und moralischer als das Alltägliche. Zugleich ist Sport aber immer der Ernstfall. Sportler müssen dazu bereit sein, ihren Körper mit vollem Risiko für ihre Sache einzusetzen und sich selbst bis in die letzte Muskelfaser auszubeuten. Eine Todesbereitschaft gehört dazu - im Boxen wie in der Formel 1, im Radsport wie beim Military. Und auch wenn Leistungssport nicht immer gefährlich ist, ist er extrem ungesund und verkürzt die statistische Lebenserwartung. Doping mit dem Argument zu verbieten, man müsse die Gesundheit der Sportler schützen, ist so halbherzig wie heuchlerisch. Es verkennt zudem das Risiko, das zur Faszinationskraft des Sports gehört. Sport ist keine sozialstaatliche Veranstaltung, sondern ein darwinistisches Prinzip. Nur weil das so ist und weil er zugleich die "Friede, Freundschaft, ich lass dir den Vortritt"-Illusion bedient, taugt er als Spiegelbild unserer gesellschaftlichen Verfasstheit.

Doping ist vermutlich so alt wie der Sport selbst. Die Kriminalisierung des Dopings ist dagegen vergleichsweise jung. Es sind besonders die Deutschen, die sich dabei hervortun, während Italiener und Spanier gelassener bleiben. Der Philosoph Peter Sloterdijk hat das kürzlich in einem Interview auf deren "katholische Tradition der fröhlichen Selbstzerstörung" zurückgeführt. "Italiener und Spanier sind Angehörige einer Kultur, in der die Abspaltung des Scheins vom Sein zur populären Metaphysik gehört. Die Deutschen, speziell die protestantischen, wollen dagegen die Wörter und die Dinge wieder zur Deckung bringen. Wir sind, glaube ich, die einzige Nation auf der Welt, wo man an ehrliche Neuanfänge glaubt. Wir bleiben unberechenbar, 1945 wurden wir demokratisch, 2007 dopingfrei." So viel zu Authentizität und Theater.

Doch siegen wollen wir ja auch, wir Deutschen. Vielleicht sind Siege sogar wichtiger als der jeweilige Sport. Tennis ist langweilig geworden, seit Boris Becker und Steffi Graf abgetreten sind. Die Tour de France ohne Jan Ullrich funkt nicht mehr. Und die Olympischen Spiele werden auch ziemlich öde, wenn es nicht Dressurreiter, Kanuten und Pistolenschützen rausreißen. Dafür werden wir dann aber - gefühlt - die Saubersten gewesen sein. Wie immer, seit 1945. JÖRG MAGENAU

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4 Kommentare

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  • SO
    Stuttgarter Ostfriese

    Es ist sicher korrekt, dass Höchstleistungssport nicht gesund ist. Höchstleistungsport mit Anabolika, EPO und Co. ohne jegliche Grenzen zwingt den Athleten dazu alles zu nehmen was sein Körper so gerade noch aushält. Da wird der Leistungsdruck (nur einer kann der Beste sein) dafür sorgen, dass genügend Athleten ein klein wenig zu viel davon nehmen.

    Selbst mit Verbot von Doping aber leider oftmals halbherzigen Kontrollen gab es in der Vergangenheit schon genug Tote. Tom Simpson, Birgit Dressel stehen als allseits bekannte Vertreter vieler Athleten die ihr Leben durch Doping verloren.

     

    Ach ja, wer jetzt Olympia für Doping verseucht hält, der suche sich einmal ein Olympia-Buch heraus von z.B. 1976 Montreal. Speziell Schwimmen der Frauen. Damals war noch einiges möglich, was heute mit immer besseren Kontrollen unmöglich gemacht wird.

    Es ist geradezu ein Schlag ins Gesicht für jeden Sportler, der sich nicht mit Medikamenten vollstopfen will, was Sie hier von sich geben.

    Es ist sicherlich ein Großteil der Sportler, die lieber nicht Dopen würden. Sie tun dies oft nur, weil Sie ansonsten Chancenlos sind.

    Chancenlos z.B. die Normen für Olympia zu erfüllen, die das NOC entsprechend hoch ansetzt.

    Vielleicht schauen heute die Zuschauer wohlwollender auf Athleten, die in Vorläufen scheitern. Diese werden eventuell jetzt nicht mehr als faul angesehen.

  • L
    Lindi

    Sehr guter Artikel.Danke dafür.

    Weil sich allerdings heutzutage die Berichterstattung weitestgehend selbst erschöpft hat ( kein Thema, das nicht schon x-mal durchgenudelt wurde) ,bin ich der Meinung, man sollte die lösungsorientierte Denke mehr in den Vordergrund rücken.

    Bezogen auf das obige Thema: Jede® Sportler(in)

    sollte sich reinziehen dürfen, was er will und den Namen der jeweiligen Substanz werbewirksam auf dem Trikot durch die Gegend radelnd kundtun.

    Die Siegersubstanz dann dem deutschen Bundestag verabreichen, dann geht hier im Lande auch mal was weiter.

    ( ich glaub`, ich kauf mir mal wieder die Titanic.)

    Grüße!

  • J
    jura-freiburg

    Der beste Kommentar, dass ich bis jetzt zum Thema Doping bei einer Tageszeitung gelesen habe.

     

    Viele Dank

  • HR
    Herr Rodes

    "Doping mit dem Argument zu verbieten, man müsse die Gesundheit der Sportler schützen, ist so halbherzig wie heuchlerisch."

     

    ist das jetzt der kleine deutsche protestant im herrn magenau der durch die freigabe von doping "wörter und die Dinge wieder zur Deckung bringen" will, oder hab ich ein anderes, ganzherzliches argument für den verbot von doping in seinem text übersehen? bezweifelt jemand dass eine vollkommene liberalisierung des dopings zu einer explosion von todesfällen, und männern mit titten etc, im leistungssport führen würde?

     

    wägt man diese beiden alternativen gegeneinander ab finde ich für meinen teil ein wenig halbherzige heuchelei das kleinere übel: immer klar im blick behaltend dass "beschissen" wird, dass es grauzonen gibt, das es ein "perfektes" system nicht geben kann, denn letztlich sind die deutsche dopingobsession der letzten beiden jahren eine überreaktion verursacht durch die enttäuschung übersteigerter erwartung an die realität.

     

    "100% sauberen sport" gibt's nur bei den olympischen sommerspielen von wolkenkuckucksheim, daraus aber abzuleiten das "die ja doch alle bescheissen" ist einfach nur bequemlichkeit beim betrachten der welt, gemäss der weisheit dass es zwei arten gibt ohne eigenes denken durchs leben zu gehen: man kann alles glauben, oder gar nichts, die digitale kategorisierung einer analogen welt.

     

    mahlzeit!