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Debatte Leben ohne RohstoffeDie Schere im Kopf

Kommentar von Adelheid Biesecker

Recyceln gilt als unsexy und rückwärtsgewandt. Die Produktion von Waren aber bedeutet Fortschritt. Dieses Bewertungsschema ist hinfällig

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2 Kommentare

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  • HH
    Hans-Hermann Hirschelmann

    Nachtrag:

    Es mag der Eindruck entstanden sein, mein etwas eilig formulierter Kommentar zum Kommentar von Adelheid Biesecker verfolgt die Absicht, ihre Position in Grund und Boden zu verdammen. Das wäre ein Missverständnis. Um es klar zu sagen: ich teile die Perspektive, sozial-ökologische Gesamtrechnungen zur Basis des mitmenschlichen Handelns zu machen. Ja, wir brauchen eine Ökonomie (und diese hervor bringenden Behauptungsverhältnisse), die ökologisch reflektierte Kosten-Nutzen-Optimierungen umfasst. Um zu erkennen, welche Produktion vernünftig ist, müssen Relationen zwischen einem Nutzen einerseits und den sozial-ökologischen Kosten, d.h. der zu seiner Herstellung (und Wiederherstellung) notwendigen Verausgabung von Produktivkäften sowie dem damit (möglicherweise) einher gehenden Schaden andererseits ermittelt werden. Noch einmal: Diese Relationen lassen sich nicht in Geld sondern nur ideell ausdrücken (was ist zu welchem Grad erhaltens- beachtens,- begehrends- oder verdammenswert) Die Ermittlung von in dem Sinne vernünftigen Relationen schließt ebenso die Frage ein, was - in welchem Maß - überhaupt als ein Nutzen bzw. Schaden oder eben auch als Aufwand bzw. als "Arbeit" gelten soll.

     

    Für den klaren Blick in diese Richtung ist es aber m.E. ausgesprochen hinderlich, an Begrifflichkeiten für "Produktion" (vermeintlich alles mit Geld entgoltene) und "Reproduktion" (vermeintlich alle unbezahte Produktion) festzuhalten. Denn dies ist ja gerade nicht (!) stofflich begründet sondern gerade Ausdruck des kritisierten Warensinns und dessen "Schere im Kopf" bzw. der diesen falschen Vorstellungen zugrunde liegenden Behauptungsbedingungen.

  • HH
    Hans-Hermann Hirschelman

    Von Hans-Hermann Hirschelmann:

     

    Kapitalistische Ökonomie ist gleich "Schere im Kopf"? Und die schneidet unser Bewusstsein vom Erkennen (und deshalb Anerkennen) reproduktiver Leistungen der Hausarbeit und anderer Naturkräfte, die unentgeltlich Dienstleistungen erbringen, ab? Diese "Logik" müssen wir uns also aus dem Kopf schlagen, weil sie die Ursache für unsere ökologische Blindheit und damit allen Raubbaus ist? Wir müssen stattdessen umdenken, eine ganz neue Logik kostruieren, mit deren Hilfe wir uns nicht mehr nur um "Produktion", sondern auch um "Reprodulktion" scheren und letztere einen "Wert" beimessen?

     

    Puh! Es scheint mir an der Zeit, wieder mehr Marxismus zu wagen. Denn aus historisch-marialistischer Sicht ist es kein Wunder, dass am Ende einer solche Variante von "das Bewusstsein bestimmt das Sein" nur die gut meinende Empfehlung steht, eine ideale "Logik" zu erdenken, die so lieb ist, den "Begriff" (sic!) der Arbeit zu erweitern und die "Sorgearbeit einzubeziehen" Und dies mit der Verheißung zu garnieren, dies würde "unabhängig von Macht, Märkten und von kapitalistischen Profitinteressen machen."

     

    Wo in der Kritik an diese - ja durchaus übliche - Sichtweise anfangen und nicht verzweifeln?

     

    Zu allererst möchte ich empfehlen, (kapitalistische) Ökologie und (kapitalistische)Ökonomie voneinander zu unterscheiden und damit auch eine ethische Bewertung vom Tauschwert. Was zu welchen ökologischen (also nur moralisch und nicht in Geld ausdrückbaren) Kosten der Mühe oder der Aufmerksamkeit wert, erhaltenswert, begehrenswert, oder auch verdammenswert ist, ist etwas anderes, als der Grad an Arbeitsaufwand, der für die (Re-) Produktion eines auf einem Markt gehandelten Tauschguts notwendigerweise aufzubringen ist. Letzterer wird unter der Bedingung freier (auch von Ethik befreiter) Märkte von der Konkurrenz der Anbieter ermittelt. Noch so hohe "moralische Wertschätzung" durch Kunden oder Anbieter kann nicht verhindern, dass die Konkurrenz es billiger macht, wenn es ihr gelingt, ökonomischer, d.h. Lohn und Gehalt sparender zu produzieren - z.B. durch ökologischen Raubbau.

     

    Ökologisch betrachtet, (d.h. die Wirkungen des Stoffwechsel betrachtend), ist auch die Unterscheidung von "Reproduktion" und "Produktion" keineswegs durch "formelle oder informelle" bzw. "bezahlte oder unbezahlte Arbeit" bestimmt. Dient die Produktion einer Windel etwa nicht der Reproduktion von Menschen? Schützt die soziale Wertschätzung des Windelwechselns davor, in Kauf zu nehmen, dass für die Herstellung (und Wiederherstellung!) des Windelangebots 2000 Jahre alte Zedern aus den boralen Regenwäldern Kanadas gefällt werden? Und ist es nicht der von Marx so trefflich analysierte (nämlich unter Bedingungen freier Märkte unwillkürlich aus den Verhältnissen hervor gehende) "Fetischcharakter der Ware", welche den (ökologischen) Zusammenhang der Herstellung und Wiederherstellung des Warenanbegots vernebelt?

     

    Ökonomische Werte sind eine Funktion des Tauschgeschehens, das privaten (d.h. konkurrierende Akteure ausschließenden) Besitz an (Re-)Produktionsmitteln voraus setzt. Dem entsprechen Rechte bzw. Möglichkeiten zur (privaten) Entwicklung, Veräußerung und Aneignung des zu (Re-)Produzierenden.

     

    Es ist im gewissen Grenzen ja durchaus möglich, im Rahmen kapitalistischen Wirtschaftens moralische Wertschätzungen in ökolomische Wertbildung zu überführen. Allerdings ist dafür die Umwandlung der ökologisch-ethischen Ansprüche in die ethisch-moralisch neutralen Behauptungsverhältnisse der kapitalistischen Ökonomie notwendig. Und dafür braucht es gesellschaftliche Eingriff in private Entwicklungs- Aneignungs- bzw. Veräußerungsrechte - etwa durch Umweltauflagen, Steuern, Zölle oder der Begrenzung der Vergabe handelbarer "Verschmutzungsrechte". Politische Manipulationen gesellschaftlicher Warentauschrelationen offenbaren aber keine (!) "ökologische Wahrkeit von Preisen". Ökologie ist nicht in Geld ausdrückbar. Von Interesse ist nicht die Wahrheit sondern die Wirkung der Modifikationen. Sie können eine andere ökologische Wirklichkeit "nur" schaffen.

     

    Die Diskussion sollte sich deshalb auf die Fragen konzentrieren, in wie weit privatem Entwicklungs-, Aneignung- und Veräußerungsvermögten soziale Grenzen gesetzt werden müsssen - und können. Und wie Spielräume gegebenenfalls erweitert werden können. "Kommunismus", schrieb Marx sinngemäß, sei "keine Utopie, nach er sich die Wirklichkeit zu richten haben werde, sondern die wirkliche Bewegung, welche die alten Verhältnisse aufhebt" ... - insoweit ein (weltweit) herrschaftsfreier Diskurs deren ethisch moralisch bestimte "ökologische Unverantwortlichkeit" offenbart.

     

    Hans-Hermann Hirschelmann, Berlin

    Zum Weiterlesen

    http://www.future-on-wings.net/konsum.htm