Debatte Lafontaine-Nachfolge: Nach Oskar wird es Ernst
Oskar Lafontaine zieht sich aus der Linke-Führung zurück. Die Partei will schnell neue Vorsitzende bestimmen. Als Favoriten gelten Gesine Lötzsch und Klaus Ernst.
BERLIN taz | Nach der Erklärung Oskar Lafontaines, er ziehe sich aus der Bundespolitik zurück, ist am Wochenende die Führungsdiskussion in der Linken offen ausgebrochen. Als Favoriten für die Nachbesetzung der Doppelspitze der Partei auf dem Bundesparteitag im Mai gelten Gesine Lötzsch und Klaus Ernst. Die Personalie gilt auch als Entscheidung darüber, welchen Weg die heterogene, bislang auf Lafontaine konzentrierte Partei künftig einschlagen wird.
Am vergangenen Samstag erklärte der 66-Jährige nach einer Vorstandssitzung in Berlin, er werde auf dem Bundesparteitag im Mai in Rostock nicht erneut als Parteivorsitzender kandidieren und auch auf sein Bundestagsmandat verzichten. Sein Gesundheitszustand lasse nichts anderes zu: "Der Krebs war ein Warnschuss, über den ich nachdenken musste."
Lafontaine hatte sich im November einer Krebsoperation unterzogen. Sein Kovorsitzender Lothar Bisky tritt ebenfalls nicht erneut an, sondern ist bereits als Fraktionsvorsitzender ins EU-Parlament gewechselt. Zudem muss die Partei einen Nachfolger für den Posten des Bundesgeschäftsführers finden, nachdem sich Dietmar Bartsch im Streit über seine angebliche Illoyalität gegenüber Lafontaine zum Rückzug gezwungen sah.
Damit steht die Partei vier Monate nach ihrem exzellenten Abschneiden bei der Bundestagswahl vor einer Richtungsentscheidung: Lassen sich die sehr unterschiedlichen Anschauungen und Mentalitäten der Parteimitglieder auch ohne Lafontaine vereinbaren? Und wohin wird die neue Führung die zerstrittene Partei zu lenken versuchen?
Bereits am heutigen Montag treffen sich Fraktionschef Gregor Gysi und die Landesvorsitzenden, um eine Lösung für den Parteivorsitz zu finden. Laut Informationen der taz gehen Teilnehmer des Gesprächs davon aus, dass sich die Runde noch am selben Abend auf zwei Kandidaten einigen wird.
Es gilt zwar als sicher, dass erneut zwei Vorsitzende gewählt werden, die Entscheidung für eine Doppelspitze müssen die Delegierten jedoch per Satzungsänderung mit Zweidrittelmehrheit billigen. Fraktionschef Gregor Gysi gilt als gesundheitlich angeschlagen. Eine Doppelbelastung durch Fraktions- und Parteivorsitz scheint daher ausgeschlossen.
Aus Sicht des Berliner Landesvorsitzenden Klaus Lederer steht beim Rostocker Parteitag viel auf dem Spiel: "Es geht um mehr als um die Nachfolge von Oskar Lafontaine", urteilt Lederer gegenüber der taz. "Wir müssen auch die Frage beantworten: Bekommen wir ein Führungsgremium zustande, das die Partei im Übergangsstadium der nächsten zwei, drei Jahre ohne Intrigen leiten kann?"
Neben Vorsitzenden und Geschäftsführer sucht die Partei einen neuen Schatzmeister. Der Partei fehlt obendrein bis heute ein Grundsatzprogramm. Von einer dauerhaften Doppelspitze hält der Chef des mitgliederstarken Landesverbands nicht viel: "Aber für eine Übergangsphase von zwei oder vier Jahren kann das sinnvoll sein", sagt Lederer.
Der Vorsitzende der Linksfraktion im Thüringer Landtag, Bodo Ramelow, plädiert für eine doppelte Quotierung. Es täte der Linken gut, eine Spitze aus einem Mann und einer Frau zu haben, von denen eine Person aus dem Osten und eine aus dem Westen kommt. Ramelow brachte dabei die Namen der drei direkt gewählten Bundestagsabgeordneten, Gesine Lötzsch, Petra Pau und Dagmar Enkelmann, ins Gespräch.
Die Berlinerin Pau und die Brandenburgerin Enkelmann gelten als Pragmatikerinnen. Die 53-jährige Enkelmann führte von 2004 bis 2005 die Potsdamer PDS-Landtagsfraktion und ist heute parlamentarische Geschäftsführerin der Linken im Bundestag. Pau ist Vizepräsidentin des Parlaments.
Die größten Chancen hat jedoch derzeit Gesine Lötzsch. Die Haushaltsexpertin hielt - neben Petra Pau - die Fahne der PDS im Bundestag hoch, als die Partei dort von 2002 bis 2005 nur mit zwei Direktmandaten vertreten war. Heute ist die in Ostberlin Geborene Vizechefin der Fraktion und versteht sich gut mit Lafontaine.
Aussichtsreichster Kandidat für den Kovorsitz ist derzeit der bayerische Gewerkschafter und Vizeparteichef Klaus Ernst. Ernst gründete die WASG mit und ist ein Vertrauter des Nochparteichefs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin