Debatte Krisenbewältigung: Alle Instrumente nutzen

Die Ökonomie, die sich nicht um gesellschaftliche Bedürfnisse kümmert, ist out. Sie muss sich wieder an politischen Zielen orientieren.

Zum ersten Mal seit Bestehen der Statistik ist in diesem Frühjahr die Arbeitslosigkeit nicht zurückgegangen. Die heutige Krise geht weit über eine Rezession hinaus. Sie nimmt Dimensionen an, die sich mit der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren vergleichen lassen.

Das marktradikale Wirtschaftsmodell ist gescheitert. Der Markt sollte alles regeln. Aber dieser orientiert sich am maximalen Profit und ist blind für politische, soziale und ökologische Belange. Am weitesten konnten sich die Finanzmärkte der öffentlichen Kontrolle entziehen. Staatliche Einrichtungen passten sich an oder spielten mit.

Das Ergebnis ist verheerend. Entstanden ist eine tiefe Krise der kapitalistischen Ökonomie.

Die Ökonomie hat sich weitgehend von der Gesellschaft verselbständigt. So weit, dass sie ihre eigenen Grundlagen gefährdet. Die Ökonomie muss sich an politischen Zielen orientieren. Die Politik hat ihr eine Richtung zu geben und einen Rahmen zu setzen. Das ist die vornehmste Aufgabe demokratischer Einrichtungen. In diesem Sinne muss die Ökonomie vergesellschaftet werden. Sie hat den Bedürfnissen der Menschen zu dienen und nicht ungekehrt.

Das marktradikale Wirtschaftsmodell strahlte in alle anderen Gesellschaftsbereiche aus. Es führte zu wachsender gesellschaftlicher Ungleichheit, Entsolidarisierung und zur Entwertung von öffentlichen Gütern, politischem Leben und demokratischen Strukturen. Damit scheiterte nicht nur ein Wirtschaftsmodell, sondern auch ein gesellschaftlicher Entwicklungsweg.

Ob aus diesem Scheitern aber ernsthafte Konsequenzen gezogen werden, ist offen. Die Kräfte, die von der marktradikalen Politik profitieren, sind nach wie vor einflussreich. Ihr Ansehen hat zweifellos gelitten, daher sammeln sie sich neuerdings unter der Fahne der sozialen Marktwirtschaft.

Die Krise gibt ihnen erhebliche Erpressungspotenziale an die Hand. Leere Auftragsbücher, wachsende Arbeitslosigkeit und fehlende Finanzierungen werden sicherlich benutzt werden, um Druck auf Löhne, Arbeitszeiten und Sozialleistungen zu machen. Die verschärfte Standortkonkurrenz kann eingesetzt werden, um sich politischen Auflagen oder Steuerzahlungen zu entziehen. Um zu verhindern, dass das ganze Spiel noch einmal von vorne beginnt, brauchen wir daher eine starke Mobilisierung in den Betrieben und in der Öffentlichkeit.

Die Bundesregierung hat eine Reihe von Erste-Hilfe-Maßnahmen zur Sicherung des Finanzsektors durchgeführt und zwei Konjunkturprogramme aufgelegt. Diese Programme enthalten einige sinnvolle Maßnahmen wie - auf unsere Initiative hin - die Verlängerung der Kurzarbeit auf 18 Monate oder die Umweltprämie für Autos. Insgesamt sind sie der Dimension der Krise überhaupt nicht angemessen. Denn die Krise bedroht inzwischen die industriellen Kerne der Bundesrepublik Deutschland.

Eine wesentliche Stärke des Standorts Deutschland ist die enge industrielle Arbeitsteilung, die intensive Forschung und Entwicklung. Auf kleinstem Raum findet man alles, was nötig ist. Dies ist in Gefahr. Sicher ist ein funktionierendes Finanzwesen systemrelevant. Aber der gesellschaftliche Reichtum wird nicht auf dem Börsenparkett geschaffen. Es sind jene zahlreichen Industriebetriebe, die entscheidend zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dieses Landes beitragen. Sie haben mindestens dasselbe Anrecht auf öffentliche Unterstützung wie die Banken.

Durch den dramatischen Rückgang der Aufträge sind viele dieser industriellen Arbeitsplätze in Gefahr. Kurzarbeit allein reicht hier nicht mehr aus. Es drohen Massenentlassungen und Insolvenzen. Nur ein massives Konjunkturprogramm, das schnell wirkt, kann diesen Prozess aufhalten. Noch ist das möglich. Befindet sich die Wirtschaft erst im freien Fall, kann man auf ihre Entwicklung nur noch schwer Einfluss nehmen.

Daher fordert die IG Metall einen Fonds zur Unternehmenssicherung in Höhe von 100 Milliarden Euro, finanziert durch höhere Belastung der Spitzeneinkommen und großen Vermögen. Unternehmen, die in der Substanz gesund sind, müssen über die Krise gerettet werden. Denn sind sie einmal geschlossen, gehen Qualifikationen und Spezialwissen unwiederbringlich verloren. Voraussetzung ist, dass die Betriebe alles tun, um Beschäftigung zu erhalten. An der Vergabe der Mittel müssen die Gewerkschaften beteiligt sein.

Sollten weitere Konjunkturprogramme nötig werden - vieles spricht dafür -, müssen diese mit klaren strukturpolitischen Zielen verbunden werden. Es geht um einen Umbau im Sinne eines nachhaltigen, sozial und ökologisch verträglichen Wirtschaftens. Danach haben sich die Schwerpunkte der Investitionen zu richten: erneuerbare Energien, integrierte Verkehrskonzepte, Bildung, Forschung und Entwicklung. Die extreme Exportabhängigkeit Deutschlands muss eingedämmt und der Binnenmarkt gestärkt werden.

In der Krise werden wir zunächst mit aller Kraft die Arbeitsplätze verteidigen. Dies geht nicht ohne eine neue Arbeitszeitdebatte. Wir müssen die vorhandene Arbeit auf mehr Schultern verteilen. Alle Instrumente, die dafür entwickelt worden sind, sollten genutzt werden: Verlängerung der Kurzarbeit, Förderung der Altersteilzeit, flexibles Ausscheiden aus dem Berufsleben statt Rente mit 67, Qualifikationszeiten, eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit zur Beschäftigungssicherung usw. Soll dies nicht zu Lohneinbußen und weiteren Belastungen der Konjunktur führen, muss auch das durch staatliche Mittel flankiert werden.

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben den Beschäftigten in den Betrieben gezeigt, wie wichtig es ist, mehr Einfluss auf die Geschäftspolitik zu gewinnen. So erklärte etwa die Nokia-Geschäftsleitung ihrem Betriebsrat, sie würde selbst dann nach Rumänien gehen, wenn die Produktion dort nur einen Cent billiger wäre. In eine solche Situation wollen wir nicht mehr kommen! Wichtige Entscheidungen über Betriebsschließungen, Standortverlagerungen oder Massenentlassungen dürfen künftig nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Aufsichtsrat beschlossen werden.

Wir werden überall dort, wo wir für die Arbeitsplätze und das Überleben der Betriebe kämpfen, auch mehr Mitbestimmung einfordern. Wenn wir schon Opfer bringen müssen, dann wollen wir dafür auch mehr Rechte haben. Das kann auch in Form von Eigentumsrechten geschehen, die die Beschäftigten gemeinsam verwalten und in die Wagschale werfen können.

Mit diesen Vorschlägen setzen wir uns für einen grundlegend anderen gesellschaftlichen Entwicklungsweg ein. Nach der Krise darf nicht vor der Krise sein. Wir wollen einen neuen, demokratischen, solidarischen und ökologischen Gesellschaftsvertrag. Nur so können wir unseren gewerkschaftlichen Auftrag einlösen, allen die Chance auf ein gutes Leben zu ermöglichen.

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