Debatte Kriegsbegräbnisse: Es geht nicht um Schmerz

Begräbnisrituale dienen dazu, dem Tod der Soldaten einen höheren Sinn zu geben. Nun kann Kritik am Einsatz als pietätlos entwertet werden.

Auf den Särgen liegen die wappengeschmückte Fahne und der Helm, Soldaten halten die Totenwache, in wohlgesetzten, feierlichen Worten wird seitens der Honoratioren der "Gefallenen" gedacht, die auch "unsere Sicherheit" am Hindukusch verteidigt und für Freiheit und Menschenrechte gestritten haben. Die Fernsehbilder lassen uns alle an dem weihevollen Akt teilhaben.

Das militärische Begräbnisritual hat eine strikt legitimatorische Funktion. Denn keineswegs steht im Vordergrund, den Schmerz der Angehörigen zu lindern, den zu frühen Tod junger Leute zu beklagen. Diese Trauer wird politisch instrumentalisiert, sie wird missbraucht, um dem Tod auf dem Schlachtfeld einen höheren Sinn zu geben. Sowenig es sich beim Soldatengelöbnis um ein hilfreiches, dabei harmloses Initiationsritual handelt, so wenig ist auch das feierliche Soldatenbegräbnis nur ein tröstendes Ritual des Übergangs. Beide sind militaristische Exerzitien. Und mit der rituellen Sinngebung wird die Frage weggedrängt, welchen politischen Sinn eigentlich die Präsenz deutscher Truppen in Afghanistan hat.

Die Rituale des militärischen Begräbnisses und des nachfolgenden Gedenkens befinden sich bei uns gegenwärtig in der Einübungsphase. Aber das wird für die Machteliten, die für die Präsenz der Bundeswehr in Afghanistan stehen, keine ganz leichte Aufgabe. Die Werte, für die in der jüngeren deutschen Vergangenheit im Krieg gestorben werden sollte, das Vaterland, die Ehre beispielsweise, sie sind diskreditiert oder untergegangen wie die alten militärischen Eliten. Das Herz schlägt nicht mehr höher beim Anblick der schimmernden Wehr. Zwar existieren in der öffentlichen Meinung auf internationalem Feld jede Menge von Stereotypen, Vorurteilen und Feindbildern, wie zuletzt das Beispiel der griechischen Krise lehrt. Aber vor der Idee, einem Kontrahenten mittels militärischer Gewalt seinen Willen aufzuzwingen (so die Kriegsdefinition von Clausewitz), schreckt die Mehrheit der Menschen in Deutschland zurück. Populär sind Ideen der Konfliktprävention, der nichtmilitärischen Streitschlichtung, der Selbstbindung kraft "Verrechtlichung" der internationalen Beziehungen. Sie lehnen sich an funktionierende innenpolitische Konsensmodelle an, etwa an die Einhegung des Klassenkampfs durch geregelte Streikverfahren.

Der Politologe Herfried Münkler hat dargelegt, dass der Begriff des Opfers selbst einen Bedeutungswandel erfahren hat. Man opfert sein Leben nicht mehr einem erhabenen Ziel. Der soldatische Opfertod wird nicht privilegiert gegenüber den Todesfällen, die im zivilen Bereich, zum Beispiel bei der Katastrophenbekämpfung oder der Entwicklungshilfe, zu beklagen sind. An die Stelle des Opfers tritt das Risiko. Generell wird der Opferbegriff entpersönlicht, etwa so, wie man von Verkehrsopfern spricht. Münkler empfahl daher noch 2008 dringend, den Begriff "Krieg" zu vermeiden und an der Bezeichnung "humanitäre Intervention" festzuhalten. Auch riet er, lieber von getöteten als von gefallenen Soldaten zu sprechen. Es handelte sich also nicht um semantische Spitzfindigkeiten, sondern um die Suche nach rechtfertigenden Begriffen.

Für die deutsche Öffentlichkeit war indes schon seit längerer Zeit klar, dass es sich bei dem Bundeswehreinsatz nicht um Entwicklungshilfe plus militärischer Eigensicherung handelt, sondern um Krieg. Der massenhafte Tod von Zivilisten war in der Öffentlichkeit präsent, wurde aber als Problem der skrupellosen Amerikaner angesehen. Dies hat sich seit der Katastrophe von Kundus verändert. Auf "unsere" Anforderung hin wurden Zivilisten getötet, und die deutschen Soldaten werden jetzt Opfer der Gegenangriffe. Mit der Verkündigung der neuen amerikanischen Strategie ist der deutschen Truppe der Rückzug ins sichere Feldlager abgeschnitten. Sie muss sich jetzt an Offensivaktionen beteiligen. Die sichere Folge sind steigende Verluste. Solche Verluste können aber nicht mit der behaupteten quasizivilen Funktion der Bundeswehr in Einklang gebracht werden. Sie erzwingen jetzt den Übergang zur Kriegsterminologie. Mit der Konstatierung "kriegsähnlicher Zustände" in einer Reihe afghanischer Provinzen werden die deutschen Truppen zur Krieg führenden Macht, auch in Selbstverständnis der politischen Führung. Weil das so ist, müssen jetzt alle Register gezogen werden, um diesen Krieg zu rechtfertigen. Da aber eine klare, rechtfertigende politische Aussage über das Kriegsziel und wie man es erreichen kann, fehlt, stützt man sich um so entschlossener auf emotionale Einstimmung. Dem dienen die staatlichen Trauerinszenierungen.

Indem sie den Spieß umdrehen, unterstellen die Befürworter des Afghanistaneinsatzes den Gegnern der militärischen Intervention, aus der steigenden Zahl aus Afghanistan heimkehrender Särge zynisch Kapital schlagen zu wollen. Auch von grünen Außenpolitikern hört man den merkwürdigen Ratschlag, jetzt angesichts der toten Soldaten "innezuhalten". Ganz so, als ob es den Kriegsgegnern an Respekt vor den Toten mangele. "Innehalten" heißt aber jetzt nichts anderes als stummes Einverständnis mit der offiziell verordneten Staatstrauer, also dem propagandistischen Verdunklungsmanöver der Bundesregierung. Wer aber nicht "innehält", wer darauf beharrt, dass über den politischen Sinn und das Ziel des Afghanistaneinsatzes gestritten wird, der handelt nicht gegen, sondern für die Interessen der deutschen Soldaten. Er ist es, der ihnen Respekt erweist.

Schon mischen sich in die Einübung militaristischer Begräbnisrituale Drohungen an die Adresse der Kriegsgegner. Der Bundeswehr-Professor Wolffsohn unterstellt, sie würden "unfreiwillig" die Taliban unterstützen, wenn sie in der deutschen Öffentlichkeit die Zunahme von Soldaten-Opfern in Afghanistan thematisierten. Denn die Taliban betrachteten den Widerstand gegen den Krieg in den Krieg führenden Ländern als wichtiges Element ihrer eigenen Kriegführung. Von dieser Behauptung bis zur Rede vom Dolchstoß der intellektuellen Landesverräter in der Heimat gegen die kämpfende Truppe ist es nur ein Schritt.

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