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Debatte KoalitionskonstellationenDer Starrsinn der SPD

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Kurt Beck will unbedingt ein Ampelbündnis. Doch das wird es nicht geben. Denn die FDP hat gute Gründe für ihr Nein. Darum muss sich die SPD bewegen: Richtung Rot-Rot-Grün.

Bild: taz

Stefan Reinecke (48) lebt in Berlin-Kreuzberg, war früher Redakteur der taz-Meinungsseite und ist seit fünf Jahren Autor der taz. Er beschäftigt sich vor allem mit Innenpolitik, Parteien und Geschichtspolitik.

Kurt Beck will es, Andrea Nahles will es, Andrea Ypsilanti auch. Die Linken in der SPD wollen es, die Rechten sowieso: Die FDP soll in Hessen mit Rot-Grün eine Regierung bilden. Dann könnte Andrea Ypsilanti Ministerpräsidentin werden. Und, mehr noch, mit der Ampel in Hessen würde man auf grünes Licht für einen Machtwechsel bei der Bundestagswahl 2009 schalten. Die SPD wäre endlich davon erlöst, aus Staatsräson Juniorpartner in der großen Koalition sein zu müssen. Kann daraus etwas werden, erst in Wiesbaden, dann in Berlin?

Die hessische FDP will genau das Gegenteil von dem, was Rot-Grün angekündigt hat. Sie hält den Mindestlohn für einen sozialistischen Zwang, wettert gegen die rot-grüne Einheitsschule, ist für Atomenergie und den unbehinderten Ausbau des Frankfurter Flughafens. Damit liegt sie in den landespolitischen Kernfragen quer zu Rot-Grün. Kompromisse sind auch mit viel Fantasie schwer vorstellbar.

Deshalb werden die Liberalen bei ihrem Nein zur Ampel bleiben. Sie tun dies nicht aus Starrsinn oder stumpfer Treue zu Roland Koch, sondern aus rationaler Abwägung. Die FDP hat in Niedersachsen und Hessen an der Seite der CDU gewonnen. Die Liberalen standen in ihrer wechselvollen Geschichte schon oft am Abgrund und mussten riskante Manöver vollführen, um zu überleben. Derzeit müssen sie das nicht. Es gibt keinerlei Druck, in Hessen ein politisches Abenteuer einzugehen.

Und bundespolitisch? Vielleicht ist Hessen, in dem Koch das politische Klima vergiftet hat, ja nur ein schlechtes Beispiel, eine Ausnahme? Die Beck-SPD preist die Ampel unverdrossen als Koalition von sozialer Gerechtigkeit (SPD), ökologischer Kompetenz (Grüne) und Wirtschaftsdynamik (FDP). In der Tat liegen SPD, Grüne und FDP bei der Außenpolitik, der Rechts- und Innenpolitik ziemlich auf einer Linie. Und hat nicht Kurt Beck in Rheinland-Pfalz gezeigt, dass sozialliberal gehen kann? Die Ampelkoalition soll ein Bündnis von Facharbeitern und unterem Mittelstand mit dem postmaterialistischen und dem wirtschaftsliberalen Bürgertum sein. Aus Sicht der Beck-SPD ist die Ampel damit die logische Fortführung von 1969 und 1998, jenen goldenen Zeiten, als die Volkspartei SPD Bündnisse mit dem aufgeschlossenen, liberalen Teil des Bürgertums anführte. Warum also soll das 2009 nicht klappen?

Aus drei Gründen. Die FDP müsste, aus nacktem Eigeninteresse, ihren Preis in einem Bündnis mit Rot-Grün enorm hochtreiben. Nur mit erkennbaren, symbolischen Erfolgen - etwa der Verhinderung von Mindestlohn und Bürgerversicherung und weitreichenden Deregulierungen - könnte sie ihrer Klientel erklären, warum sie Rot-Grün an die Macht hilft. Sonst droht ihr eine Spaltung. Das Gleiche gilt für die Grünen, wenn sie in die für sie milieufremde schwarz-gelbe Koalition einsteigen. Deshalb sind Jamaika- und Ampel-Formationen schwierig herzustellen und drohen leicht wieder auseinander zu fallen.

Zweitens bewegen sich SPD und FDP in der Wirtschafts- und Sozialpolitik in diametral entgegengesetzte Richtungen. Seit die Beck-SPD die lange vergessene Verteilungsgerechtigkeit und den Staat wiederentdeckt hat, kann sie wieder Wahlen gewinnen. Die FDP hingegen setzt stocksteif weiter auf neoliberale Flexibilisierung - und fährt damit bei Wahlen auch nicht schlecht. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik kann sich die SPD mit der Union und auch der Linkspartei einigen, aber kaum mit der FDP.

Drittens gibt es gegen ein Ampelbündnis auch Gründe jenseits der Eigenlogik des politischen Betriebs. Die Gesellschaft driftet sozial auseinander. Der Abstand zwischen oben und unten, zwischen, grob gesagt, Globalisierungsgewinnern und -verlierern, nimmt zu. Und auch das soziale Ressentiment von oben nach unten wächst. Es ist insofern kein Wunder und auch keine Marotte von Guido Westerwelle, dass sich die FDP noch stärker zu einer Klientelpartei von Aufsteigern entwickelt hat, die von der Individualisierung profitieren möchten und die Schwächung der Gewerkschaften und den Rückzug des Staates wollen. Die SPD hingegen muss sich um ihre in der Schröder-Ära vertriebene Stammklientel, Arbeiter und Arbeitslose, kümmern. Für die kann die SPD sogar in einer großen Koalition mehr erreichen als mit Westerwelle.

Umso verwunderlicher ist, wie stur sich die Beck-SPD an die Ampel als einzige Möglichkeit jenseits von Rot-Schwarz bindet. Dass die FDP nicht will und - in ihrem derzeitigen Zustand - auch nicht kann, überhört die SPD mit einer Ausdauer, die von Wirklichkeitsverleugnung nicht zu unterscheiden ist. Mit Becks kategorischem Nein zu der "sogenannten Linken" verrammelt die SPD faktisch die Türen der Burg große Koalition und wirft den Schlüssel weg.

In Hessen wird die SPD nun erleben, wohin sie dieser Kurs führt. Ypsilanti bleiben zwei Möglichkeiten. Sie kann Juniorpartner in einer CDU-Regierung werden. Das bedeutet (egal ob mit oder ohne Roland Koch), dass sie ihre zentralen Projekte, den ökologischen Umbau der Energiewirtschaft und die egalitäre Schulreform, beerdigen muss. In Berlin war die große Koalition 2005 vernünftig, in Wiesbaden wäre sie für die SPD kaum eine Notlösung. Denn die SPD hat in Hessen etwas Erstaunliches geschafft: Sie hat mit einem linken und modernen Programm gepunktet. Ihr Erfolg verdankt sich nicht nur Kochs Kamikaze-Wahlkampf, sondern eigener Stärke: der Trias von entschlossenem ökologischem Umbau, handfester Chancengerechtigkeit in der Schulpolitik und dem Versprechen, per Mindestlohn für Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen. Ypsilanti ist - und das ist kaum zu überschätzen - die Wiedergeburt des oft totgesagten rot-grünen Projekts gelungen: nicht als Generationsroman à la Schröder/Fischer, nicht als Nostalgieveranstaltung, sondern als zukunftstaugliches Reformprogramm, das weit über die Reparatur der Agenda 2010 hinauszielt. Auch deshalb ist eine große Koalition für die SPD in Hessen keine Einsicht ins Notwendige, sondern eine Niederlage.

Die Alternative wäre, dass sich Ypsilanti von der Linkspartei mit zur Ministerpräsidentin wählen lässt und eine Tolerierung ausprobiert, so wie es Daniel Cohn-Bendit gestern in der taz skizziert hat. Das wäre ein Abenteuer, Ausgang ungewiss. Denn die hessische Linksfraktion ist unerfahren, und ob sie Fundamentalopposition oder wirklich pragmatische Politik machen will, weiß sie wohl nicht mal selbst so genau. Allerdings ist in keinem anderen westlichen Flächenland die inhaltliche Schnittmenge zwischen Rot-Grün und der Linkspartei so groß.

Hessen hat gezeigt, dass das Fünf-Parteien-System zum Normalfall wird. Die sehr ordentliche deutsche Parteipolitik wird damit "italienischer", spielerischer und unberechenbarer. Das bislang Undenkbare, etwa mal wackelige Bündnisse auf Zeit zu riskieren, wird möglich. In diesem Spiel gewinnt eher, wer flexibel ist. Wie lange wird die SPD in ihrer Starre verharren?

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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