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Debatte KitastreikMehr Geld statt mehr Pausen

Kommentar von Christian Füller

Der Kampf der Erzieherinnen ist ein Lehrstück über die neuere deutsche Bildungsdebatte und die Ideologie der heiligen Familie.

D er Kitastreik bringt bundesweit zehntausende Erzieherinnen auf die Barrikaden und bald die Eltern auf die Palme. Richtig so, denn das Thema Bezahlung der Erzieherinnen gehört zu den großen Peinlichkeiten der neueren deutschen Bildungsdebatte. Die öffentliche Diskussion darüber verläuft in den üblichen Bahnen: Mürrisches Lehrpersonal nutzt Streikmacht, um wichtige Institutionen lahmzulegen, ist nur eine davon. Bald wird man ins Klein-Klein tariflicher Details abbiegen. Dann hört eh keiner mehr zu. Das ist schade. Denn die Hintergründe des Kitastreiks gehen uns alle an.

Bild: privat

Christian Füller ist Diplom-Politologe und Redakteur der taz mit dem Schwerpunkt Bildung. Zuletzt erschien von ihm "Die gute Schule" (Pattloch 2009).

Seit die Familienministerinnen Renate Schmidt und Ursula von der Leyen im Verein mit Hirnforschern die Kitas zu Bildungseinrichtungen ersten Ranges erklärt haben, ist ein rasanter Wandel des guten alten Kindergartens zu beobachten. Alle Tage wird die frühe Hirnentwicklung als die wichtigste Phase im Leben des Kindes gepriesen. Die gern Kindergärtnerin geheißene Figur von einst, die bedächtig im Rübchenbeet harkt, ist passé. Heute tritt sie auf in der Rolle einer Züchterin von Hochleistungssynapsen in den Köpfen unseres ertragreichsten Humankapitals, der Kleinkindern. Eine Erzieherin muss Entwicklungspsychologin, Didaktikerin und Lerntheoretikerin in einem sein - so tönt es jedenfalls allenthalben.

Die Realität sieht leider anders aus, ganz anders. Da werden die Kita-Professorinnen bezahlt wie bessere Putzfrauen. Sie verdienen so wenig, dass sie sich nicht selten aus kümmerlich entlohnten Teilzeitstellen in den sicheren Hafen der Ehe retten. Kitaleiterinnen können ein Lied davon singen, wie ihnen aussichtsreiche, vielfach fortgebildete Erzieherinnen weggeheiratet werden. Es ist letztlich die deutsche Mutterideologie, die wirksam bleibt: Die beste Erzieherin sei immer noch Mutti selbst. Nur eine Rabenmutter vertraue dem Staat ihre Kinder zur Erziehung an, so lautete die tief ins Bewusstsein eingegrabene Haltung der heiligen deutschen Familie. Staatliche Erzieherinnen brauche es nur im bedauerlichen Einzelfall und gebildet müsse frau nicht sein, um Kinder gefallener Mütter in einer Bewahranstalt zu betreuen.

Entsprechend niedrig rangierte historisch die Erzieherin im Ansehensranking der Berufe. Die Bremer Soziologin Karin Gottschall sagt, das kulturelle Arrangement rund um Familie und Kindergarten stamme aus dem Kaiserreich - und habe sich im Prinzip bis heute fortgesetzt. Viele junge Frauen sind immer noch in den Strukturen um Kindergarten und Halbtagsschule gefangen: niedrig gebildet und schlecht bezahlt. Erzieherin ist in Wahrheit weiter ein Synonym für Jungmädchens Traum: "Ich wollte was mit Kindern machen." Im Endeffekt ist Erzieherin eine mehr oder weniger solide Vorbereitung auf die Mutterrolle.

Die Bundesländer tun viel dafür, dass sich daran nichts ändert. Mögen ihre für Familie und Bildung zuständigen Minister noch so sehr das Hohelied auf die frühkindliche Bildung singen - die Finanzminister der Länder weigern sich strikt, auch nur einen Cent mehr für Erzieherinnen herauszurücken. An eine allgemeine tarifliche Höhergruppierung aller Erzieherinnen wird überhaupt nicht gedacht. Es würde Milliarden kosten, um das Betreuungspersonal von einst zu honorieren wie Akademikerinnen mit einem Bachelor in early childhood education. Genau den aber fordern alle naselang irgendwelche Bildungspolitiker. Fragt man sie nach den schlechten Ergebnissen der Schule, richten sie sofort alle Scheinwerfer auf die Kindergärten und sagen: Die Kinder kommen ja schon so schlecht vorgebildet in der Schule an. Erst mal müssten wir die frühen Jahre nutzen!

Hier zeigt sich die ganze Perfidie des herrschenden Bildungsdiskurses. Die Forderung nach einer besseren Kita wird gern von den Konservativen erhoben - und zwar, um die lästige Debatte über die komplizierte und schlechte vielgliedrige Schule abzuwehren. Die frühkindliche Bildung ist das Surrogat, das von der Diskussion über die viel zu frühe Auslese in der vierten Klasse ablenkt. Und so ändert sich insgesamt wenig. Im Kriechgang schleppt sich die gute Schule dahin - und die viel beschworene strahlende rosarote Zukunft der Kita ("Haus der kleinen Forscher") wird in den endlosen Konferenzen der Kultus- und Finanzminister versenkt. Was dort geschieht, hat die Öffentlichkeit noch nie richtig erfahren. Deswegen fällt es ihr auch so schwer, das ganze Bildungsblabla der Sonntagsreden wirklich zu durchschauen. Sie fühlt nur, dass viel Schwindel im Spiel ist.

Nun also der Kitastreik. Es wird nicht etwa um eine generelle bessere Bezahlung gestritten. Nein, es geht um einen Gesundheitstarifvertrag. Das heißt, um den Erzieherinnen bei ihrer anspruchsvollen Tätigkeit an den Kinderhirnen zu helfen, sollen sie nicht etwa aufgabengerecht besser entlohnt werden - vielmehr wird ihr Alltag mit peniblen Pausen- und Vorbereitungszeiten garniert.

Das ist, sorry, eine ziemlich dumme Idee der Gewerkschaften. Anstatt dass wenigstens sie die Kita zu einem wirklichen Bildungshaus macht, fordert die GEW im übertragenen Sinne, ein Sofa in die Waschküche zu stellen und wasserdichte Putzeimer anzuschaffen. Diese Strategie wirkt denkbar unsexy in der Öffentlichkeit und sie zementiert das Bild der Kita als Betreuungs- und Bewahrungsanstalt. Obendrein verwischen derartige Forderungen, worum es eigentlich geht. Im Vordergrund steht nicht mehr die Frage, wie eine intelligente pädagogische Arbeit gewährleistet werden kann, sondern die sachgerechte Organisation von Pausenzeiten für weiterhin miserabel bezahlte Erzieherinnen.

Wie entkommt man diesem Dilemma? Wer A wie "Kita ist wichtig" sagt, der muss auch den Mut zu B wie "Das kostet Milliarden" haben. Die Kita der Zukunft als kleines und freies Lernlabor gibt es nicht für lau. Kitas brauchen eine konsequente Höhergruppierung des Gehalts für akademisch gebildete Erzieherinnen. Das bedeutet, sie müssen pädagogisch wie pekuniär mit Primarschullehrerinnen gleichgestellt werden. Zugleich muss ein breites Fortbildungsprogramm anlaufen, um die Potenziale der rund 200.000 fachschulgebildeten Erzieherinnen zu erschließen - und schließlich auch sie qualifikationsgerecht zu bezahlen.

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4 Kommentare

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  • HZ
    Heiner Zok

    Na, da hat's ja schon heftig Prügel gegeben, Herr Füller! Auch ich beobachte stets interessiert Ihre Wanderungen durch die bildungspolitische Landschaft. Dabei fällt mir immer wieder ihre etwas eigensinnige Freund-Feind-Kennung auf. Warum schlagen Sie ausgerechnet auf die GEW ein? Informieren Sie sich doch bitte mal über die Positionen der GEW zu Ihrem Thema, beispielsweise in der Ihnen sicherlich zugänglichen neuesten Ausgabe der EuW (6/2009), insbesondere die Seiten 23-25. Sie werden sich wundern!

    Gruß

    H. Zok

  • TM
    Thomas Müller

    Ich dachte, wenigstens in der taz wird ErzieherIn mit großem I geschrieben...:)

    Wir wollen außerdem mindestens 2 Sofas für die Waschküche und noch eins für draussen. Und das mit den Putzeimern finde ich auch nicht so blöd. Wenn die nämlich keine Löcher hätten, müsste ich nicht so oft rennen und hätte mehr Zeit mir eine Frau zu suchen, die mich hier rausheiratet (und mehr verdient als ich). Aber sonst stimmt der Artikel natürlich.

    Thomas

  • M
    Momo

    Nach ihrer Definition der Rolle einer Erzieherin

     

    "Heute tritt sie auf in der Rolle einer Züchterin von Hochleistungssynapsen in den Köpfen unseres ertragreichsten Humankapitals, der Kleinkindern."

     

    wundern Sie sich wirklich über die Skepsis der Eltern hinsichtlich diesem kalten neoliberalen Betreuungs/Bildungsvokabular ?

     

    Sie bedienen Klischees wie

     

    "Staatliche Erzieherinnen brauche es nur im bedauerlichen Einzelfall und gebildet müsse frau nicht sein, um Kinder gefallener Mütter in einer Bewahranstalt zu betreuen."

     

    Wo bitte gibt es staatliche Erzieherinnen ?

     

    Sie arbeiten, so weit ich weiß, in kommunaler, konfessioneller oder freier Trägerschaft und angesichts der demokratischen Mängel unserer Entscheidungsträger, gerade im Bertesmann und Dussmann unterwanderten Bildungsbereich,

    bin ich darüber sehr froh !

     

    http://www.duckhome.de/tb/archives/6322-Dussmann-will-wie-Bertelsmann-an-die-Kinder-ran.html

     

    Erzieherinnen leisten in vielen Einrichtungen hervorragende Leistung, nach meinen Erfahrungen oft weit mehr als akademisch gebildetet Junglehrerinnen an den Schulen, die oft nur noch an guten Vergleichsarbeitsergebnissen interessiert sind!

     

    Ihre demagogische Sprache macht mich hellhörig.

     

    Was bitte sind gefallene Mütter ?

     

    Alleinerziehende, die aufgrund der skandalös niedrigen Harz4-Sätze für Kinder, festgesetzt durch den Staat, viel zu oft gezwungen sind zu Billiglöhnen zu schuften oder gar in die Prostitution zu gehen ?

     

    Wieso wollen Sie hier Mütter gegeneinander hetzen ? Was bezwecken Sie damit ?

    Was soll dieses Rabenmutter gegen Heimchen Ausspielen ?

    Sind wir nicht schon viel weiter ?

    Gibt es nicht ein Konsens darüber, dass es um das Interesse des Kindes und der Eltern geht und diese in der Lage sind, nach ihrem Gewissen zu entscheiden (sicher, die Grundlagen zur Entscheidung müssen geschaffen werden )?

     

    Geht es hier wirklich um Gleichstellung, wenn Sie in den Kindergärten mehr akademisches Personal fordern ?

    Oder soll etwa auf diesem Weg einem privater Bildungsmarkt (wie es schon die Wirtschaftsweisen gefordert haben) eine Tür geöffnet werden, weil sich kommunale Einrichtung teueres Führungspersonal nicht leisten können, allein wegen der neuen Verschuldungskriterien ?

    Wäre es nicht sinnvoller, sofort den Betreuungschlüssel zu verbessern ?

    Fördert die Akademisierung, denn wirklich die Chancen und Bildungsgerechtigkeit ? Oder reißt sie die Kluft nicht noch mehr auf ? Ist dies nicht der Einstieg in die Klassen-bildungsgesellschaft von Sozialcreches und teueren ABC-Vorschulen?

     

    Nein, ich würde Sie nicht zur Pflaume des Monats wählen wie Studenten der FU Berlin.

     

    http://semtix.blogsport.de/2007/02/02/pflaume-des-monat-februar-christian-füller-oder-warum-studiengebührengegner-angeblich-unsozial-sind/

     

    Ich wähle Sie zum Demagogen des Monats.

     

    Wünschenswert wäre ehrlich über Kinder, Bildung, Vereinbarkeit und Erziehung zu reden.

    Hier in der taz aber werden ständig Menschen aufeinander gehetzt.

     

    Berufstätige gegen Nichtberufstätige oder Teilzeitmütter

    Homosexuelle gegen Heteros (Adoption)

    Gebildete gegen arme und daher ungebildete Eltern (Sarrazin)

    Kinderlose gegen Eltern (soziale Elternschaft)

    Deutsche gegen Einwanderer

    Verheiratete gegen Nichtverheiratete (Splitting)

    Väter gegen Mütter (Unterhalt, Erziehungsrecht)

    Dekonstuktivistinnen gegen Differenzfeministinnen

     

    Warum ?

    Geht es allen um Kindeswohl und Menschenwohl?

    Oder um Prinzipien ? Oder um Manipulation ?

    Oder um Ökonomie und Ausbeutung ? Oder Macht ?

  • M
    Martamesi

    Ihren Kommentar hier eingeben

    Seit 2 Jahren leben wir in NZ und seit 4 Monaten

    bin ich ein reliever (Unterstuetzer)in early-childhood hier in Hamilton; die ausgebildeten Er-

    zieher verdienen zwischen 26-32 Dollar die Stun-

    de, was den Ansporn weiter gibt, sich mit den Kids

    auch jeden Tag einfallen zu lassen; immerhin hat man es ja genug lang studiert? Und die beste Basis

    fuer die Schule ist nunmal der Kindergarten, der

    eine Vorbereitung und erste Bildungsstaette sein

    sollte! Die Freude auf solches wird mit freier Ge-

    staltung fuer die Kinder gestaltet und trotzdem gibt es auch eine Zeit von Geschichten und Zuhoeren und Buchstaben lernen usw... Vielleicht

    mal ein Beispiel nehmen; Neuseeland, der kleinste

    Kontinent und das juengste Land auf der Welt. Aber

    da muessten erstmals die Uralten Denkweisen beiseite geschoben werden und auch Unterstuetzung

    von den Eltern kommen, die aehnlich die Kinder erziehen..... Vielleicht geht es nur mit weniger

    Bevoelkerung? Ich weiss es nicht, war nur ein Vorschlag; liebe Gruesse nach Deutschland