Debatte Karadzic-Auslieferung: Und wieder geht's ums Ganze
Die Auslieferung von Radovan Karadzic ist ein erster Schritt. Jetzt muss die vom ihm geschaffene ethnische Zergliederung von Bosnien und Herzegowina revidiert werden.
P olitisch gesehen ist Radovan Karadzic in Bosnien und Herzegowina noch immer der Sieger: Die Teilung des Landes in ethnisch-definierte Entitäten ist sein Werk.
Vor diesem Hintergrund kann man sich natürlich freuen, dass die serbische Regierung ihn nun endlich an den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ausgeliefert hat. 13 Jahre nach der Anklageschrift des Kriegsverbrechertribunals und 12 Jahre nach seinem Rücktritt als Präsident der serbisch kontrollierten Gebiete in Bosnien und Herzegowina und seinem gleichzeitigen Abtauchen in den Untergrund, ist Karadzic in Den Haag gelandet. Mit ihm steht die Symbolfigur für den verbrecherischen serbischen Nationalismus, mithin die ethnischen Säuberungen mit zehntausenden von Opfern im Jahr 1992 und den Genozid an 8.372 Menschen in Srebrenica drei Jahre später vor Gericht.
Allein den Niederlanden und auch Belgien ist es zu verdanken, dass das Hindernis "Kriegsverbrecher" für eine Annäherung an die EU für Serbien bestehen geblieben ist. Ansonsten schwand in den letzten Jahren der Druck der EU auf Serbien, die noch flüchtigen Kriegsverbrecher auszuliefern. Auch Berlin zeigte sich in der jüngsten Vergangenheit bereit, ohne die Verhaftung der beiden die Türen für Serbien in Richtung EU zu öffnen. Mit Ruhm bekleckert hat sich unsere Regierung in dieser Diskussion also nicht. Serbien hat trotzdem reagiert. Die neue Regierung der Demokratischen Partei und vor allem Präsident Boris Tadic haben die Zeichen der Zeit verstanden und eine der Altlasten entsorgt.
Ihnen kam zu Hilfe, dass Karadzic Montenegriner ist und damit nicht den serbischen Gesetzen unterliegt, nach denen ein serbischer Staatsbürger nur nach sehr komplizierten Verfahren an das Tribunal ausgeliefert werden darf. Mit Ratko Mladic ließe sich ähnlich umgehen, denn er ist Bosnier. Dass er bislang nicht verhaftet wurde, zeigt jedoch, dass stärkere Mächte ihre schützende Hand über den Exgeneral halten, als sie Karadzic zur Verfügung standen.
Mladic besitzt in Serbien eine Hausmacht, insofern er von Teilen der Armee und der Geheimdienste geschützt wird. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Mladic in Belgrad gelebt hat oder noch lebt und als Diabetiker kontinuierliche ärztliche Behandlung benötigt. Diese erhält er nach den Ermittlungen in Den Haag, offenbar in Armeekrankenhäusern. Jetzt die Forderung nach Auslieferung dieses Mannes fallen zu lassen, wäre daher verfrüht. Serbien muss weiterhin seine Hausaufgaben machen und alle noch ausstehenden Kriegsverbrecher ausliefern. Auch Goran Hadzic, den ehemaligen Führer der Krajina-Serben.
Keine Frage: Karadzic wurde für die Perspektive Europa geopfert; gut so. Und dieser Umstand zeigt auch, dass Europa im Raum des früheren Jugoslawien kein zahnloser Löwe zu sein braucht. Gerade deshalb mischt sich in die Jubelrufe von Berlin, Paris, London bis Washington mancher Misston. Denn die Regierungen müssen erklären, warum es ihnen in den letzten 13 Jahren nicht gelang, in dem überschaubaren Gebiet des Balkans der Gesuchten habhaft zu werden - trotz eines riesigen Militäraufgebotes und über 50 in der Region aktiver Geheimdienste.
Vor allem darf nicht übersehen werden, dass Karadzic und Mladic bis heute mithilfe der internationalen Gemeinschaft sich politisch in Bosnien und Herzegowina durchgesetzt haben. Ihnen ist es mit dem Krieg und den ethnischen Säuberungen gelungen, die einstmals verwobene multireligiöse Gesellschaft in ethnisch definierte Stücke zu reißen. Rassistischer Abgrenzungswahn, religiöse Intoleranz, Ausschaltung von Rechtsstaatlichkeit, all das sind Resultate des von ihnen propagierten Denkens. Und dieses Denken wurde mithilfe der internationalen Staatengemeinschaft belohnt und rechtlich abgesichert. Das Friedensabkommen von Dayton und die bosnische Verfassung garantieren die Existenz zweier "Entitäten" unter einem Dach, in Praxis die Teilung des Landes entlang ethnisch-politischer Linien. Nichts anderes wollte auch Radovan Karadzic erreichen.
Erschwerend hinzu kommt, dass seine von anderen Volksgruppen gesäuberte "Republika Srpska" von der Staatengemeinschaft zunehmend als eigener Staat wahrgenommen wird. Die bosnisch-serbische Führung verteidigt das Abkommen von Dayton und damit die Teilung des Landes erbittert und behindert jeden Ansatz, der das Zusammenwachsen der beiden Landesteile befördert. Die Republika Srpska hat von sich aus noch keinen einzigen Kriegsverbrecher verhaftet. Im Gegenteil: In den Reihen der Polizei in Srebrenica und anderswo sind die Täter von damals als Ordnungshüter geschützt. Und immer wieder droht die Führung, mittels einer Volksabstimmung diesen Landesteil aus Bosnien zu lösen und mit Serbien zu vereinigen. In ihre Heimat zurückkehrende Kroaten oder Bosniaken werden diskriminiert, teilweise bedroht.
Die Verfassung diskriminiert zudem Minderheiten und ist damit mit den europäischen Verfassungen nicht kompatibel. Anhänger des jüdischen Glaubens etwa dürfen nicht in höchste Staatsämter gewählt werden. Nur die Mitglieder der drei "konstitutiven" Nationen der Bosniaken, Kroaten und Serben haben das Recht dazu. Die jüdische Gemeinde hat gegen diese Klassifizierung in Bürger erster und zweiter Klasse bei dem europäischen Gerichtshof in Straßburg Klage eingereicht. Doch das Verfahren wird verschleppt. Alle Forderungen, die Verfassung des Landes zu verändern, wurden bisher von den Regierungen Europas abgelehnt; lediglich in Washington tauchen vonseiten der Demokraten ab und an Forderungen in diesem Sinne auf. Die Versuche des Hohen Repräsentanten in Bosnien vor wenigen Jahren noch, das kriminelle Netzwerk des Radovan Karadzic zu zerschlagen, wurden klammheimlich aufgegeben. Nach wie vor haben manche "Geschäftsleute" unter Karadzic erworbene Monopole inne. Mit dem verdienten Geld lassen sich in einem armen Land Menschen und Macht kaufen, an eine echte Demokratisierung und an Rechtsstaatlichkeit ist nicht zu denken. Kritiker der Korruption wurden ermordet oder unter Druck gesetzt, selbst die weltweit operierende Organisation Tranparency International musste kürzlich angesichts von Drohungen ihre Arbeit in der serbischen Teilrepublik einstellen. Die Teilung Bosnien und Herzegowinas in zwei ethnisch definierte Entitäten ist also nicht nur ein gravierender politischer Fehler, sie bedeutet auch in Zukunft ein Unsicherheitsfaktor für die gesamte Region.
Karadzic und Mladic vor Gericht zu stellen bedeutet daher mehr als nur die Aburteilung von Kriegsverbrechern. Der Vorgang könnte und sollte endlich dazu führen, das dahinter stehende Denken grundsätzlich als antieuropäisch und antidemokratisch offenzulegen und abzulehnen. Die Verfassung des Staates Bosnien und Herzegowina muss an die demokratischen Verfassungen in Europa angeglichen werden. Erst dann hat Radovan Karadzic auch politisch verloren.
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