Debatte Junge WählerInnen: Ich suchte Politik und fand sie nicht
Unsere Autorin hat sich auf ihre erste Wahl gefreut, zwischendurch aber fast aufgegeben. Denn es geht um mehr als ein Häkchen auf der To-Do-Liste.
I n einigen Momenten fühlt sich die bevorstehende Wahl wie eine lästige Angelegenheit an. Etwas, das man eben einfach erledigen muss. Vergleichbar mit der Zimmerpflanze, die ich nach dem Urlaub nicht nur ausgetrocknet, sondern auch von Läusen befallen aufgefunden habe. „Ach nee. Jetzt muss ich mich da auch noch drum kümmern“, „Jetzt muss ich mir auch noch überlegen, wen ich wähle“.
Vor einigen Monaten war ich hinsichtlich der Bundestagswahl richtig euphorisch. Ich las zahlreiche Artikel und die Wahlprogramme, suchte mir TV-Debatten raus. Ich war bereit, diesen Wahlkampf regelrecht in mich aufzusaugen, um schließlich die Partei zu finden, für deren Politik ich die Hand ins Feuer legen würde.
Und zwar nicht, weil ich den Kandidaten so sympathisch, attraktiv oder einfach vertrauensvoll finde. Sondern weil ich überzeugende Argumente dafür kenne, dass diese Politik das erreichen kann, was ich mir für diese Gesellschaft wünsche.
Ich trat also meine kleine politische Reise an, suchte nach Diskurs, nach Argumenten und Gegenargumenten. Und wurde enttäuscht – denn ich stieß nur auf starre Fronten und Schuldzuweisungen.
Abfällige, sarkastische Kommentare
Zunächst versuchte ich es mit den TV-Debatten. Das Thema Mietpreise interessiert mich; für mein WG-Zimmer in Münster zahle ich schließlich weitaus mehr als meine früheren Schulkameraden, die in unbeliebtere Städte gezogen sind. Leider fand ich im Verlauf der Talk-Show ungefähr gar nichts über die Faktoren heraus, die die Mietpreise steuern, noch darüber, wieso die Maßnahmen, die von den Parteien vorgeschlagen werden, so effektiv und sinnvoll sein sollen.
Natürlich habe ich trotzdem etwas mitgenommen: Nach nur zehn Minuten wusste ich ganz genau, welcher der Gesprächsteilnehmer mit wem nicht so gut konnte. Denn abfällige, sarkastische Kommentare und Sätze wie „Sie sind ja eh die Verschwörungstheoretikerin Deutschlands!“ (Olaf Scholz zu Sahra Wagenknecht) dominierten die „Debatte“.
Thesen wurden in den Raum geworfen, es folgten darauf keine plausiblen Begründungen – und ich fragte mich, ob sich einer von den Politikern dort im kleinen Fernsehbildschirm überhaupt mit dem Thema Mietpreise auseinandergesetzt hatte. Wie kann man so lange eine Diskussion führen, ohne ein gutes Argument in den Raum zu werfen? Wie kann man so lange über ein Thema diskutieren, ohne über das Thema zu diskutieren?
Das dämpfte meine Euphorie, aber ich wollte nicht aufgeben. Am nächsten Tag informierte ich mich online darüber, wie Mietpreise überhaupt funktionieren. Ich erkannte, dass das Ganze eine ziemlich komplizierte Angelegenheit ist; eine gute Politik wahrscheinlich mehrmals um die Ecke denken muss, um einen Ansatz zu entwickeln, der Mietpreise erfolgreich und nachhaltig senken kann.
Ping-Pong-Spiel
Mit dem neu erlangten Wissen aus meiner Recherche ließen sich die Forderungen der Parteien erst beurteilen. Wie könnte jemand ohne dieses Wissen entscheiden, welche Politik in Sachen Mietpreise überhaupt sinnvoll ist? Schließlich klingen die Forderungen der Parteien alle „irgendwie logisch“. Zumindest solange man selber nicht wirklich etwas darüber weiß und niemand Gegenargumente liefert.
Wie soll man also entscheiden, wo man das Kreuzchen setzt, wenn man nur ein Ping-Pong-Spiel an Vorwürfen verfolgt und Parteiprogramme liest, die alle auf den ersten Blick Sinn machen?
Ich vermute, dass dann das Bauchgefühl die Entscheidung trifft. Man wägt keine rationalen Vor- und Nachteile ab (kann man ja auch schlecht ohne entsprechendes Wissen). Man lässt die affektiven und emotionalen Einstellungen ans Steuer.
Diese stützen sich zu einem Großteil darauf, welche Partei die schönsten Wahlplakate hat, was die Eltern früher am Küchentisch rausgehauen haben oder welches Stereotyp einem am besten gefällt: Möchte ich zu den Öko-Grünen? Zu den Karriere-FDPlern? Oder doch lieber zu den linken Rebellen, den Robin Hoods unserer Zeit?
Besessen von der Suche nach der Debatte
Als nächstes versuchte ich es bei meinen Kommilitonen. Neben dem Café klebte ein Wahlplakat von den Grünen, also fragte ich meine Begleitung, wie sie die Grünen fände. Sie verdrehte nur angewidert die Augen. Ich lachte, stellte laut fest, dass sie die Grünen wohl nicht möge, und fragte warum denn genau. Sie hob nur die Augenbrauen. Fragte mich, ob ich die Grünen mögen würde.
„Schlecht finde ich deren Ideen nicht“, antwortete ich. Hoffte, dass jetzt endlich ein Gespräch entstehen könnte. Aber vergeblich. Die Antwort, die ich bekam, raubte mir die letzte Hoffnung an den Diskurs, den ich gerade so brauchte: „Dann sollten wir beide uns lieber nicht über Politik unterhalten.“
Gerade finde ich Politik furchtbar. Absolut unerträglich. Aber ich bin immer noch besessen. Besessen von der Suche nach dem, was Politik ausmachen sollte: Eine qualitativ hochwertige Debatte, die Themen in den Mittelpunkt stellt. In der Realität geht es oft nicht um Themen, es geht um Gesichter, Politiker, Images.
Dabei wird vergessen, dass man eine komplexe Welt nicht mit einer Handvoll Parteien erklären kann. Politische Orientierung sollte ein dynamischer, vielleicht lebenslänglicher Prozess sein, der sich Ideen aus verschiedenen Quellen holt und sich keiner einzigen Partei zuordnen muss.
Eine Wahlentscheidung ist mehr als ein Kreuz, mehr als ein abgehakter Punkt auf der To-Do-Liste. Sie geht darüber hinaus, wen man wählt. Politik fängt mit Wissen an und mit Mut. Denn auf jede schlaue Idee wird ein Gegeneinwand folgen.
studiert Psychologie in Münster.
Das kann unglaublich anstrengend sein. Doch einfach in Schubladen zu denken, die Wahlentscheidung der Eltern zu übernehmen und bestimmte Ideen von vornherein abzulehnen, ist keine Alternative, denn sie lässt objektiven und reflektierten Umgang mit politischen Belangen gar nicht zu.
Mein Kreuz werde ich schon setzen. Ich werde abwägen und eine Entscheidung treffen. Doch die fünf Minuten im Wahllokal sind nur die Spitze des Eisbergs. Der große Rest sollte auch berücksichtigt werden: Dazu braucht es transparente Informationen, einen sorgfältigen Diskurs und den Konsens, dass es in der Politik ideal – sogar notwendig – ist, nicht immer einer Meinung zu sein.
Es braucht den Mut jedes Einzelnen: Wir sollten uns trauen, zuzuhören und die Einwände anderer zu begrüßen. Auch wenn diese hin und wieder das eigene Weltbild durchschütteln.
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