piwik no script img

Debatte JugendkriminalitätKampf der Bilder

Kommentar von Roland Schaeffer

Der Staat muss sich Roland Kochs Scharfmacherei verweigern. Denn der internationale Vergleich zeigt: Gerade das "weiche" deutsche Jugendstrafrecht verhindert die Gewalt.

I n der Diskussion über Jugendgewalt treffen zwei Prinzipien aufeinander. Einfach formuliert lautet die Alternative: Jugendgewalt bekämpfen? Oder sie politisch nutzen? Nur schließt das eine das andere aus. Die Debatte der letzten Wochen war deshalb ein "asymmetrischer Konflikt" mit unberechenbarem Ausgang.

Was die sachliche Seite angeht, ist die Situation denkbar klar. Der Blick in andere Weltgegenden zeigt, dass auch die härtesten Strafen (wie die Todesstrafe) und die radikalsten Erziehungsmaßnahmen die Sicherheit der Bevölkerung nicht erhöhen. Im Gegenteil: Das Risiko, durch ein Gewaltverbrechen zu Tode zu kommen, ist in den USA um ein Zehnfaches höher. Auf der Suche nach Auswegen aus der Gewaltspirale schauen Politiker dort gerne nach Europa. Denn im internationalen Vergleich trägt gerade das angeblich so "weiche" deutsche Jugendstrafrecht besonders effektiv zur Verhinderung von Gewalt bei.

Trotzdem gilt die Mobilisierung von Ängsten oder Gewaltfantasien zum Zweck der Formierung von Mehrheiten auch bei uns manchen als "normales" Geschäft. Wie das geht, hat global zuletzt die Regierung Bush vorgeführt, als sie mit dem Irakkrieg zwar nicht über al-Qaida, dafür aber zumindest zeitweise über die eigene Opposition triumphierte. Wie mediale Feindbilder verfertigt werden, ist seitdem Thema zahlloser Untersuchungen geworden.

Ausgangspunkt der Kampagne von Koch waren Bilder aus der Münchner U-Bahn, die die Gewalterfahrung transformierten. Für den Zuschauer zeigen sie nicht eines der vielen Verbrechen, die täglich passieren. Vielmehr geht es, wie in einem Spielfilm, um das kollektive Erleben des unerträglichen Einzelfalls. Angesichts der gezeigten Sequenz kann es nur um das Opfer gehen, diesen einzelnen Menschen, der da gekrümmt auf dem Boden liegt und zusammengetreten wird. Mit ihm fühlen wir, seine Angst spüren wir. Das Wissen, in einer der sichersten Gesellschaften der Welt zu leben, verschwindet. Jeder Hinweis auf einen "Kontext", in dem Tat und Täter stehen, klingt nach Rechtfertigung, Abwieglung, einem Mangel an Mitgefühl mit dem Opfer oder verdeckter Sympathie mit dem Täter. Wir hoffen, dass schnell jemand kommt und hilft - ihm, der da liegt, und uns, die wir zusehen müssen. Jemand, der stark genug ist, den Kampf mit den Gewalttätern aufzunehmen.

"Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft", sagt die Weisheit des chinesischen Feldherrn. Er begibt sich gar nicht erst dorthin, wo auch im Falle des Sieges die Toten und Verletzten gezählt werden müssen. Aus genau diesem Grund ist der Rechtsstaat der erfolgreichste Garant für die Sicherheit seiner Bürger. Er verweigert sich den Bildern und Symbolen, die ihm die Gewalttäter aufzwingen wollen - all jene, die auf der Straße als harte Männer oder Sauberkeitsbeauftragte gegen "Penner", "Ausländer" und gelegentlich auch gegen "Deutsche" antreten. Solche Rollenangebote beantwortet er mit entschiedener bürokratischer Gleichgültigkeit. "Kampf" ist für ihn eine "Straftat". Wer schlägt, wird nicht zurückgeschlagen: die Anerkennung des Schlägers als Kontrahenten wird verweigert. Stattdessen bekommt er einen Brief, eine Vorladung, wird eingesperrt, zum Täter-Opfer-Ausgleich angehalten, von Sozialarbeitern "angelabert", in betreuten Wohnprojekten untergebracht, muss im Zweifelsfall im Altenheim die Küche putzen. Nicht Schimansky tritt auf der Gegenseite an, sondern Frau Meier von der Sozialbehörde fragt bei der Mama nach. Betreuung statt Kampf - genau darin besteht das Wesen rechtsstaatlicher Effizienz. Wie viel ehrenvoller wäre doch ein "Warnschussarrest", die "Anwendung des Erwachsenenstrafrechtes" oder ein strenges "Erziehungscamp"?

Es ist also nicht "Blindheit", sondern die mühsame Erfahrung mit den Paradoxien des gesellschaftlichen Lebens, wenn sich praktisch alle Fachleute der Scharfmacherei verweigern. Wohl wahr: So langweilig, empirisch und ergebnisorientiert treten Sozialarbeiter, Polizisten und Jugendrichter in einer Demokratie auf. Sie arbeiten daran, Gewalt weiter zu vermindern, und fragen nach Ursachen: den Schlägen in der Familie. Oder dem Schulsystem, das denen unten keine Chance gibt.

Es geht um diese Asymmetrie, wenn eine Allianz aus Krawallpolitik, Krawallpresse und Krawalljugend der sogenannten Kuschelpädagogik unterstellt, die "Härte" jener "Wirklichkeit" nicht sehen zu wollen, die die Autoren von Bild und FAZ in ihren Eigentumswohnungen so glasklar vor Augen haben. Dabei ist die Zahl der Wohnungseinbrüche in Frankfurt vor allem durch die Anerkennung der Drogensucht als Krankheit und ihre Therapie mittels Ersatzdrogen dramatisch zurückgegangen. Sehr schön - aber wo bleiben die Bilder? Es gibt sie nicht. Denn dieser Teil der Wirklichkeit verweigert sich der gängigen Visualisierung.

In der Bilderwelt der Kochs, Schirrmachers und Diekmanns dagegen ist Gesellschaft ein Kampf zwischen Männern, die als "Gute" und "Böse" gegeneinander antreten. Während der effiziente Rechtsstaat zwingend alle Straftäter gleichbehandeln muss, betätigen sie sich als "Tabubrecher" und erklären Gewalt aus ethnischen Unterschieden. Dabei trägt die Umdefinition von Straftaten zum Konflikt zwischen "Ausländern" und "Deutschen" selbst zu jener Aufspaltung bei, die sie angeblich beschreibt. Politiker, Krawallmedien und Schlägerbanden sind bei diesem ethnischen Mummenschanz Komplizen: Es geht gegen "die Deutschen" oder "die Ausländer". "Wir selbst" müssen brutalstmöglich vorgehen, damit "die anderen" ordentlich Angst bekommen. Wie aus solchen ideologischen Transformationen Katastrophen entstehen, konnte man zuletzt in schwachen Staaten wie Ruanda oder Exjugoslawien sehen. Davon sind wir zum Glück weit entfernt. Aber auch bei uns zeigen die No-go-Areas für Ausländer, mit welchem Arsenal da experimentiert wird. Man darf Roland Koch zutrauen, dass er das weiß - und es in Kauf nimmt.

Momentan scheint es, als habe er sich verrechnet. Die Lähmung des politischen Gegners durch einen asymmetrischen Konflikt ist keine Erfolgsgarantie mehr. Wer den "Migrationshintergrund", also die Herkunft der Eltern und Großeltern, zum Sicherheitsrisiko erklärt und in die Polizeistatistik aufnehmen möchte, muss nämlich nicht nur damit zurechtkommen, dass die eingeborene "Mehrheitsbevölkerung" in einer Stadt wie Frankfurt längst die Minderheit ist. Wenn es plötzlich nicht mehr ausreicht, "deutsch" zu sein, muss er ein anderes Wort finden.

Bei Harry Potter werden jene, die aus "reinen" Zaubererfamilien stammen, "Reinblüter" genannt. Sofern sie daraus das Recht zur Diskriminierung anderer ableiten, heißen sie "Todesser" - unangenehme Figuren, die Harry nach dem Leben trachten. Vielleicht hätte der Wahlkämpfer Koch wenigstens diesen Kinderbuchklassiker zur Kenntnis nehmen sollen. Möglicherweise hat er demnächst ja viel Zeit dazu. Wir empfehlen alle sieben Bände.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • K
    katsu

    Verehrter Herr Schilz, beweisen Sie bitte Ihre Behauptung über die Wirksamkeit der Singapur'schen Justiz mit einer fundierten empirischen Studie - im Idealfall eine Vergleichsstudie, die Effektivität und Effizienz der dortigen Strafjustiz den Ergebnissen deutscher Strafjustiz gegenüber stellt, betrachtet über einen langfristigen Zeitraum. Beweise klingen überzeugender als Meinungen. Zudem bin ich nicht der Ansicht, dass Prügelstrafen und staatliche Exekutionen -wie in Singapur üblich- einer zivilisierten Kultur angemessene Methoden zur Rechtsdurchsetzung.

  • J
    JOE

    Ein wahrhaft angemessener Beitrag zum Thema, beim Deutschaufsatz erhielte der Autor eine Note sehr gut, weil er mit Vernunftsgründen argumentiert und nicht irrationale Hassgefühle auf das Fremde schürt, wie das offensichtlich die Diekmanns, Schirrmachers u.a. Koch- und NPD-Sympathisanten tun und damit die Bedürfnisse einer sado-masochistischen Mehrheitsbevölkerung zu befriedigen trachten.

  • RS
    Roland Schilz

    Beim Blick in andere "Weltgegenden", der angeblich lehrt, dass harte Strafen gegen Kriminalitaet nichts nuetzen, hat der gute Herr Schaeffer eine Gegend wohlweislich unerwaehnt gelassen.

     

    Es handelt sich um eine Stadt namens Singapur, wo ich immer mal wieder das Glueck habe, mich waehrend eines Aufenthaltes dortselbst persoenlich ueberzeugen zu duerfen, welch wohltuende Wirkung eine Strafjustiz ohne Samthandschuhe hat.

     

    Albernheiten, wie z.B. ob der Taeter womoeglich als Kind nicht genug getaetschelt wurde spielen hier vor Gericht nicht die geringste Rolle, hier wird eisenhart durchgegriffen. Zusammenschlagen von Menschen wegen nichts und wieder nichts sowie Messerattacken in U-Bahnen etc. sind hier absolut undenkbar. Schon das Dabeihaben eines Springmessers wird hier mit langjaehrigen Haftstrafen geahndet und wer damit zusticht, riskiert den Galgen.

     

    Ergebnis: eine Kriminalitaetsquote, von der deutsche Politiker nicht mal traeumen koennen.