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Debatte Jahrestag 20. Juli 1944Wir sind so toll!

Kommentar von Peter O. Chotjewitz

Die Eliten sind in der (Finanz-)Krise. Da kommt der 65. Jahrestag des Anti-Hitler-Putschs vom 20. Juli 1944 gerade recht - so stümperhaft und reaktionär er auch war.

I ch weiß nicht, warum mir bei dem Wort "Elite" immer das Anagramm "eitel" einfällt. Dabei habe ich nichts gegen Eitelkeit, schon gar nicht gegen männliche, die sich in maßgeschneiderter Kleidung und mit guten Manieren präsentiert wie etwa Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein, als er Mitte vergangener Woche die erfolgreiche Wiedergeburt des Derivate-Zockens verkündete.

Das Grimmsche Wörterbuch online kennt keine Elite. Es kennt Elger und Elk. Dazwischen ist Ruh. Wikipedia soziologisch kennt so viele, dass jeder, der eine Spitzenposition (inne)hat, eine Elite ist: Jupp Reemtsma, Boris Becker, Günter Grass, Dieter Bohlen, Jesus Christus, der Prophet Ali und natürlich auch Ali Baba und die dicke Domina im Quartier der Freuden.

Kann man der Wissenschaft vertrauen? Lieber nie. Ralf Dahrendorf kannte eine Million, hauptsächlich FDP-Wähler. Ein Institut in Potsdam kam kürzlich auf viertausend. Ich fürchte, da waren einige zehntausend Eliten beleidigt.

PETER O. CHOTJEWITZ

Peter O. Chotjewitz ist Schriftsteller und lebt in Stuttgart und Rom. Zuletzt erschienen der Roman "Mein Freund Klaus" und Band II des vierbändigen Alterswerkes "Fast letzte Erzählungen" im Verbrecher Verlag. Am 10. Juni feierte Chotjewitz seinen 75. Geburtstag.

Man sollte das Wort meiden, weil die Fotos so peinlich sind. Nicht nur Kaiser Wilhelm beim Sackhüpfen, Friedrich Ebert in der Badehose und Claudia Roth in einer Art Kleid auf dem Bayreuther Festspielhügel. Das Fotoalbum der Eliten ist eine Skandalchronik der Versager. Auf einem Foto zum Tag der sudetendeutschen Landsmannschaft sah man kürzlich die Erzeliten Chamberlain, Daladier, Mussolini und Hitler. Wie sie dastehen, wie sie glotzen, jeder eine Inkarnation des Bibelworts "Denn sie wissen nicht, was sie tun". Typisch Elite.

Mein dtv-Lexikon weiß wenigstens, woher das Unwort stammt. Es taucht ganz gegen seine lateinische Etymologie auf, als das erstarkte Besitzbürgertum beginnt, mit Hohlformen wie "Genie", "Größe" und "Führer" um sich zu werfen. Es erschafft sich mittels Plattitüden eine Ahnengalerie: Luther und Jungsiegfried, Bach und der Kartätschenprinz.

Beim Abendspaziergang an meinem Zweitwohnsitz wandle ich auf dem römischen Gianicolo durch eine Allee voller Büsten - einst die Crème brûllée der kurzlebigen Römischen Republik von 1849, des Widerstands gegen das Papsttum, des bewaffneten Kampfes gegen das Gewaltmonopol der Fürstenhäuser. Längst missbraucht von akuten Eliten - und zum Glück keine Elite in Sicht, die gegen diese den Aufstand wagen würde.

Heute hat praktisch jede Branche ihre Elite, und wer was werden will, hält sich selbst für eine: Machtelite, Leistungselite, Bildungselite.

Da ist das Geschwätz nicht weit zu einer Elite, die seit meiner Schulzeit einmal im Jahr aus der Versenkung geholt wird, um der militärischen und politischen Elite von heute Gelegenheit zu geben, sich als solche zu präsentieren und zu zeigen, wes Geistes Kind sie ist. Ich meine den 20. Juli 1944, der hoffentlich auch heuer wieder mit den seit Langem eingeübten Verblödungsritualen gefeiert wird, also Regierungschefin und Bundeskriegsminister, Musikcorps, schwarze Witwen und präsidiales Gesülze.

Nur einer, Helmut Kohl nämlich, wagte mal ganz am Rande zu behaupten, er wisse nicht genau, wie er selbst sich 1933 bis 1945 verhalten hätte. Er war ja auch von Haus aus Historiker und gab sich gern volksnah. Alle anderen Eliten scheinen noch heute zu wissen, dass sie persönlich und unter Einsatz ihres Lebens den Massenmördern der Elitenazis das Küchenmesser an den Hals gesetzt hätten.

Es ist nämlich so: Hätte es in Deutschland nach 1945 eine Linke gegeben, die den Namen verdient, sie hätte peinliche Selbstinszenierungen wie die jährlichen Feiern zum 20. Juli verhindert. Der Widerstand der gegen Hitler gerichteten Eliten des 20. Juli geht 2009 nur scheinbar in Rente.Er war stets ein palliatives Ereignis.

Es ist über den Flop des antifaschistischen Faschismus der Offiziere, Gutsbesitzer und Reaktionäre, die sich 1944 noch einmal gegen ihren sozialen Exitus aufzubäumen versuchten, so ziemlich alles gesagt und geschrieben, was ein junger Mensch wissen sollte, um nicht drauf reinzufallen, wenn ihre Lehrer und Guido Knopp im ZDF sie unter das Klischee "Elite" subsumieren.

Wenn Tom Cruise ein Verdienst hat, dann das, dass er zeigen durfte, wie stümperhaft und unentschlossen dieser Widerstand der Eliten des Widerstands gegen die Eliten der Naziverbrecher war. Warum dieser sogenannte Aufstand des Gewissens misslingen musste, verschweigt der Film. Seine Macher können es nicht wissen, da sie selbst Elite sind. Der Kollege Enzensberger hat in seiner sauber recherchierten Reportage "Hammerstein oder der Eigensinn" dafür einiges Material geliefert, das in den Satz münden könnte: Eine Elite kratzt der anderen kein Auge aus.

Ich meine damit nicht Enzensbergers Verlautbarungen, in denen er seinen General von Hammerstein zum Widerständler erklärt hat. Die meisten Leute kennen nur diese Geschichtsklitterung. Ich meine Enzensbergers Recherche, die klipp und klar zeigt, warum der oberste deutsche Heerführer bis zu seinem Tod keinen Plan und keine Maßnahme unterstützte, die zum Sturz der Nazi-Eliten geführt hätte.

Von Hammerstein hasste Hitler, er hatte die Möglichkeit, die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler zu verhindern. Er hatte die Möglichkeit, ihn zu stürzen. Er hätte ihn nach der Nudelsuppe erschießen und ein Militärregime zur Rettung der Republik installieren können.

Hitler traf sich mit der Reichswehrführung in Hammersteins Privatwohnung, lange bevor er dessen Offizierscorpsbruder, den General und ehemaligen Reichskanzler Kurt von Schleicher, umbringen ließ, um der Generalität zu zeigen, was eine Harke ist.

Hitler erzählte der versammelten Generalität, und dies gleich nach seiner Ernennung, dass er gegen die Sowjetunion und notfalls auch gegen die Westmächte Krieg führen werde. Die Offiziere wussten, dass so ein Krieg nicht zu gewinnen war, aber sie knirschten nur mit den Zähnen. Sie zeigten Hitler ihre Verachtung. Aber sie ließen die Colts im Halfter stecken.

So eilten die Eliten von einer Katastrophe zur nächsten - und das tun sie heute noch.

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11 Kommentare

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  • J
    JenAer

    1. Das Militärregime von dem sie glauben es sei die Rettung gewesen, hätte unweigerlich zum Bürgerkrieg geführt. Kurt von Schleicher hat Franz von Papen gestürtz, um eine Regierung zu verhindern, die nur mit dem Bajonett im Amt bleibt, da die Reichswehr für diese Diktatur zu Schwach war. Die größte Angst der Demokraten war ja eine solche Diktatur der ,,Reaktion". Hitler in eine Regierung zu bekommen war die einzige möglichkeit einen Bürgerkrieg zu verhindern.

    Die SPD hätte im Falle der Diktatur der Militärs eien Generalstreik organisiert, denn sie Fürchteten ja nicht Hitlers Herrschaft, die sie im Rahmen einer Demokratie für Legitim hielten, sondern Hugenberg und Papen.

     

    2. In der Unterredung mit den Generälen die sie ansprechen wird ausdrücklich nicht von der Sowjetunion sondern vom Osten gesprochen. Dies war auf Polen gerichtet, dass Präventivkriegspläne hatte und somit eine reale Gefahr war. Hitler hätte sich gehütet, von einem Angriff auf die Sowjetunion zu sprechen, denn die Generäle befürworteten eine militärische Zusammenarbeit mit dieser.

  • A
    Amos

    Solange Hitler siegte, war "die Elite" auf seiner Seite. Als das vorbei war und der Untergang bevorstand, bekam sie Elite erst Gewissensbisse.

    "Was wird danach aus uns-, wenn wir nicht vorher

    abspringen". Seltsam, dass die sogenannten Widerstandskämpfer erst aufwachten, als alles am Boden lag. Angst hatte man also nur, als man angst

    haben musste, weil man dabei war und es sich lohnte,

    die Regeln zu befolgen. Die eigentlichen Widerstandskämpfer waren die, die vor dem Untergang etwas bewirken wollten-, wie Eisner und

    Tresckow. Stauffenberg & Co wurden später vermarktet, weil sie zum Establishment gehörten

    "und besser auf Wahlplakate gepasst hätten".

  • E
    Elfriede

    @ Thilo: viele Widerständler sind tief in Nationalsozialistische Verbrechen verstrickt (Angriffskrieg, Massenmord, Ausplünderung usw).

     

    Man kann sie schon ehren für ihre Tat des 20. Juli. Der Wahrheit wegen muß aber auch ihr Hintergrund Erwähnung finden. Bei den staatstragenden Feierlichkeiten und in den Schulbücher ist davon leider nicht die Rede. Da sind es nur 'Helden'.

     

    Die Vergangenheit von manchem, der geehrt wird, wurde nach 1945 massiv 'geschönt'.

     

    Der Widerstand aus der Arbeiterbewegung, von Kommunisten, Anarchisten, SPDlern usw, wird sowieso in der Regel verschwiegen.

  • T
    Thilo

    Ich verstehe die hier geaeusserten extrem ablehnenden Haltungen nicht. Diese Maenner moegen vielleicht nicht gerade liberal-pazifistische Ansichten gehabt haben, sehr wohl aber haben sie - wenn es auch lange gedauert haben mag - die Verbrechen der Nazis erkannt und daraus gehandelt.

    Ob wegen oder trotz ihrer Herkunft und Ansichten, ist das wirklich wichtig?

    Warum soll dies nun kleingeredet werden? Ich habe auch Respekt vor einem KPD-Mitglied, dass Widerstand geleistet hat, auch wenn dort sicher auch bedenkliche Ansichten vorhanden waren (oder hat jemand Illusionen ueber die Ziele der Kommunisten damals?). Bin gespannt, wann ich einen Enthuellungsartikel ueber die reaktionaeren Ansichten der Weissen Rose lesen darf. Nach heutigen Massstaeben duerfte das nicht schwerfallen.

    Offenbar ist Zivilcourage nur dann erwuenscht, wenn zuvor die ideologische Einstellung geprueft wurde.

    Ich finde diese Selbstgerechtigkeit und Verbohrtheit echt traurig.

  • R
    Raschkralle

    Bei mörderischen AntisemitInnen wie den Militaristen vom 20. Juli ist mir lieber die handeln nicht. Was wäre denn ein Nationalszialismus ohne Hitler gewesen? Weiter mit der Shoah, nur ohne Zweifrontenkrieg?

    Solche Gestalten mögen Vorbilder für die offizielle BRD sein, aber Linksliberale oder Linke sollten eigentlich in der Lage sein, erstmal zu analysieren, wofür sich jemand einsetzt, bevor man ihn/sie verehrt. Es gibt nun wirklich genug konsequente, auch militante Nazigegner. Den 20. Juli lasse ich rechts liegen und gedenke lieber der Widerstandsgruppe Baum oder der Bästlein-Jacob-Gruppe, deren persönlich beeindruckendes Mitglied Katharina Jacob als KPD-Mitglied in der BRD vom Staat sehr lange nicht geehrt wurde.

    ¡Shalom Libertad!

  • JO
    Jürgen Orlok

    Erst einmal ein Danke an den Autor !!

    Seit meiner Schulzeit sehr ähnlich gesehen, aber bin kein Schreiberling und kann solche Themen auch schlecht verkaufen - nochmals Danke.

    @Tilo Zitat:

    " haben immerhin ihr Leben geopfert, statt sich in soziologischen Reflexionen ueber ihren Stand zu ergehen." Der gewöhnliche deutsche Soldat hat wohl auch sein Leben geopfert, auch nicht sehr reflekiert, u.a. auch für solche, die es sich später anders überlegten !!!

    @ Ende Thilo

    Auch wenn ich vielleicht in der falschen Ecke gesehen werde .... der Kriegsverlauf könnte doch auch eine Folge der dieser stümperhaften und feigen deutschen MilitärElite sein ....

    Interessanterweise wird ein " palästinensischer Selbstmordattentäter ", der erheblich tapferer ist als das damalige deutsche Offizierschor , als Feigling dargestellt --- verkehrte Welt !!!!

    Aber die Umdeutung fundamentaler Begriffe war schon immer eine Herzensangelegenheit der herrschenden Eliten .....

  • T
    Thilo

    Diese "Offiziere, Gutsbesitzer und Reaktionäre" haben immerhin ihr Leben geopfert, statt sich in soziologischen Reflexionen ueber ihren Stand zu ergehen.

    Wer aus der Distanz von 70 Jahren solche Artikel verfasst, der findet wenn's drauf ankommt sicher auch einen intellektuell verbraemten Grund, nicht zu handeln.

  • V
    vic

    "So eilten die Eliten von einer Katastrophe zur nächsten - und das tun sie heute noch."

     

    Und viele tun nicht einmal mehr das.

    Andere wieder benutzen ihre Zähne ohnehin nur zum Fressen.

  • R
    Rienzi

    Damals wie heute profitieren die sogen. "Eliten" vom System. Die "Widerstandskämpfer" gegen das Hitlerregime formierten sich ja erst zum Königsmord, als ihre eigene Kaste und ihre eigenen Pfründe durch die unausweichliche Niederlage in Gefahr gerieten. Heute ist es ähnlich: Einstige glühende Vertreter des Kapitalismuswahnsinns befleissigen sich situationsangepasst im Mahnen und Rezepteverteilen.

  • M
    maximilianJ

    Ein interessanter Kommentar.

    Ich möchte noch anmerken: die Rolle von manchem, der aufgrund seiner Teilnahme am Attentat des 20. Juli 1944 auf Hitler jetzt in der BRD geehrt wird, lässt sich in Hinsicht auf die Jahre der deutschen Besatzung in Russland kritisch reflektieren. An dem Vernichtungswerk und den Massenmorden in Osteuropa waren viele der später sogenannten 'Helden des 20. Juli' bis zum 20. Juli 1944 in ihren jeweiligen Funktionen in Wehrmacht (H. von Tresckow u.a.), Staat (z.B. Peter Yorck Graf von Wartenburg) und SS (z. B. Arthur Nebe) natürlich beteiligt.

     

    In den meisten Fällen war ihr Antrieb zur Tat des 20. Juli nicht Widerstand gegen die verbrecherische Herrschaft Hitlers (die sie ja die ganzen Jahre mit ihrem funktionieren an ihrem jew. Platze stützten), sondern die Angst vor dem Verlust des Krieges. Dies auch unter dem Eindruck, dass sich die Rote Armee nach ihrem Sieg über die dt. Heeresgruppe Mitte im Sommer 1944 unaufhaltsam den deutschen Grenzen näherte.

     

    Viele der späteren Widerständler wollten in einem von ihnen dann konservativ geführten Deutschland mit dem Westen Frieden schließen und gegen 'Osten' den Krieg weiterführen.

     

    Zu all diesem wird in der BRD allerdings keinerlei Diskussion geführt.

    Die politischen u. wirtschaftl. Eliten brauchen Helden, und sie definieren den Begriff 'Massenmörder'. Das Hinterfragen bleibt uns allerdings unbenommen.

     

    "...die Beteiligten werden weiter geehrt werden, einschließlich aller Widerständler aus der Heeresgruppe Mitte. Nur sollte jeder wissen können, wen man ehrt."

    Zitat aus dem Buch: "Vernichtungskrieg"; Autor des entspr. Beitrages: Christian Gerlach.

    Die Namen der oben angeführten Widerständler sind darin angeführt + in ihrer Funktion erläutert.

  • R
    Radar

    ..."Dabei habe ich nichts gegen Eitelkeit, schon gar nicht gegen männliche, die sich in maßgeschneiderter Kleidung und mit guten Manieren präsentiert wie etwa Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein, als er Mitte vergangener Woche die erfolgreiche Wiedergeburt des Derivate-Zockens verkündete."...

     

    Hauptsache der Auftritt stimmt.