Debatte Israels Arbeitspartei: Land ohne Linke

Die Arbeitspartei hat versäumt, der ursprünglichen zionistischen Idee, die jede Landnahme rechtfertigt, etwas entgegenzusetzen. Ihr ideologisches Vakuum ist enorm.

Die israelische Linke ist impotent und ohne eine Ideologie, die einen Weg aus dem Sumpf von Neokolonialismus und Neoliberalismus weisen könnte. Das hat ihr Wahldebakel im Februar genauso deutlich gezeigt wie die historische Niederlage von 1977. Damals kam zum ersten Mal die Rechte an die Macht. Das liegt weder daran, dass die Linke nach vielen Jahren an der Macht einfach ausgelaugt wäre, noch ist es eine Folge einer Evolution der israelischen Gesellschaft. Es geht auf ihre Unfähigkeit zurück, mit dem militärischen Sieg über Ägypten, Syrien und Jordanien vom Juni 1967 oder dem historischen Durchbruch der Oslo-Verträge von 1993 umzugehen. In beiden Fällen hat sie ihre konformistische und konservative Natur gezeigt sowie ihre intellektuellen und moralischen Schwächen.

Von Anfang an war es das Ziel der jüdisch-nationalistischen Bewegung, Palästina für unbegrenzte Einwanderung zu öffnen, es zu kolonisieren und seiner Unabhängigkeit zu berauben. "Das zionistische Projekt ist eines der Eroberung", sagte Berl Katzeson, der Ideologe des Arbeitspartei-Zionismus. "Bitte verstehen Sie, dass es kein Zufall ist, wenn ich es mit militärischen Begriffen beschreibe." Die nationalistische Bewegung rechtfertigte dies, indem sie das historische Recht der Juden beschwor, das Land ihrer Vorfahren zurückzufordern.

Als im Juni 1967 der Krieg ausbrach, war die Linke unschlüssig, wie sie reagieren sollte. Sollte sie Ägyptens Fehlkalkulation ausnutzen und die neu eroberten Gebiete als Verhandlungsmasse für einen Friedensschluss einsetzen? Sollte sie den Sieg als eine logische Folge des Unabhängigkeitskriegs betrachten, eine Chance, um zu vollenden, was 1949 unerledigt blieb? Oder sollte sie die Gelegenheit nutzen, um der arabischen Welt zu erklären, dass der Zionismus seine Ziele mit der Gründung Israels im Jahre 1949 erreicht habe und die Eroberung und Besiedlung von mehr Land nicht länger notwendig sei?

Dazu hätte die Linke von universellen Werten, und nicht nur von der Kultur und der Politik des Nationalismus geleitet sein müssen. Doch von wenigen Ausnahmen abgesehen, war keiner der politischen Anführer der Linken dafür gerüstet.

Die Arbeitspartei hat die alte Doktrin der territorialen Eroberung nicht revidiert, weder, als sie von 1967 bis 1977 an der Macht war noch in den Neunzigerjahren. Sie hat nie darüber debattiert, ob die Zukunft des Landes, statt auf dem historischen Recht der Juden auf das Land Israel, auf den Rechten all seiner Bewohner gründen könnte. Die Debatte konzentrierte sich damals wie auch jetzt darauf, wie sich die palästinensische Schwäche ausbeuten lässt.

Die Doktrin, niemals Land aufzugeben, ohne von einer höheren Macht dazu gezwungen zu werden, gilt heute noch. Tatsächlich begann die Besiedlung besetzen Landes unter den Regierungen der Arbeitspartei von 1967 bis 1977 mit Methoden, die noch heute angewendet werden: Land wird unter jedwedem Vorwand konfisziert, Gesetze werden gebeugt und Ungleichheit zwischen Juden und Arabern ist die Regel. Trotz der Oslo-Verträge besserten sich die Dinge nicht, als die Arbeitspartei von 1992 bis 1996 und 1999 bis 2001 an die Macht zurückkehrte. Sie tat das Äußerste, um die Siedler und die Rechte zu beschwichtigen, die es als Verrat ansahen, das Recht der Palästinenser auf ein Stückchen des Landes westlich des Jordans anzuerkennen. Der einzige Weg, ihre Revolte zu verhindern, schien die Besiedlung zu erleichtern.

Die gegenwärtige US-Regierung ist weniger tolerant gegenüber Israels Siedlungspolitik, aber Verteidigungsminister Ehud Barak und seine Kollegen haben immer noch kein Argument gegen die Siedler. Sie können nur auf internationalen oder amerikanischen Druck verweisen.

Das ideologische Vakuum der Arbeitspartei prägt auch ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik. Sie war nie eine sozialistische Partei wie ihre europäischen Schwesterparteien. Ihre Anführer neigen zum Neoliberalismus, weil sie glauben, der freie Markt garantiere die individuelle Freiheit und dass das Kapital von den Zwängen des Staats befreit werden müsse. Nicht jeder in der Arbeitspartei akzeptiert diese Theorie, aber die meisten billigen ihre Umsetzung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, zählen sie soziale Gerechtigkeit nicht zu den fundamentalen Bestandteilen der Freiheit. Der Vorrang nationaler Werte ist in die politische Kultur Israels eingeschrieben und die Linke hat davon profitiert: Drei Generationen lang wurde Israelis gelehrt, dass nationale und kulturelle Identität wichtiger ist als das materielle Wohlergehen. Dies war die Norm, die von den Eroberern des Landes Israels festgeschrieben wurde. Unabhängig von ihrem sozialen Status und ihrem Glauben verfolgten sie gemeinsam das Ziel, einen jüdischen Nationalstaat zu schaffen.

Die Arbeitspartei hat sich als unfähig erwiesen, eine Kritik der globalen Marktwirtschaft zu formulieren. Ihre alten und demoralisierten Anhänger wählen sie weiterhin, jedoch mehr aus Gewohnheit denn aus Überzeugung. Dennoch lässt die Unterstützung nach: Im Februar erhielten sie nur 10 Prozent der Stimmen, das macht 13 Sitze in der Knesset. Die Jungen haben die Partei verlassen und es gibt wenig Aktivisten an den Universitäten. Palästinensische, chinesische und thailändische Arbeiter haben längst die Israelis ersetzt, die Mitglied des Gewerkschaftsverbands Histadrut waren.

Es gibt ein paar positive Aspekte an der Niederlage der Arbeitspartei 2009. So ist die Niederlage von Barak - einem Soldaten, der durch einen "Sieg" in Gaza, für den sich viele Israelis schämen, reich wurde - ein Zeichen für die Reife der Wählerschaft. Ebenso wie der Erfolg von Kadima, einer politischen Gruppierung, die von einer Frau, Tzipi Livni, angeführt wird.

Bleibt ein gravierendes Problem: der Mangel an visionärer Führerschaft. Das Fehlen von Ideen und Staatsmännern auf der Linken lässt keine glanzvolle Zukunft erwarten. Dieses Problem teilt Israel mit der gesamten europäischen Linken, aber in seinem Fall ist es noch dringlicher.

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