Debatte Islamzentrum am Ground Zero: Ground Zero für die Freiheit
Der heftige Streit um das islamische Kulturzentrum zeigt, dass die Meinungs- und Religionsfreiheit in den USA derzeit gefährdet sind .
A uf Ground Zero wird es keine Moschee geben, ebenso wenig wie in der Park Avenue Nummer 51. "Cordoba House" wird ein 100 Millionen Dollar teures, 13-stöckiges Kulturzentrum sein, mit Schwimmbad, Sportstudio, Veranstaltungsraum und Gebetszimmer. Keine radikalen Geistlichen werden hinter finsterer Fassade Selbstmordattentäter rekrutieren; die Park51 soll ein Aushängeschild des moderaten Islam werden, eine islamische Sehenswürdigkeit für den pluralistischen Westen - exakt das Ding also, von dem weise Köpfe in den Staaten wie in Europa wissen, dass es muslimische Migranten integrieren und so möglicherweise davon abhalten wird, zu Fundamentalisten oder gar Terroristen zu konvertieren. "Es ist blamabel, dass wir darüber überhaupt reden müssen", sagt New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg. Er unterstützt das Projekt seit Jahren.
Was heißt hier "Entweihung"?
Aber, offensichtlich, müssen wir darüber reden. Denn dieselben rechten Hardliner, die von der Verfassung sprechen als hätte Sarah Palin sie persönlich getwittert, haben anscheinend den Ersten Verfassungszusatz, der dieMeinungs- und Religionsfreiheit für alle Amerikaner garantiert, überlesen.
ist regelmäßige Kolumnistin für das Magazin "The Nation", wo auch dieser Text unlängst erschien. 2009 publizierte sie ihren jüngsten Gedichtband: "The Mind-Body-Problem".
"Amerika erlebt eine islamistische kulturpolitische Offensive, die unsere Zivilisation zu unterlaufen und zerstören beabsichtigt", behauptet der Republikaner Newt Gingrich. Die USA dürften nicht zulassen, so der der ausgewiesene Obama-Gegner, dass Muslime eine "Moschee" auf dem Gelände von "Ground Zero" errichten. Immerhin verbiete auch Saudi Arabien den Bau von Kirchen und Synagogen. Es ist rührend zu sehen, wie jemand, der nicht müde wird vor einem Einzug der Scharia in unsere Gerichte zu warnen, sich nun darum bemüht, saudiarabische Standards in Sachen religiöser Toleranz einzuhalten. Aber auch Rudy Giuliani ist der Ansicht: "Es ist eine Entweihung". "Niemand", so der frühere Bürgermeister von New York weiter, "würde so etwas bei Pearl Habor erlauben. Lasst uns Respekt zeigen für diejenigen, die hier starben und dafür, warum sie hier starben. Wir dürfen dies nicht zu einer Angelegenheit von politisch-korrekter Theorie machen." Mir ist nicht bekannt, dass Japan-Amerikaner je vor hatten, einen Shinto- Schrein in Pearl Harbor zu errichten, aber: Selbst wenn, was wäre so schlimm daran? (Oh, und was die "politisch-korrekte Theorie angeht, meint Giuliani damit die Verfassung? Ein großer Fan von dieser alten nervtötenden Meinungsfreiheit war er ja nie).
Und dann, na klar, Amerikas Twitter-Königin Sarah Palin ist natürlich auch dabei: "Friedliebende Muslime, bitte versteht, Ground-Zero-Moschee ist eine UNNÖTIGE Provokation; ein Stich in unser Herz. Bitte lehnt das ab, im Interesse unserer Heilung." Ja, friedliebende Muslime, kriecht einfach zurück in eure Höhle und lasst uns Amerikaner in Ruhe, damit wir das schreckliche Verbrechen verwinden können, das uns angetan wurde und nicht euch! Tatsächlich finden sich bei den Überlebenden von 9/11 und ihren Familien sowohl Befürworter als auch Gegner von Park51. Eine Umfrage fand jüngst heraus, dass 53 Prozent der New Yorker gegen das Zentrum sind. Gleichzeitig unterstützen es 53 Prozent der Anwohner von Manhattan - richtig, ausgerechnet die Snobs von der Upper West Side.
Schmerz ist kein Argument
Aber selbst wenn sämtliche Überlebende des Anschlags gemeinsam gegen dieses Zentrum wären - es darf keine Rolle spielen. Die Verfassung ist keine Schmerztablette. Es ist nicht ihre Aufgabe, verletzten Menschen ein besseres Gefühl zu geben - oder die Ressentiments von Betschwestern und Betbrüdern miteinander kurzzuschließen. Es geht auch nicht um Umfragen oder Mehrheitsbeschlüsse. Wäre das der Punkt, dann gäbe es keine Meinungsfreiheit, denn wie schon Rosa Luxemburg wusste, Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden. Es wäre schön, wenn unsere demokratisch gewählten Volksvertreter das verstehen würden, immerhin haben sie einen Eid auf die Verfassung geleistet. Stattdessen aber herrscht vor allem Schweigen. Und New Yorks Gouverneur David Paterson (Demokrat) bietet den Bauherren staatseigenen Grund an, damit Park51 an anderer Stelle gebaut werden kann. Diesem Mann gelingt aber auch einfach gar nichts.
Islam gilt nicht als Religion
Außerordentlich grotesk an der Aufregung um Park51 ist der Umstand, dass Palin, Gingrich und all die anderen rechtsgerichteten Gegner gar nicht aufhören können, sich zur Verfassung zu bekennen. Offenkundig lieben sie die Religion so sehr, dass sie felsenfest glauben, der Erste Verfassungszusatz existiere nur, um das Primat der Religion über den Säkularismus sicherzustellen. Dass Religion an öffentlichen Orten nichts zu suchen hat - etwa in Klassenräumen staatlicher Schulen - hat für sie ja auch noch nie Sinn gemacht. In ihrer Vorstellungswelt sind Gläubige eine verfolgte Minderheit. Klarerweise meint Religion für sie ausschließlich das Christentum. Für Ron Ramsey, den Kandidaten der Tea Party für den Gouverneursposten in Tennessee, handelt es sich beim Islam folgerichtig um keine Religion, sondern um einen Kult. 1,5 Milliarden Muslime weltweit sind für ihn einfach durchgeknallte und von einem teuflischen Superhirn gesteuerte Schlafwandler.
Der Versuch von Newt Gingrich Park51 als eine geplante islamistische Übernahme der USA durch Islamisten darzustellen, ist so lächerlich wie beschämend. Amerika ist eine säkulare Demokratie, in der sich dreiviertel der Bevölkerung zum Christentum und zum Hedonismus bekennen. So gut wie niemand, auch nicht unter amerikanischen Muslimen, interessiert sich für die Ziele des militanten Islam - Polygamie, Burka, das Verbot von Schweinefleisch, Alkohol und Musik oder die Scharia. Die beschworene Angst vor der Scharia ist noch absurder als die sattsam bekannte Angst vor dem Kommunismus. Ich bin mir sicher, eines Tages wird sie genauso bizarr anmuten wie letztere.
Doch bis das soweit ist, wünsche ich mir, dass Park51 eine moderne, eine zeitgemäße Sehenswürdigkeit wird in einer Stadt, die Bürgermeister Bloomberg voller Stolz als die libertärste in der Welt bezeichnet. KATHA POLLITT
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Ines Kappert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!