Debatte Iranische Opposition: Der stille Protest
Die iranische Oppositionsbewegung wurde von den Straßen geprügelt. Doch nun hat sie einen Strategiewechsel vollzogen.
N icht lange ist es her, da wurde die These vom Ende der Islamischen Republik wie man sie seit 30 Jahren kennt, durchaus ernst genommen. Diesen Kassandrarufen hat das Regime getrotzt. Die iranische Volksseele aber hat sich nach den Präsidentschaftswahlen nachhaltig verändert. Zum ersten Mal seit der islamischen Revolution hat ein großer Teil der Bevölkerung sich wieder als Einheit begriffen. Dieses Gefühl wirkt nach.
Die Regierung versucht mit aller Macht zum politischen Tagesgeschäft zurückzukehren, und die Eindrücke des Sommers vergessen zu machen. Auf internationalem Parkett holt sie sich die Legitimation, die ihr im eigenen Land verwehrt bleibt. Auf den ersten Blick scheint die Rechnung aufzugehen. Einen Sommer lang war von Demokratie die Rede, von Zivilgesellschaft und Graswurzelbewegung. Für westliche Ohren waren das ungewohnte Begriffe, die da in einem Atemzug mit dem Iran genannt wurden. Der Sommer ist vorbei, und die altbekannten Themen stehen wieder auf der Agenda. Nichts stört mehr die westlichen Hörgewohnheiten. Der Präsident leugnet wieder den Holocaust, gesteht den Bau geheimer Atomanlagen und lässt neue Langstreckenraketen testen. Das sind die in der Islamischen Republik bewährten Rauchgranaten, die den Blick auf die innenpolitischen Risse vernebeln sollen. Entzieht man ihnen die Aufmerksamkeit, so die Rechnung des Regimes, wird die zarte Demokratiebewegung den Winter nicht überstehen.
Die Machthaber in Tehran setzen alles daran, dass die grüne Bewegung sich nicht gesellschaftlich verwurzelt. Angst ist das bewährte Pestizid des autoritären Regimes. Davon hat die Regierung reichlich versprüht. In Pyjamas und Badelatschen hat es die alte Elite des Landes in Schauprozessen vorgeführt. Von Vergewaltigung und mittelalterlicher Folter war die Rede, die sich in den Verließen der berüchtigten Gefängnisse zugetragen haben soll. Es kann also niemanden verwundern, dass es nicht mehr zu spontanen Massendemonstrationen kommt.
Die Demokratiebewegung ist aber lebendiger als es den Machthabern lieb ist. Der gerade zu Ende gegangene Fastenmonat Ramadan wurde für das Regime zum Offenbarungseid. Die Ereignisse deuteten an, wie sich das Kräftemessen zwischen der Macht und den scheinbar Ohnmächtigen in naher Zukunft entwickeln könnte. Im Iran ist es eine durchaus gängige Praxis, unter dem Deckmantel religiöser und politischer Kundgebungen den Rückhalt und die Einheit der eigenen Bevölkerung zur Schau zu stellen.
Doch die Ereignisse in den Wochen des Ramadan schienen nicht so recht in das verordnete Schema zu passen. Wie eingeschüchtert das Regime tatsächlich ist, ließ sich an ihren Entscheidungen ablesen. Zum ersten Mal seit dem Tod des Staatsgründers Chomeini vor 30 Jahren, wurden kurzerhand die religiösen Qadr-Nächte im Fastenmonat Ramadan abgesagt. Diese Feiertage sind für gläubige Iraner eine heilige Institution. Bei den Ansprachen hierzu wären mehrere Millionen Zuhörer erwartet worden – ein unkontrollierbares Risiko für das Regime, da die Opposition ihre Anhänger zur Teilnahme an den Feierlichkeiten aufgerufen hatte. Der offizielle iranische Kalender hält mehrere religiöse und politische Pflichtveranstaltungen wie die „Qadr-Nächte“ bereit.
Nichts fürchtet das Regime zur Zeit mehr als solche Anlässe. Zu groß ist die Gefahr, dass es zum Kräftemessen mit der eigenen Bevölkerung kommt. Eine Rede des Obersten Rechtsgelehrten Chamenei zum Ende des Fastenmonats wurde kurzerhand von dem für solche Großereignisse konzipierten Veranstaltungsort in ein deutlich kleineres Gebäude verlegt. Die Massen sollten überschaubar bleiben. Sämtliche öffentliche Iftars, Anlässe bei denen Freunde, Bekannte und Nachbarn sich treffen um das Fastenbrechen nach Sonnenuntergang gemeinsam zu feiern, wurden untersagt. Denn hier trifft sich das Volk, und spricht hinter vorgehaltener Hand. Und wo das Volk ist, riecht es nach Ärger.
Selbst die für die schiitischen Iraner wichtigen Trauerzeremonien für die in den Ereignissen nach der Wahl ums Leben gekommenen Menschen, wurden streng überwacht und einige sogar verboten. Wo öffentlich getrauert wird, da gärt auch die Wut auf die Täter. Man scherzt bereits, das Regime habe sogar schon Angst vor den Toten. Die Theokratie sei ein Gottesstaat ohne Gott geworden. Und dann kam der „Jerusalem Tag“ am 18. Semptember. Jährliche, vom Staat verordnete Demonstrationen gegen die israelische Besatzungspolitik. Eigentlich der Stoff, mit dem sich eine Machtdemonstration inszenieren lässt. Die Einheit zur Schau stellen um jeden Preis, selbst wenn der regierungstreue Mob mit Bussen in die Hauptstadt gekarrt werden muss. Und die im Ausland gewohnten Bilder produzieren: brennende amerikanische und israelische Fahnen, und die lautstarken Hassbekundungen für die Imperialisten und Besatzer – dringend benötigter Balsam für die angeschlagene Seele eines jeden iranischen Hardlinders.
Kurzerhand erklärte das Regime die Tage um den „Jerusalem Tag“ als zusätzliche Ferientage. Das so entstandene verlängerte Wochenende nutzt die Tehraner Bevölkerung üblicherweise um dem Smog der Millionenmetropole zu entkommen, und einige Tage auf dem Land zu verbringen. So hoffte die Regierung, dass eine große Zahl der Spielverderber bei den Kundgebungen gar nicht in der Stadt sein würde. Das Regime geht dem eigenen Volk aus dem Weg, wo es kann. Laut Agenturmeldungen und Oppositions-Websites trauten sich trotz Einschüchterungsversuchen des Regimes, zehntausende Demonstranten Plakate und Symbole der Opposition zu tragen, und in Sprechchören ihre Kritik an der Regierung zu äußern. Die Blamage war perfekt, als ein Live Interview mit Präsident Ahmadinejad abgebrochen werden musste, weil die gegen ihn gerichteten Sprechchöre in der Übertragung zu hören waren. Was als Regierungsveranstaltung geplant war, geriet zum Schaulaufen der Oppositionanhänger.
Die Bewegung hat einen Strategiewechsel vollzogen. Sie ließ sich zwar von den Straßen prügeln, doch der Widerstand hat sich bloß verlagert. Im Internet wird der Protest verwaltet und genährt, um sich zu offiziellen, vom Regime anerkannten Anlässen aus dem Virtuellen in die Realität zu ergießen. Da spontanen Aufmärschen der Opposition kein Raum geboten wird, sind die religiösen und politischen Anlässe die Kristallisationspunkte, an denen sich die Oppositionsbewegung über ihren eigenen Zustand und ihrer internen Dynamik vergewissert. Man geht hin, um zu gucken ob es Sie noch gibt, und um dem Establishment die Show zu stehlen. Jede dieser Veranstaltungen ist ein kleiner D-Day der Oppositionsbewegung.
Sie hat auf die harten Fakten der Staatsgewalt reagiert. Das Regime sieht sich einer gesellschaftlich breit verankerten, genuinen Demokratiebewegung gegenüber. Mir Hussein Mousavi, das personifizierte Symbol der Oppositionsbewegung, spricht in seinen offiziellen Statements vom „grünen Weg der Hoffnung“. Dieser Weg lasse sich nicht in politischen Parteien beschreiten. Es gehe ihm um die Idee des von unten organisierten Netzwerkes, dass in allen gesellschaftlichen Sphären seine Keimzellen trägt. In den Koranschulen, den Gewerkschaften, in der eigenen Familie und in der Nachbarschaft, in Schulen und Universitäten: Sie alle seien die sozialen Keimzellen, die das Netzwerk zusammenhalten. Schon früh hat Mousavi versucht seine eigene Person nicht zu sehr von der Oppositionsbewegung vereinnahmen zu lassen.
Was passieren kann wenn sich der millionenfache Wunsch nach Reformen auf eine einzige Person fixiert, hat er bei seinem Mitstreiter Chatami erlebt. Ein Reformpolitiker lässt sich kaltstellen – sei er auch der Präsident. Eine soziale Bewegung die durch zivilen Ungehorsam und friedlichen Protest konstanten Druck auf die Entscheidungsträger ausübt, lässt sich ungleich schwerer kontrollieren. Diese bittere Lehre scheint Mousavi zu berücksichtigen. Er begnügt sich mit der Rolle des Impulsgebers. Das führte dazu, dass die Demokratiebewegung sich nicht vertikal organisierte, sondern horizontal. Sie hat ihre eigene Dynamik angenommen und funktioniert auch ohne Direktiven von oben. Sie wirkt wie der stete Tropfen. Das wird ihre Nachhaltigkeit und Stärke ausmachen. Es geht nicht um den Umsturz des Systems, sondern um eine Transformation hin zu demokratischeren Strukturen, die die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte garantieren. Die größten Tugenden hierfür sind Beharrlichkeit und Ausdauer.
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