Debatte Guttenberg und Populismus: Ein Held wie wir
Die Plagiatsaffäre hat Guttenbergs Popularität kaum geschadet. Obwohl der Minister nur seine eigenen Interessen vertritt, geriert er sich als Held im Auftrag des Volkes.
K arl-Theodor zu Guttenberg ist ein Held. Nicht weil er den Inhalt seiner Dissertation zusammenkopiert hat und dreist behauptet, er habe sie "in mühevoller Kleinstarbeit" selbst geschrieben. Auch nicht weil sich der Minister bei seiner Verteidigung gegen die Plagiatsvorwürfe binnen einer Woche dreimal widersprochen hat. Sondern weil der Minister laut Umfragen nun noch beliebter ist als vor der Affäre.
Helden existieren nicht aus eigenem Recht. Es gibt sie, weil Menschen an sie glauben. Heroen sind Projektionen menschlicher Sehnsüchte, und Guttenberg bedient diese perfekt. Ein Held wie er stürzt nicht durch Rücktrittsforderungen oder universitäre Prüfaufträge. Sondern wenn seine Anhänger ihm die Zuneigung entziehen. Guttenberg ist noch nicht am Ende.
Guttenberg entspricht in den Augen vieler Bürger einem klassischen Heros. Er ist von edler Herkunft, sein Auftreten und Selbstverständnis unterstreichen seine Besonderheit. Helden verkörpern, was eine Gesellschaft für erstrebenswert erachtet: Stärke oder Klugheit, Aufopferungswillen oder Geduld. 73 Prozent der Deutschen sind mit der politischen Arbeit des CSU-Politikers zufrieden, zu Monatsbeginn waren es nur 68 Prozent, ermittelte Infratest dimap zur Wochenmitte.
Offenkundig halten es also fast drei Viertel der Befragten nicht für ächtenswert, das geistige Eigentum anderer als eigene Leistung auszugeben und die Öffentlichkeit zu belügen, wenn die Wahrheit bekannt wird. Das sagt viel über Guttenberg und das Niveau der politischen Debatte. Aber es sagt mindestens ebenso viel über die Moralvorstellungen breiter Bevölkerungsschichten. Jede Gesellschaft hat die Helden, die sie verdient.
Maulheldenverehrung
Griechische Heroen waren keine fehlerlosen Vorbilder, sondern überlebensgroße Projektionen jener Menschen, die diese verehrten. Das bedeutet: Wer einen Helden verehrt, ehrt auch sich selbst. Darum geht es auch bei Guttenberg. Der Held darf nicht fallen, denn das würde eine Kränkung des Verehrenden bedeuten. So wie sich Menschen gern etwas verzeihen, was sie ihren Mitbürgern vorwerfen, sehen sie ihrem Heroen nur zu gern Fehlverhalten nach: Er ist ja auch nur ein Mensch.
Zur klassischen Definition eines Helden gehört zudem, dass dieser im Dienst gesellschaftlicher Werte Großes leistet. Beide Aspekte, Menschlichkeit und Übermenschlichkeit, nutzt Guttenberg perfekt zur Selbstinszenierung. Im Bundestag erklärte er am Donnerstag: "Ich habe fehlerhaft gehandelt. Ich habe mir nicht den Anspruch gesetzt, […] arrogant dieser Tätigkeit nachzugehen, nein, sondern mit der notwendigen Verantwortung die Aufgaben anzunehmen, die im Amtsspektrum des Bundesverteidigungsministers zu sehen sind. Das sind gewaltige Aufgaben."
Alles ist da: Demut, Entschlossenheit, der große Dienst an der Gemeinschaft. In diesem Fall müssen Bundeswehrreform und Afghanistaneinsatz dafür herhalten. Daraus folgt: Wer den Helden bei seiner Arbeit stört, der ist der wahre Schuldige, denn er verhindert das Erreichen gesellschaftlich erstrebenswerter Ziele. So versucht der Minister geschickt, die Rollen in dieser Erzählung zu vertauschen. Nicht er, der Trickser und Täuscher, ist der Schurke. Seine Kritiker sind es, die ihn durch Gerede über "inkorrektes Setzen und Zitieren" oder das Weglassen von Fußnoten von seinem Heilswerk abhalten.
Inszenierung der Reue
Es ist perfide, wie sich Guttenberg als reumütiges Opfer und zugleich als gnädiger Richter seiner selbst aufspielt. Erschütternd aber ist, wie viele Menschen ihm dieses Schmierentheater durchgehen lassen. Darin zeigt sich auch ein weit verbreiteter Antiintellektualismus. Er folgt der Logik: Was scheren uns ein paar Fußnoten, wenn in Afghanistan deutsche Soldaten sterben? Auch diesen Mechanismus nutzt Guttenberg brillant.
Vor einer Woche erklärte er: "Die Menschen in diesem Land erwarten", dass er sich ums "fordernde" Ministeramt kümmere. "Und ich trage die Verantwortung für die Soldaten im Einsatz, wie ein Ereignis an dem heutigen Tag einmal mehr auf bittere Weise zeigt." Damit instrumentalisierte Guttenberg einen Angriff auf ein Außenlager in Afghanistan, bei dem drei Soldaten starben.
Als Guttenberg diese Worte sprach, hatte die Bundeswehr die Attacke noch gar nicht bestätigt. Guttenberg spielte Menschenleben gegen Fußnoten aus, anderer Leute Leid gegen sein persönliches Fehlverhalten. Doch statt ihm dies zum Vorwurf zu machen, scheinen sich viele Bürger und manche Medien noch stärker mit ihm verbunden zu fühlen.
Opportunismus der Medien
Spiegel, Stern und Bild haben Guttenberg hochgeschrieben. Sie haben auf Auflage gesetzt statt auf Aufklärung. Bei der Bild-Zeitung ist das nicht verwunderlich: Der Boulevard hat bekanntlich kein Gedächtnis. Seine gespielte Empörung und Begeisterung sind stets aufs Neue frisch. Zudem sind die Bindungen von Guttenberg an den Springer Verlag seit Jahren eng. Spiegel und Stern allerdings sollten höhere Ansprüche an ihre Berichterstattung richten. Mit ihrem abrupten Stimmungswechsel in der Causa Guttenberg tragen sie zum verbreiteten Überdruss an "der Presse" bei. Viele Bürger verachten die Medien, die sie jeden Tag konsumieren: Diese schrieben doch eh, was sie wollen, und nicht, was die Leute fühlen. Den Antiintellektualismus, von dem derzeit Guttenberg profitiert, haben viele Medien durch ihr windelweiches Verhalten noch genährt.
Deshalb kann nur etwas, was die Gemüter der Verehrenden erregt, an Guttenbergs Heldenstatus rütteln: etwas aus ihrer Alltagswelt, dessen Verwerflichkeit sofort einleuchtet. Selbst die Nachricht, der CSU-Mann habe einen Ghostwriter beschäftigt, würde vielleicht nicht zu seinem Sturz führen. Bekanntlich können ja selbst deutsche Multimillionäre ihren Wohnsitz steuersparend in die Schweiz oder nach Monaco verlagern, ohne an öffentlichem Ansehen einzubüßen.
Die wahre Heldenaufgabe besteht aber darin, dass jene, die ihn anhimmeln, die Furcht vor dem Fall ihres Heroen verlieren. Und einsehen, dass Guttenberg in der Plagiatsaffäre nicht die Interessen von Soldaten oder Durchschnittsbürgern, sondern allein seine eigenen vertritt.
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