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Debatte GriechenlandHaarschnitt für die Gläubiger

Kommentar von Rudolf Hickel

Die Hilfspakete und das Sparprogramm allein werden nicht reichen. Vor dem Bankrott rettet Griechenland nur ein Forderungsverzicht der Gläubiger.

W er ist schuld an der "griechischen Tragödie" und vor allem: Was ist jetzt die Lösung? Die Antworten auf beide Fragen fallen nach wie vor diffus aus. Dabei lenkt die gebetsmühlenartige Kritik, Griechenland habe im internationalen Vergleich viel zu hohe öffentlichen Ausgaben, von der dominanten Krisenursache ab. Die nämlich liegt woanders: Griechenland leidet unter deutlich zu geringen Steuereinnahmen. Vor allem die Besteuerung der Vermögenden und Topverdiener ist extrem niedrig. Jedoch selbst die gesetzlich gewollte Besteuerung wird durch Steuerhinterziehung und Korruption unterlaufen. Schließlich ist die schwache Ökonomie Griechenlands ein Grund für völlig unzureichende Steuereinnahmen.

Jetzt muss zunächst der drohende Staatsbankrott verhindert werden. Dazu lohnt eine kurze Klärung des Begriffs. Ein Staat wird üblicherweise als insolvent, ja, bei eigenem Verschulden als bankrott bezeichnet, wenn die Ausgaben für Zinsen und Tilgung der Staatsschulden gegenüber den Gläubigern nicht mehr geleistet werden können. Anleger auf den Kapitalmärkten sehen einen Staat bereits am Rande der Pleite, wenn er von seinen öffentlichen Gesamteinnahmen etwa 30 bis 40 Prozent für Zinsen der Kredite aufwenden muss. Heiner Flassbecks Einschätzung (taz vom 30. 4.), Griechenland bewege sich nicht auf einen Staatsbankrott zu, weil es über ein riesiges Volksvermögen verfüge, ist nutzlos. Danach müssten große Teile des Volksvermögens umgehend verkauft werden: Sollen jetzt Inseln oder gar die Akropolis veräußert werden?

Wenn Unternehmen nicht mehr überlebensfähig sind, dann werden am Ende die Produktionsstätten geschlossen und die Beschäftigten entlassen. Eine vergleichbare Insolvenzordnung kann es für Staaten nicht geben. Schließlich lässt sich die Bevölkerung eines Pleitestaats nicht per Dekret entlassen. Dieser systematische Unterschied zwingt die internationale Staatengemeinschaft dazu, bei bankrotten Staaten nach einer politischen Lösung zu suchen.

Rudolf Hickel

ist Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Universität Bremen. Seit 2001 leitet er dort das Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW). http://www.iaw.uni-bremen.de/

Das jetzt von den Euroländern und dem IWF geschnürte Hilfspaket mit einem Volumen von 110 Milliarden Euro bis 2012 setzt, wie Ulrike Herrmann (taz vom 3. 5.) zu Recht betont, auf den Kauf von Zeit. Tatsächlich könnte dieses europäische Bekenntnis zu Griechenland die Spekulanten für einige Zeit verjagen. Sie werden sich dann zwischenzeitlich anderen schwachen Euroland-Kandidaten zuwenden. Trotzdem trägt der Kauf von Zeit nicht zur Stärkung der griechischen Gesamtwirtschaft bei. Im Gegenteil, durch die massiven Kürzungen im öffentlichen Dienst und bei den sozialen Transferausgaben sowie durch eine auf 23 Prozent erhöhte Mehrwertsteuer wird die griechische Binnenwirtschaft in eine Rezession gezwungen, also kaputtgespart. Dann aber werden die Steuereinnahmen weiter zurückgehen, folglich ab 2013 die extrem hohen Staatsschulden zusammen mit hohen Zinszahlungen voll durchschlagen. Der Kauf von Zeit ist also nur sinnvoll, wenn sich die Gesamtwirtschaft in dieser Periode erholen kann.

Um eine solche wirtschaftliche Konsolidierung überhaupt zu ermöglichen, sollte eine Umschuldung mit dem Ziel des Forderungsverzichtes der bisherigen Gläubiger in Betracht gezogen werden. Länder, die von Schuldenkrisen in den letzten Jahren heimgesucht wurden, sind am Ende nur durch Forderungsverzichte vorm Staatsbankrott bewahrt worden. Im August 1998 etwa ereilte Russland eine den Staatsruin vorantreibenden Schuldenkrise. Argentinien stand 2001/2002 kurz vor dem Bankrott. Auch Ecuador, die Ukraine, Pakistan, Uruguay bewegten sich im Bereich der Staatspleite. Und jeweils zeigte sich, dass die Hilfspakete des IWF, der Weltbank und anderer Staaten zur Rettung nicht ausreichten. Die Staatspleiten wurden erst durch eine Umschuldung mit hohen Forderungsabschlägen zulasten der Gläubiger überwunden, einem "hair cut". So haben die Gläubiger gegenüber Russland auf 69,2 Prozent (2000) ihrer Forderungen und gegenüber Argentinien auf 67 Prozent (2005) verzichtet. Entsprechend sollte auch für Griechenland ein Umschuldungsprogramm mit der Festlegung von Forderungsverzichten der Gläubiger geprüft werden. Dazu wäre eine Gläubigerkonferenz einzuberufen, die den Forderungsverzicht regelt.

Wer sind die Gläubiger? Es handelt sich hier nicht nur um andere Staaten, sondern neben griechischen Banken auch um Finanzmagnaten in Griechenland selbst. Nach den jüngsten Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich betrug Ende 2009 der Bestand an griechischen Auslandsschulden 236,2 Milliarden US-Dollar. Die Gläubiger konzentrieren sich mit 79 Prozent auf Europa. Die deutschen Banken waren Ende 2009 Gläubiger mit rund 31,4 Milliarden Euro. Auf Frankreich konzentrierten sich 52,6 Milliarden. Auch die Schweiz gehört zu den namhaften Gläubigerländern.

In Deutschland wären von einem Forderungsverzicht vor allem die Hypo Real Estate, die Commerzbank, die Postbank, einige Landesbanken und auch die Allianzgruppe (mit 3,5 Milliarden Euro) betroffen.

Forderungsverluste treffen jedoch auch Gläubiger in Griechenland. Ein Großgläubiger ist Spiros Latsis, der Chef eines Finanzimperiums. Auch er müsste mit einem Verzicht auf Forderungen gegenüber dem griechischen Staat, mit denen er bisher hohe Renditen erzielen konnte, einen Beitrag zur Rettung Griechenlands leisten. Übrigens entzieht der "hair cut" auch den Spekulationen mit den Kreditversicherungen (CDS) die Geschäftsbasis.

Ulrike Herrmann widerspricht diesem Vorschlag mit dem Hinweis, hier würde "unpolitisch" eine "Privatisierung" der Krise betrieben. Jedoch, Forderungsverzichte der Gläubiger ermöglichen dem Notlagenland Griechenland etwa durch die Halbierung seiner Staatsschulden und Zinslasten einen Neubeginn, von dem alle Euroländer profitieren. Die Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer sowie höhere und vor allem auch realisierte Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen sind richtig. Damit lässt sich aber nicht der schnell zu verhindernde Staatsbankrott bekämpfen.

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7 Kommentare

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  • C
    Conrado

    Zwei Aspekten schenken Sie moeglicherweise zuwenig Beachtung. Erstens braechte ein Schuldenverzicht Griechenland zwar direkte Entlastung, er waere aber wohl auch mit indirekten langfristigen Kosten in Form von hoeheren Zinsen fuer zukuenftige Auslandskredite verbunden. Ein gutes Beispiel dafuer ist Polen, das 1990 einen Gutteil seiner Auslandschulden erlassen bekam, dann aber ueber Jahre hoehere Zinsen zahlen musste als etwa Ungarn, das, damals ebenfalls stark verschuldet, auf eine solche Entlastung verzichtet hatte. Die Kapitalmaerkte haben naemlich, entgegen dem verbreiteten Vorurteil, kein kurzes Gedaechtnis. Ungarns Lage war damals uebrigens von vielen Beobachtern als ausweglos eingeschaetzt worden, genau wie heute die Lage Griechenlands.

     

    Zweitens sollte man den Gewinn von Zeit grundsaetzlich nie gering schaetzen. In zwei bis drei Jahren, dem Zeithorizont des IMF/EU Hilfsprogramms, kann sich zum Beispiel das internationale Umfeld sehr zugunsten Griechenlands veraendern. Das sieht man oft nicht kommen. Das von Ihnen erwaehnte Russland wurde zum Beispiel in der Tat im Jahr 2000 umfassend entschuldet, da stand es aber am Beginn einer fast zehnjaehrigen Boomphase, die sachlich mit der Entschuldung nichts zu tun hatte. Rueckblickend haette man auf die Entschuldung gut verzichten koennen. Fazit: Auch wenn wir es nicht gerne zugeben, die Zukunft ist offen. Deshalb handelt der Mensch oft schlauer als er redet (bzw. schreibt), indem er versucht, Zeit zu gewinnen. Im Alltag, in der Politik, und beim Finanziellen.

  • C
    Conrado

    Zwei Aspekten schenken Sie moeglicherweise zuwenig Beachtung. Erstens braechte ein Schuldenverzicht Griechenland zwar direkte Entlastung, er waere aber wohl auch mit indirekten langfristigen Kosten in Form von hoeheren Zinsen fuer zukuenftige Auslandskredite verbunden. Ein gutes Beispiel dafuer ist Polen, das 1990 einen Gutteil seiner Auslandschulden erlassen bekam, dann aber ueber Jahre hoehere Zinsen zahlen musste als etwa Ungarn, das, ebenfalls stark verschuldet, auf eine solche Entschuldung verzichtet hatte. Die Kapitalmaerkte haben naemlich, trotz des verbreiteten Vorurteils, kein kurzes Gedaechtnis. Ungarns Lage war damals uebrigens von vielen Beobachtern als ausweglos eingeschaetzt worden, genau wie heute die Lage Griechenlands.

    Zweitens sollte man den Gewinn von Zeit nie gering schaetzen. In zwei bis drei Jahren kann sich zum Beispiel das internationale Umfeld sehr zugunsten Griechenlands veraendern. Das sieht man oft nicht kommen. Das von Ihnen erwaehnte Russland wurde zum Beispiel in der Tat im Jahr 2000 umfassend entschuldet, da stand es aber am Beginn einer fast zehnjaehrigen Boomphase, die sachlich mit der Entschuldung nichts zu tun hatte. Fazit: Auch wenn wir es nicht gerne zugeben, die Zukunft ist offen. Deshalb handelt der Mensch oft schlauer als er redet (bzw. schreibt), indem er versucht, Zeit zu gewinnen. Im Alltag, in der Politik, und beim Finanziellen.

  • HH
    Hans-Jürgen Heusel

    Wieviel Barvermögen besitzen eigentlich die 100.000 reichsten griechischen Familien?

  • C
    Conrado

    Zwei wichtige Anspekte uebersehen sie moeglicherweise: Erstens bringt ein Schuldenverzicht dem betroffenen Land zwar offensichtliche finanzielle Entlastung, aber auch (teilweise versteckte) Zusatzlasten in Form von hoeheren Zinsen fuer zukuenftige Staatsschulden. Ein gutes Beispiel ist Polen, das nach einem umfassenden Schuldenverzicht in 1989/90 ueber viele Jahre hoehere Zinsen fuer neuaufgenommene Auslandskredite zahlen musste als etwa Ungarn, das trotz extrem hoher Auslandschulden damals auf eine solche Entlastung verzichtet hatte. Die Lage Ungarns war damals auch von einigen Beobachtern als aussichtslos eingeschaetzt worden. Mit anderen Worten: Finanzmaerkte haben entgegen verbreiteter Meinung ein langes Gedaechntis. Ein zeitnaehreres (allerdings etwas versetztes) Beispiel ist die Tuerkei, die 2009 trotz duesterer auslaendischer Krisenprognosen wohl zurecht auf ein IMF Program verzichtet hat, und jetzt gerade deshalb von den Finanzmaerkten wesentlich guenstiger bewertet wird.

     

    Zweitens sollte man Zeitgewinn grundsaetlich nicht gering schaetzen. In zwei bis drei Jahren kann sich das internationale Umfeld sehr zum Vorteil von Griechenland gewandelt haben. Ein gutes Beispiel ist das von Ihnen erwaehnte Russland, das in der Tat 2000 einen Gutteil seiner staatlichen Auslandsschulden erlassen bekam, weil man glaubte, das Land komme ohne diesen Schritt nie wieder auf die Beine. Tatsachlich stand Russland da am Anfang eines fast zehnjaehrigen Booms. Die Zukunft kennen wir nicht wirklich, auch wenn wir oft das Gegenteil behaupten. Im Alltag handeln wir deshalb oft vernuenftiger, als wir reden: Wir versuchen Zeit zu gewinnen. Das ist oft die beste Option, im Alltag, in der Politik, und beim Finanziellen.

  • B
    Borstell

    Schuld an der europäischen Misere hat unter anderem auch Deutschland. Als Ex-Exportweltmeister nahm Deutschland anderen Staaten Marktanteile weg. Dieser Wettbewerbsvorteil wurde durch Verzicht auf Steigerung der Reallöhne und anderer Maßnahmen, wie der Agenda 2010, ermöglicht. Die Ironie also ist, das hier die "kleinen Leute" den Gürtel enger geschnallt haben, um den "kleinen Leuten" in anderen Ländern die Arbeit zu nehmen. Dafür haben Reiche in Deutschland ordentlich Profit mit dem Konsum der Reichen wo anders gemacht.

    Die Mitschuld dieses exportorientierten Wirtschaftens an der innereuropäischen Krise wird nun in allen Ländern diskutiert. Außer in Deutschland.

     

    Die massiven Kürzungen bei den sozialen Transferausgaben sowie die erhöhte Mehrwertsteuer in Griechsnland sind sozial ungerecht, falls das heute überhaupt noch ein Kategorie ist, denn es trifft nicht die Leute die vorher durch die Misswirtschaft profitiert haben.

     

    Dass jetzt die Gläubiger, also Banken, Spekulanten und zum Großen Teil auch Steuerhinterzieher durch Rettungsfonds ihre jetzt auch hochverzinsten Anlgen gesichert bekommen, ist eine weitere Frechheit. Wofür erhalten sie denn die hohen Zinsen, wenn nicht wegen dem Risko des Verlusts?

  • Z
    Zaza

    Herr Prof. Hickel, die so schön umschriebene "Beteiligung der Gläubiger" ist doch gerade der Staatsbankrott, der abgewendet werden soll. Würde dies nicht zu weiteren Abstufungen führen und dazu dass absolut niemand mehr griechische Anleihen kauft? Mit der Folge, dass der griechische Staat Renten, Arbeitslosengeld, Beamtenbezüge nicht mehr zahlen kann?

     

    Soll dieses Szenario nicht gerade abgewendet werden?

  • W
    Wille

    Mit dem Hilfsprogramm hat sich Europa gegen den von Rudolf Hickel vorgeschlagenen Schnitt entschieden- zumindest vorerst. Letzlich ist der Grund für die Hilfeleistung der Europäer die Verhinderung eines zweiten Lehmanfalles und damit ein Wiederaufflammen der Finanzkrise in Form von Risikoaversion, fallenden Aktienmärkten und Vertrauen im Interbankenmarkt (und weniger Solidarität mit den Griechen).

     

    Auch den Griechen kann ein Schnitt nicht geheuer sein, da damit etwa 30 Mrd Vermögen in Griechenland verschwinden würden, und zwar nicht nur bei ein paar Superreichen (makroökonomisch nicht so wichtig) sondern ganz wesentlich bei griechichschen Banken und Versicherungen. Hier dürfte einige mit Sicherheit Pleite gehen oder durch Unterkaptialisierung handlungsunfähig werden. Auch die Renditen von griechischen Lebensversicherungen, die in die eigenen Anleihen investieren, werden bei einem Schnitt kräftig schrumpfen - die griechischen Wähler werden nicht begeistert sein. Also: der Kapitalschnitt löst nicht nur Probleme, sondern schafft auch welche, er ist destablisierend, solange man nicht nur die von Ausländern gehaltenen Anleihen heruntersetzt (was technisch nicht geht). Für die Regierung ist er damit nur dann eine Option, wenn die Hilfe aus Europa versiegt. Damit ist das alles kein Thema in den nächsten 1-2 Jahren.