Debatte Geburt und Familie: Gebärende haben keine Lobby
Die Geburt ist das prägendste Ereignis im Leben, aber nur selten schön. In der deutschen Geburtshilfe ist noch Luft nach oben.
Z um Thema Familiengründung und -alltag ist viel gesagt und geschrieben worden. Nur die Umstände, unter denen Frauen Kinder gebären, scheinen kaum der Rede wert. Während ein würdevolles Lebensende unter großer Medienanteilnahme die Zentrale Ethikkommission beschäftigt, kämpft für einen würdevollen Beginn eine Handvoll kleiner Organisationen oder ein winziges Bundesland wie Bremen, weitgehend von der Öffentlichkeit unbemerkt.
Hin und wieder ein Artikel über die Kaiserschnittrate, eine Anfrage im Bundestag über die Arbeitsbedingungen von Hebammen – ansonsten bleibt die Auseinandersetzung um Geburten Privatsache. Dabei gestalten sich die Gespräche schwierig, das Verletzungsrisiko ist groß. Anstatt sich ehrlich auszutauschen, nehmen die meisten sofort eine Verteidigungshaltung ein: „Das war ein Not-Kaiserschnitt, wir wären sonst gestorben!“ Oder: „Zu Hause gebären ist nicht unsicher, wenigstens wird einem dort das Kind nicht weggenommen, weil es sich mit Krankenhauskeimen infiziert hat!“
Solche Diskussionen kommt über das Individuelle nicht hinaus. Dabei zeigen fast alle persönlichen Erzählungen, dass in der deutschen Geburtshilfe Luft nach oben ist. Und das vor allem dort, wo über 98 Prozent aller Geburten stattfinden: im Krankenhaus. Oder wie viele Frauen und Paare kennen Sie, die sich nur aus einem Grund für die Klinik entschieden haben: Weil sie gehört oder erlebt haben, dass es sich dort selbstbestimmt und in Ruhe gebären lässt?
Momente der Bevormundung
Ich habe den Satz, „Das war einfach schön“ genau einmal gehört. Von einem Paar, das die Geburt im Geburtshaus abbrechen musste. Alle anderen berichten von Momenten der Bevormundung, der Hektik, des Alleingelassenwerdens. Auffallend oft erst Monate oder Jahre später. Dann sprechen Frauen über das Gefühl, versagt zu haben – als Gebärende oder Stillende. Dann erzählen sie von der Hebamme, die ihnen trotz einsetzender Wehen befahl, die geburtseinleitende Pille zu schlucken. Vom Arzt, der einen Blick auf das Geschehen warf und befand „OP – hat keinen Zweck“.
Bei manchen setzt die Ernüchterung auch erst auf der Wochenbettstation ein: Wenn die Kinderkrankenschwester sie anschnauzt, weil sie das Neugeborene noch nicht gewickelt haben. Und dann gibt es noch diejenigen, die die Geburt ihres Kindes als blanken Horror in Erinnerung haben. Wie viele davon regelrecht traumatisiert sind, dazu gibt es nicht einmal Schätzungen.
Mit Sicherheit sind Extremfälle, bei denen die Betroffenen sich ohnmächtig und entwürdigt erleben, die Ausnahme. Und nur sehr wenig geschieht aus böser Absicht. Oft schaut das Klinikpersonal aus Angst und Überforderung mehr auf Zeit- und Maßeinheiten als auf die Frau oder die neue Familie. Und ja, heute ist vieles besser als in den 60er und 70er Jahren, als sich die Klinik als Geburtsort etablierte. Heute dürfen Familien zusammenbleiben, die Räume sind gelborange getüncht, es gibt Stillbeauftragte, Gebärwanne und Aromaöl-Massagen.
Dass aber in vielen Kliniken ÄrztInnen ein Drittel bis die Hälfte der Frauen in den OP schicken, steht nicht auf deren Internetseiten. Dabei gibt es Häuser, die beweisen, dass es anders geht. Zudem müssen Hebammen häufig zeitgleich drei oder mehr Gebärende begleiten. In Deutschland ist vorgeschrieben, wie viele Kinder eine Erzieherin betreuen darf, aber nicht, welcher Personalschlüssel im Kreißsaal unverantwortlich ist. Weil die Kassen für Geburten wenig zahlen und Hebammen Mangelware sind, kommen auf eine Hebamme jährlich 64,35 Geburten – einen schlechteren Schlüssel haben nur Spanien und Zypern. In Schweden sind es 14,2. Kaiserschnittrate? 17 Prozent. Und nein, dort sterben nicht mehr Säuglinge als in Deutschland. Sondern weniger.
Es gibt noch mehr messbare Indikatoren dafür, dass in deutschen Kreißsälen nicht alles rund läuft. Etwa die fehlende Vielfalt an Gebärpositionen. Eine auf dem Bett liegende Frau ist praktisch für die GeburtshelferInnen. Doch mangelnde Bewegung – auch ausgelöst durch Betäubungen wie die PDA – kann die richtige Drehung des Kindskopfs ins Becken verhindern und den Einsatz einer Saugglocke oder einen Kaiserschnitt notwendig machen. Zudem ist die Verletzungsgefahr in Rückenlage signifikant erhöht. Dennoch gebaren 2014 in horizontaler Lage: 80 Prozent aller Frauen. Viermal so viel wie im Vergleichszeitraum in der außerklinischen Geburtshilfe. Kein Wunder, dass das passive Verb „entbinden“ sehr viel häufiger verwendet wird als das aktive „gebären“.
Und obwohl bekannt ist, dass medizinische Eingriffe wie Einleitungen und Betäubungen den Verlauf einer Geburt oft nicht erleichtern, sondern im Gegenteil erschweren, werden sie routinemäßig eingesetzt.
Preis für ein gesundes Kind
Dass sich dagegen keine größeren Proteste erheben, hat damit zu tun, dass eine Geburt nur ein kurzer Moment im Leben ist, kein anhaltender Zustand. Vor allem aber glauben Eltern, einen Preis zahlen zu müssen, wenn sie mit einem gesunden Kind nach Hause gehen wollen. In Ermangelung anderer Rituale ist für werdende Eltern, wie Paula-Irene Villa in ihrem klugen taz-Essay „Geburt ohne Spuren“ dargelegt hat, ärztliches Handeln das magische Amulett. Mit dem wappnen sie sich dagegen, dass Geburten unberechenbar sind und sich weitgehend ihrer Kontrolle entziehen.
Es geht nicht darum, diese medizinischen Praktiken ganz zu verwerfen. Das will keine Hebamme, die eine Frau in ihrer Fähigkeit bestärkt, ein Kind aus eigener Kraft zu gebären. Und wenn sie einer Frau von einem Kaiserschnitt oder einer PDA abrät, dann nicht, weil sie einem „antimodernen“ Glauben an die Natur anhängt. Sondern weil sie um die wissenschaftlich belegten Vorteile der „natürlichen“ Geburt weiß.
Es darf nicht länger Glückssache sein, ob sich eine Geburt – allen Scheißschmerzen zum Trotz – gut anfühlt. Selbst wenn sie ganz anders verlaufen ist als geplant, auch wenn es schwierig war, vielleicht haarscharf an der Katastrophe vorbeischrammte: Eine Geburt ist der wahrscheinlich bewegendste und einschneidenste Moment im Leben. Es reicht nicht, wenn der nur „okay“ war.
Mehr Texte aus der Reihe „Familienangelegenheiten“ finden Sie unter www.taz.de/Familie
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