Debatte Feminismus und Islam: In der Bevormundungsfalle
Gegen das Kopftuch sein – und für Frauen, die es tragen: das ist kein Widerspruch, sondern eine bewährte feministische Haltung.
H at die taz "den gesamten Feminismus in die Nähe der Nazis gerückt", wie Monika Maron im Spiegel schreibt? Nein, und Birgit Rommelspacher, um deren Beitrag (taz vom 18. 1.) es geht, hat auch nicht alle Frauen, die für das Minarettverbot in der Schweiz stimmten, pauschal zu Rechtsextremen gestempelt, wie Claudia Pinl ihr antwortete (taz vom 23. 1.). Rommelspacher stellte vielmehr fest, der Feminismus sei nicht per se davor gefeit, von undemokratischen Ideologien instrumentalisiert zu werden. So haben manche Feministinnen gerade erst für das xenophobe Minarettverbot gestimmt.
Anhand verschiedener historischer Beispiele verwies Rommelspacher darauf, dass die Fahne der Emanzipation auch mal in einem Wind wehen kann, der eher freiheitsfeindlich ist. Auch die Nationalsozialisten hätten mit der angeblichen germanischen Geschlechtergleichheit Werbung für sich gemacht, führte sie an. Rommelspacher vertritt dabei selbst einen feministischen Standpunkt. Sie kritisiert lediglich jene Feministinnen, die ihr Bild von der richtigen Emanzipation über alles stellen - und dabei die angemessenen Mittel aus den Augen verlieren.
Es ginge den Minarettgegnerinnen vielleicht eher um Kopftücher als um Minarette, meinte nicht nur Claudia Pinl. Und was kann schon falsch daran sein, die weibliche Emanzipation über alles zu stellen? Und deshalb muslimische Traditionen zu bekämpfen, die Frauen extrem einschränken? Was ist falsch daran, wenn deutschstämmige Frauen auch für Musliminnen das Recht auf Liebe, Miniröcke, wallendes Haar und einen freien Geist in einem freien Körper einfordern? Nichts ist falsch daran. Ja, es ist sogar geboten, diese Freiheiten gegen religiöse und säkulare Fundis jeglicher Couleur zu verteidigen. Allerdings wird gelegentlich vergessen, dass es dabei eben um Freiheiten geht. Und dazu gehört auch die Freiheit, seinen Körper zu ver- statt zu enthüllen. Ein Verhüllungsverbot ist, ebenso wie ein Minarettverbot, das Gegenteil von Freiheit.
ist Redakteurin für Geschlechterpolitik der taz und setzt sich regelmäßig mit feministischen Konfliktlagen auseinander. Im Jahr 2004 erschien von ihr das Buch "Der Kopftuch-Streit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam".
Es zeugt übrigens von einem merkwürdigen Politikverständnis: das eine zu verbieten, wenn man etwas anderes meint. Schwerer wiegt, dass solche Feministinnen offenbar so angstgesteuert sind, dass sie ihr Unbehagen am Islam mal eben in einer mittelschweren Verbotsfantasie äußern. Da war die Frauenbewegung schon mal weiter.
Rückblende: Auf den Uno-Frauenkonferenzen der Siebzigerjahre gab es historische Zusammenstöße, als Feministinnen aus westlichen Industrieländern ihren Schwestern in den Entwicklungsländern erklären wollten, wie die sich von ihren Männern zu emanzipieren hätten. Die Frauen aus dem Süden hatten aber andere Probleme: Wer seine Existenz durch neokoloniale Ausbeutung der Industrieländer bedroht sieht, hat oft mehr mit Männern in gleicher Lage gemein als mit reichen Frauen aus der ersten Welt, die das lateinamerikanische oder afrikanische Patriarchat anprangern.
Alle Beteiligten haben aus diesen Konflikten gelernt. Sie haben pragmatische Wege gefunden, trotz aller Unterschiede und "Ungleichzeitigkeiten" solidarisch zu handeln. Wie kann ich diese Frauen jetzt und hier unterstützen, ohne meine feministischen Überzeugungen zu verraten? Diese Frage läßt sich nicht immer zugunsten des feministischen Prinzips entscheiden. Das war ein Lernerfolg.
Dieses historische Wissen droht im Islamstreit verloren zu gehen. Nun sitzt "uns" die Ungleichzeitigkeit nicht mehr in einer Uno-Konferenz, sondern in der U-Bahn gegenüber. Und je näher sie rückt, desto bedrohlicher wirkt sie. Schon wird das Verlangen groß, jene Frau befreien zu wollen, deren Kopftuch von vorsintflutlichen Ehrvorstellungen ihrer Eltern oder ihres Mannes zeugen könnte.
Ähnliche feministische Fronten gibt es auch am anderen Ende des sexualpolitischen Spektrums: beim Thema Prostitution. Feministinnen warfen in den Siebzigern aus Protest gegen die Unterwerfung von Frauen unter patriarchale Sexualfantasien die Scheiben von Bordellen ein. Und prompt organisierten sich die Huren und wehrten sich gegen diese Zerstörung ihrer Existenzgrundlage.
Auch bei diesem Streit ging es um eine patriarchal ausgerichtete Sexualität - nur war damals nicht die "Heilige", die Kopftuchfrau, sondern die "Hure" an der Reihe. Ja, beides sind vom Patriarchat entstellte und mißbrauchte Fantasien. Aber sie können beide auch feministisch gewendet werden: als selbstbestimmte Heilige oder als selbstbestimmte Hure.
Selbstbestimmte Prostitution
Bei der Prostitution sind die meisten Feministinnen dazu gelangt, die Widersprüche auszuhalten. Die patriarchale Struktur der legalen Prostitution ist zu kritisieren, das Verbrechen der Zwangsprostitution natürlich zu bekämpfen. Andererseits sind die Huren dabei zu unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Nur so kann die vielgerühmte "weibliche Freiheit" entstehen.
Das kann auch der Weg für den Umgang mit den "heiligen" Kopftuchträgerinnen sein. Selbstbestimmung muss hier das Ziel sein: erst dann haben sie wirklich die Wahl, ob sie sich verhüllen wollen oder nicht. Und: man kann das Kopftuch als patriarchales Symbol kritisieren, ohne seiner Trägerin mit Verboten das Leben schwer zu machen.
Fragt man muslimische Frauen nach ihren Bedürfnissen, ist die Antwort ziemlich klar: Bildung. Arbeitgeber, die eine Kopftuchträgerin akzeptieren. Unterstützung bei Konflikten mit der Familie. Zufluchtswohnungen, wo sie familiären Zwängen entfliehen wollen. Aber auch separates Schwimmen für muslimische Frauen, die ihre Schamgrenzen eben nicht auf Knopfdruck erweitern können oder wollen. Und wer will Frauen eigentlich verbieten, ihren Körper - ganz matriarchal - für so heilig zu halten, dass sie ihn verhüllen wollen?
Es ist ein guter feministischer Weg, Frauen zu unterstützen statt sie zu bevormunden, auch wenn sie meines Erachtens mit einem gänzlich unangemessenen und provozierenden Symbol des Patriarchats auf dem Kopf herum spazieren. Das setzt die Fähigkeit voraus, Widersprüche auszuhalten - statt ihnen mit Verboten den Garaus zu machen.
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