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Debatte FDPDie Überflüssigen

Kommentar von Christian Semler

Ein konsequenter und demokratischer Liberalismus ist nicht entbehrlich geworden. Entbehrlich ist eine Partei der radikal-kapitalistischen Klientelpolitik.

Auch der bestverstandene Liberalismus kann sich lächerlich machen. Bild: ap

H ört ihr das Totenglöckchen bimmeln? Es begleitet Guido Westerwelles Abgang als Parteiführer und zeigt an, wie schlecht es um die Überlebenschancen der FDP gegenwärtig bestellt ist. Sei es von hoher programmatischer Warte, sei es von den Niederungen der Tagespolitik her - überall wird jetzt die peinliche Frage aufgeworfen, ob es für die Freien Demokraten noch eine politische Daseinsberechtigung gibt. Die Frage aufwerfen heißt sie verneinen.

Das Leitungspersonal der FDP bietet ein Bild geballter Ratlosigkeit, wenn es um die Bewältigung der "existenziellen Krise" (Generalsekretär Lindner) der Partei mittels pogrammatischer Neuorientierung geht. Mehr Empfindsamkeit gegenüber der Lage der Armen? Mehr Umweltbewusstsein? Entschlossener gegenüber den Anmaßungen des Überwachungsstaates? Mehr Geld für Bildung? Vielleicht etwas mehr Trennung von Staat und Kirche? Wohin immer die FDP sich auf den Weg machen will, schallt ihr der Ruf des Igels entgegen: Wir, die Grünen, wir sind schon da!

Dogmatisch statt frei

Gewiss, unter Westerwelles Führung schrumpfte das freidemokratische Credo auf die Parole "Mehr Netto vom Brutto" zusammen. Während sich in der politischen Landschaft die Dogmen und Leitbilder auflösten, betete Westerwelle das Dogma von der segensreichen Wirkung von Steuererleichterungen an. Credo ut intellegam. Je offensichtlicher angesichts des Finanz-Crashs die Notwendigkeit rigoroser, koordinierter Staatseingriffe wurde, desto hysterischer bestand Westerwelle auf dem Minimalstaat. Als klar war, dass sein großes Versprechen nicht einlösbar war, wandte sich seine Mittelschichten-Klientel ab.

Aber gab es nicht, zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition in den frühen 1970er Jahren, eine liberale Programmatik, die statt der einseitigen Verteidigung von Kapitalinteressen die Vision einer Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche setzte? Wären die "Freiburger Thesen" von damals nicht heute ein möglicher Anknüpfungspunkt? Und dies umso mehr, als lang vor der Gründung der Grünen die Ökologie in den Thesen einen Schwerpunkt bildete?

Bild: w. borrs

CHRISTIAN SEMLER ist seit 1989 bei der taz und bis heute hier Autor. Die FDP war ihm stets ein Gräuel, hingegen entdeckte er nach Umwegen, dass der klassische Liberalismus angelsächsicher Prägung der Linken Wichtiges zu sagen hat.

Nein. Der demokratische Linksliberalismus, der in den "Freiburger Thesen" zum Ausdruck kam, war nur eine flüchtige, von einer Minderheit von Partei-Intellektuellen getragene Strömung, die bald wieder versickerte. Unter der Führung des Grafen Lambsdorff wandelte sich das Bild der FDP zu einer kapitalistischen Interessenvertretung sans phrase. Westerwelle hat sich in dieser Kontinuität bewegt.

Deutsche Bürger 1848ff

Seit sich der politische Liberalismus in Deutschland herausbildete, war die Schwäche eines demokratisch gesinnten, selbstbewussten Bürgertums sein ständiger Begleiter. Die Niederlage der Revolution von 1848 verstärkte in den sie tragenden bürgerlichen Schichten das Gefühl der Vergeblichkeit. Rückzug in den Raum privater Innerlichkeit einerseits, "Realpolitik" unter den gegebenen Machtverhältnissen andererseits waren die Folge.

Das Gros der geschlagenen Liberalen wandte sich Bismarck zu, begrüßte die kleindeutsch-preußische Lösung der nationalen Frage und wurde später zu einem Stützpfeiler des Obrigkeitsstaates der Hohenzollern. Die minoritären Linksliberalen schreckten stets vor einer Demokratisierung des wilhelminischen Reiches zurück. Nicht einmal in die Kampagne für ein allgemeines, gleiches Wahlrecht in Preußen wagten sie einzusteigen. Ihre Führungsfigur Friedrich Naumann war selbst Vertreter eines weichgespülten deutschen Imperialismus.

Die Linksliberalen schlossen 1912 ein Wahlbündnis mit der SPD, wurden in der frühen Weimarer Republik Bestandteil der Weimarer Koalition mit der SPD und dem katholischen Zentrum. Bald jedoch wandten sie sich nach rechts, und was von ihnen im Reichstag übrig blieb, stimmte - einschließlich des ersten Präsidenten der Bundesrepublik Theodor Heuss - 1933 für Hitlers Ermächtigungsgesetz. Nach dem Zweiten Weltkrieg profilierte sich die FDP als deutsch-nationale Kraft mit zum Teil offener Flanke gegenüber den "Ewig-Gestrigen"-Nazis. Der Ritterkreuz-Träger Erich Mende war in den 1960er Jahren die Führungs- und Galionsfigur der Partei.

Das Resumee dieser Parteigeschichte legt eigentlich nahe, für die FDP nach dem Scheitern Westerwelles nur den Ausweg nach rechts, hin zu einer populistischen, fremdenfeindlichen "Volks"partei zu sehen. Dies war der Weg des vormaligen Liberalen Haider in Österreich. Ihm folgten die Liberalen in einer Reihe europäischer Staaen nach, allesamt mir nachhaltigem Wahlerfolg.

Auch Westerwelle versuchte sich bei seinen Ausfällen gegen die Hartz-IV-Empfänger in populistischer Rhetorik, was aber von der Mittelschichten-Klientel der Partei als eher peinlich empfunden wurde. Fremdenhass und offene Diskriminierung von Minderheiten verletzen in dem sozialen Milieu, das die FDP wieder für sich gewinnen will, im Augenblick die Tabugrenze. Dort fürchtet man sich vor der Möllemannschen 18-Prozent-Protestpartei und vor dem Plebs, der die gepflegten Vorgärten zertrampelt. Was nicht heißt, dass es für den rechten, autoritären Populismus in Deutschland keine Massenbasis geben würde.

Ein Schuss Anarchismus

Die FDP ist überflüssig. Aber das heißt noch lange nicht, dass wichtige Bildungselemente eines konsequenten Liberalismus bei den rivalisierenden deutschen Parteien in guten Händen wären. Zu denken wäre hier an die programmatische Vorstellung einer "civil society", die in mannigfachen Assoziationsformen den abstrakten Individualismus kritisiert und sich gleichzeitig gegen die Macht von staatlichen wie gesellschaftlichen Großorganisationen wendet. Die für das Privateigentum eintritt, sich aber nicht nur von partikularen Interessen, sondern vom Bürgersinn, vom Gemeinwohl leiten lässt. Die den Staat nicht ablehnt, aber ständig beäugt, kritisch begleitet. Die konsequent gegen den Krieg ist, weil er dem Einzelnen eine unzumutbare Pflicht auferlegt. Die sich für Selbstorganisation und Selbstverwaltung starkmacht. Die freiheitlich-libertär ist, mit einem gehörigen Schuss Anarchismus.

Eine Ansammlung von einfallsreichen Querköpfen - leider lässt sie sich in keiner Partei organisieren.

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12 Kommentare

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  • EA
    Enzo Aduro

    Sag mal, blockiert ihr mich? Seltsam das andere hier über Hymen schreiben können ich aber meine differentierte Meinung nicht äußern kann. Oder hat das technische Ursachen?

  • S
    Slobo

    Müsste es im letzten Satz nicht heißen "einfallslosen" statt "einfallsreichen" ?

     

    "Entbehrlich ist eine Partei der radikal-kapitalistischen Klientelpolitik."

     

    Oh ja !!! Weg mit der FDP!

  • DW
    D. Walter

    In der Tat! Wir brauchen ein Stück mehr Anarchismus.Gewaltfreiheit und Abwesenheit von Herrschaft. Konsens und Solidarität.

     

    Aber, what the fuck, bringt jemanden auf die verdrehte Idee, die FDP könnte Avantgarde in diese Richtung sein?

    Ich war Gründungsmitglied der "Grünen" und habe nach eng bemessenen Tagen von Basisdemokratie erleben müssen, wie sich die "Realos" prostituierten. Ne Jungfrau wurde zur Hure.

    Der FDP aber das Hymen wieder einnähen?

     

    Es gab bestimmt irgendwann, irgendwo, irgendwie in der Geschichte der FDP einen halbwegs aufrechten Demokraten.

    Daraus den Mythos einer "freiheitlichen" Partei zu basteln, ist Nonsens.

  • F
    FRITZ

    Das Argument trägt nicht. Mit derselben Argumentation könnte man auch die Grünen für überflüssig erklären, weil auch andere Parteien den Ökokram miterledigen können und man die ja dann wählen könnte. Führt man das - ad absurdum - weiter, landet man beim Einparteienstaat.

     

    Es gibt zum Glück in Deutschland einen kleinen Kern selbstbewusster bürgerlicher Staatsskeptiker, der sich in keiner anderen Partei als der FDP vergleichbar wiederfindet. Klar, alt-liberale Werte finden sich mittlerweile auch in anderen Milieus und werden von deren Parteien mitbedient, "the real thing" gibt es aber nur bei der FDP. Das soll nicht heißen, dass die Reduktion der "Marke" FDP auf Steuersenkung als Allheilmittel richtig war - sie hat damit aber 10 Jahre lang die anderen Parteien vor sich hergetrieben... Das war ein wichtiger Impuls. Die Verkürzung ist der politisch notwendigen Zuspitzung geschuldet, wird aber natürlich dem intellektuell anspruchsvollen und letztlich sehr positiven Menschenbild der FDP und der darauf aufbauenden Grundidee des eigenverantwortlichen freien Bürgers in einem subsidiär organisierten (Sozial-)Staat nicht gerecht. Wer Rösler und Lindner die letzten Jahre mal gehört/gelesen hat, weiß (wenn er es nicht ignorieren will), dass die FDP seit geraumer Zeit unter dieser Verkürzung leidet und sie als Sackgasse sieht. Der Markt regelt eben nicht alles, diese Selbstverständlichkeit (die FDP ist ordoliberal nicht libertär!) muss auch dem kleinen Kreis von Anhängern der reinen Lehre spätestens mit der Bankenkrise klar geworden sein.

     

    Wie dem auch sei. Die FDP wird es in Deutschland geben, solange der politische Liberalismus keine andere glaubwürdige Alternative hat. Die Grünen sind sicher keine, auch wenn sie der FDP diesmal ein paar Wechselwähler abgejagt haben.

     

    PS: "...vor dem Plebs, der die gepflegten Vorgärten zertrampelt..." Es ist DIE Plebs.

  • HZ
    H. Zimmerhackel

    Schon zu Genschers Zeiten hatte sich die FDP dem Neoliberalismus verschrieben in der Kohl-Genscher-Regierung. Unsichere Zeitarbeitsstellen für Arbeitnehmer ohne feste Absicherung, geringer Lohnabstand zu Transferleistungen wie damals Sozialhilfe heute Hartz IV, Auflösung der Deckungsreserve für Rentenzahlungen, und eine ganze Reihe an Abbau von Arbeitnehmerrechten wurde durch die FDP forciert und angetrieben. Ich hatte sie eigentlich damals schon überflüssig gefunden. Dass auch ihre ehemaligen Wähler leider erst jetzt zu merken scheinen, auf welch tönernen Füßen eine Wirtschaftspolitik steht, die sich nur an den Reichen orientiert, lässt mich dennoch zweifeln: Das wichtigste Klientel der FDP (Unternehmerverbände, Großbanken, etc.pp.) hat bei CDU und CSU noch immer dafür gesorgt, dass eine Leihstimmenkampagne für die FDP erfolgreich ist, auch wenn sie überflüssig für die Gesellschaft ist wie ein Kropf.

  • SO
    Strikte Observanz

    FDP ist tot, zum Glück!

     

    Es lebe DIE FREIHEIT!

  • D
    daweed

    Sehr gut erkannt.

     

    Mir schien in letzter Zeit schon länger so, als wäre selbst die Linkspartei liberaler als die FDP.

    Mag aber an der vorhandenen Meinungsvielfalt liegen.

     

    Und wenn die FDP sich nicht ändert, wird das Ergebnis die Bedeutungslosigkeit sein!

  • KW
    Kurt W. Fleming

    Zur endgültigen Aufklärung:

     

    FDP bedeutet F(ast) D(rei) P(rozent)!

     

    Diese Partei ist auf dem allerbesten Wege, zu diesen Ursprüngen zurückzukehren.

    Was die FDP an Politik anbietet, finden wir, wenn auch leicht modifiziert, in den Parteien wieder wie: CDU/CSU, SPD und Grüne.

    Insoweit ist diese Partei wirklich überflüssig!

  • HL
    Hauke Laging

    "Verteidigung von Kapitalinteressen" – Immer wieder lustig, das zu lesen. Man muss sich mal klar machen, dass die Klischeewählerschaft der Pünktchenpartei – Ärzte, Anwälte, Apotheker – die sozialistische Enklave in Deutschland darstellen. Quasi staatlich beschlossene Einkommen, minimaler Bezug zur Leistung, staatliche Verhinderung von Transparenz und Wettbewerb. Absolut zum Totlachen, dass die FDP sich immer zum Thema "Leistungsgerechtigkeit" aufbläst.

     

    Dass die FDP in diesem Sinn natürlich käuftlich ist, und eine Million Parteispenden schon mal gegen eine Milliarde Steuererleichterung tauscht, passt ins Bild, macht aus der FDP aber keine Verteidigerin von Kapitalinteressen. Es ist eine Raffkepartei. Ganz unabhängig von Kapital.

     

    Das hat übrigens den angenehmen Nebeneffekt, dass sie sich (in ihrer derzeitigen politischen Ausrichtung) quasi auslöst, sobald wir unser Gesundheits- und Unrechtwesen endlich mal aufgeräumt haben.

  • EA
    Enzo Aduro

    Nein eine liberale Partei braucht es in Deutschland. Eine Partei die darauf achtet das ordentliche Ordnungspolitik gemacht wird. Eine Partei die nachrechnet und Dinge offenlegt wie

    - Solarstrom bringt in Deutschland nichts - nur subventionierte Firmen und fröhliche Zahnärzte

     

    oder

    -Einwegpfand PET-Flaschen ist nicht schädlicher für die Umwelt als Mehrweg-Glasflaschen oder oder oder.

     

    Aber solange die FDP freunde der Apotheken oder anderer Partikularinteressen ist, hat sie keinen weiteren Zweck.

     

    Die FDP steht momentan eher für den Kapitalismus nicht für die freie Marktwirtschaft. Und das sind zwei Pole einer Skala.

     

    Die Grünen können die FDP leider nur zum Teil ersetzen, so wie es zwischen allen Parteien überschneidungen gibt.

     

    Ich zum Beispiel bin für CO2-Armes günstiges Fleisch aus Massentierhaltung und habe keine grundlegenden Promleme mit der Gentechnologie, insbesondere für Energiepflanzen. Ich bin gegen Landwirtschaftssubventionen, sowohl für Bio als für konventionelle Bauern. Das steht doch alles diametral gegen die Grünen.

     

    Aber da man weder den Seeheimer Kreis der SPD, noch den Dahrendorfkreis der FDP wählen kann, und die CDU wegen ihres Konservativen Backgrounds komplett rausfällt, zähle ich mit zu der Masse die die Grünen bedient.

     

    Die FDP kann und müsste sich ganzheitlicher -was letztenendes auch linker heißt- aufstellen. Ganz einfach weil sie so nur stimmen gewinnen kann, die CDU Leihstimmen sind ja längst wieder weg. Die FDP würde die wirtscgaftsfreundlichste Partei bleiben und dieses in einer vielzahl Koalitionen einbringen können.

     

    Das Hotellings Gesetz bzw. Eisverkäufer-am-Strand-Problem erklärt weiteres. Gerade eine Marktwirtschaftspartei sollte das doch durchblicken :-)

  • M
    merk

    Sehr geehrter Herr Semler,

     

    die Grünen sind schon überall da? Und wo waren die Grünen, als Schily nach Nine Eleven unseren Rechtsstaat verkauft hat? Etwas mehr Sachlichkeit würde Ihrem Artikel gut tun - denn in puncto Bürgerrechte haben sich die Grünen in den letzetn Jahren wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Und genau da liegt auch die Chance der FDP- wenn nicht die Piraten dieses Feld bestellen!

  • L
    Lars

    Ich halte es auch für möglich, dass die FDP künftig rechtspopulistisch eindreht, um nicht als Splitterpartei zu enden. Doch das wird sicherlich erst nach Rösler passieren. Dazu auch: http://www.larsgeiges.de/2011/04/06/fdp-populismus/