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Debatte ExtremismusBlindes Staatsvertrauen

Kommentar von Eberhard Seidel

Der Verfassungsschutz mischt sich in die Debatte um den Islam ein. Das ist offensichtlich von der Politik gewollt, widerspricht jedoch seinen Aufgaben. Viele Journalisten stört das nicht.

D er Verfassungsschutz (VS) bekämpft heute neben Rechts- und Linksextremisten auch Islamisten. Das ist gut so, und deshalb haben viele einstige Skeptiker inzwischen ihren Frieden mit der Behörde gemacht. Selbst die Grünen fordern nicht mehr, den Nachrichtendienst einfach abzuschaffen.

Leider ist damit auch jede Kritik am Verfassungsschutz verstummt. Das ist fatal. Denn tagtäglich überschreiten seine Mitarbeiter ihre Grenzen - in den Schulen und im öffentlichen Diskurs. Und ganz offensichtlich wird das von der Politik auch so gewollt.

Früher war der Verfassungsschutz ein Instrument im Kalten Krieg, nach dem Fall der Mauer hat er sich zivilisiert. Doch seit ein paar Jahren gehen Mitarbeiter der Verfassungsschutzämter wie selbstverständlich in Schulen, in Jugendzentren und in der Lehrerfortbildung ein und aus. Nicht etwa um über ihre Arbeit zu informieren. Sie kommen vor allem als Referenten, um Kinder und Jugendliche sowie Lehrerinnen und Lehrer über Rechts- und Linksextremismus wie über den Islamismus zu unterrichten.

EBERHARD SEIDEL

ist Journalist und Geschäftsführer von "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage". Mit Sanem Kleff veröffentlichte er jüngst: "Stadt der Vielfalt. Das Entstehen des neuen Berlin durch Migration".

Republikanisch betrachtet, ist das längst nicht mehr in Ordnung, sondern ein Verstoß gegen geltendes Recht. Denn in Paragraf 3 des Bundesverfassungsschutz-Gesetzes sind die Aufgaben des Verfassungsschutzes klar geregelt. Sie lauten: "Sammlung, Auswertung von Informationen, Nachrichten und Unterlagen über Bestrebungen, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten." Von politischer Bildung ist da nicht die Rede.

Problematisch wird es, wenn zugleich klassische Träger der politischen Bildung ihre Arbeit aufgrund von Mittelkürzungen nicht mehr wie gewohnt leisten oder gar ganz einstellen müssen. In einer funktionierenden Demokratie gibt es bewährte Institutionen und Träger der politischen Bildung: Dies sind die Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung, die Schulen und Universitäten, die Arbeiterbildungsvereine, kirchliche und gewerkschaftliche Bildungseinrichtungen, parteinahe Stiftungen, Jugendverbände und Vereine. Der Gesetzgeber hat klar zwischen nachrichtendienstlichen und bildungspolitischen Aufgaben getrennt. Bei dieser Aufgabenteilung sollte es bleiben.

Doch in der Debatte rund um die Themen Islam und Islamismus spielt der Verfassungsschutz inzwischen eine mehr als dominante Rolle. Verwunderlich ist dies nicht, schließlich arbeiten in Deutschland heute mehr Islamwissenschaftler in den Nachrichtendiensten als in der Wissenschaft. Diese Militarisierung der Islamwissenschaften hat fatale Folgen. Denn viele Journalisten verzichten inzwischen gänzlich auf eigene Recherchen und beschränken sich darauf, als willige Lautsprecher der Dienste zu dienen. An die Stelle der kritischen Berichterstattung tritt die Kolportage: Wenn das Innenministerium im soeben erschienenen Verfassungsschutzbericht 2009 schreibt, "das islamistische Personenpotenzial" sei "mit 36 270 Mitgliedern / Anhängern leicht angestiegen", dann steht auf Zeit Online oder in der Süddeutschen Zeitung: "36 000 Personen stehen radikalen islamistischen Gruppen nah."

Eine solche Meldung weckt Ängste - aber sie ist falsch. Denn von den 36.000 "radikalen Islamisten", die der Verfassungsschutz gezählt hat, gehören 29.000 Mitglieder der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) an. Und die ist nicht radikal, sondern gewaltfrei und "legalistisch", wie selbst im Kleingedruckten des Verfassungsschutzberichtes zu lesen ist.

Tatsächlich konnte der Milli-Görüs-Bewegung in Deutschland trotz jahrelanger Beobachtung bislang nicht nachgewiesen werden, dass sie zur Gewalt aufruft oder je dazu aufgerufen hat. Deswegen wirft ihr der Verfassungsschutz nur schwammig vor: "Ihre auf Stärkung der eigenen religiösen und kulturellen Identität und Bewahrung vor einer Assimilation an die deutsche Gesellschaft ausgerichteten Bestrebungen scheinen jedoch geeignet, die Entstehung und Ausbreitung islamistischer Milieus in Deutschland zu fördern." Diese Einschätzung mag richtig sein, sie ist aber auch reichlich vage. Ähnliches ließe sich wohl auch über die ein oder andere christlich-, hinduistisch- oder jüdisch-fundamentalistische Gruppe sagen. Warum diese, anders als Milli Görüs, keinen Eingang in den VS-Bericht finden, erschließt sich nicht so recht.

Politisch mehr als dumm

Man kann Milli Görüs für durch und durch unsympathisch, korrupt, moralisch zweifelhaft, reaktionär oder gar tendenziell antisemitisch halten. Dennoch bleibt festzuhalten: An diesem Umgang mit der Organisation stimmt etwas nicht. "Verfassungsfeind!" - wem dieses Label angehängt wird, der trägt so etwas wie ein gesellschaftliches Kainsmal. Tatsächlich werden unbescholtenen Mitgliedern von Milli Görüs mit dem Verweis, ihr Verband werde im Verfassungsschutzbericht erwähnt, der Dialog und ein respektvoller Umgang, manchmal auch Arbeitsplätze und vieles mehr versagt.

Im März wurde der von Milli Görüs dominierte Islamrat sogar von der Islamkonferenz ausgeschlossen. Innenminister Thomas de Maizière verweigerte das Gespräch und berief sich dabei auf laufende Ermittlungsverfahren gegen einzelne Funktionäre sowie die Nennung im aktuellen Verfassungsschutzbericht. Solch eine Kontaktsperre ist nicht nur demokratisch fragwürdig, sondern politisch mehr als dumm. Denn der Islamrat ist nicht nur umstritten, sondern auch der vielleicht wichtigste Dachverband der Muslime in Deutschland. Und ohne Milli Görüs wird es keine Integration des Islam, schon gar keine Integration reaktionärer und wertkonservativer Muslime geben. Deshalb gibt es keine Alternative zur streitbaren gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Milli Görüs, bei der es um die unhinterfragbaren Grundlagen des Zusammenlebens in Deutschland geht.

Es ist an der Zeit, dass sich die Öffentlichkeit wieder an ein paar republikanische Grundsätze erinnert. Der eine lautet: Politische Bildung ist keine Aufgabe von Nachrichtendiensten. Der zweite: Die Integration von umstrittenen, aber gewaltfreien Organisationen kann nicht gelingen, indem man sie durch die Geheimdienste stigmatisiert.

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10 Kommentare

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  • J
    Jorg

    Ich finde es unmöglich, dass hier Leute die IGMG mit den Nazis vergleichen. Das zeugt von Unkenntnis oder wir haben es hier mit PI-News-Nazis zu tun, die nicht sehen, dass sie selbst Nazis sind. Bisher ist mir und den Medien, ja noch nichtmals der Bild-Zeitung bekannt, dass IGMG-Mitglieder Menschen verprügeln, Leute in Gerichtsälen erstechen oder diskriminierende Plakate aufstellen. Wer schuldig ist, haben wir nicht zu entscheiden, sondern Gerichte. Solange ein Gericht kein Urteil abgelegt hat, ist man in Deutschland unschuldig.

     

    Dass der Verfassungsschutz jahrelang eine Organisation beobachtet und bisher es nicht geschafft hat, gerichtlich dagegen vorzugehen, heißt für mich, dass der Verfassungsschutz nichts gegen sie in der Hand hat.

     

    Was hat der Verfassungsschutz mit Integration zu tun?

     

    @Hatem: Wie kommen Sie darauf, dass die IGMG SICH nicht integrieren WILL? Haben Sie je mit einem IGMG-Funktionären gesprochen?

  • V
    vic

    Völlig in Ordnung, dieser Artikel. Der VS hat, ebenso wie Bundeswehr, Kirchen und Parteien, an Schulen und jeglichen Bildungseinrichtungen nichts verloren.

    Ferner ist die gleichzeitige Mittelstreichung, bzw. kürzung ein Skandal.

    Nur ein Fehler sticht leider auch hier in`s Auge. In mein Auge, pardon.

    Islamische Einrichtungen sind (im Volksmund) nicht mit Islamistischen gleichzusetzen.

    Obwohl ich an dieser Stelle betonen möchte, dass die Wortschöpfung "islamistisch" für mich auch nicht anders klingt als "christlich".

  • I
    Irm

    @12.07.2010 05:28 Uhr:

    gelderlander:

     

    Schauen Sie mal in den Geschichtsbüchern nach: Nazis und islam. Führer haben gerne zusammen "gearbeitet".

     

    Warum?

    Beide Ideologien haben faschistische Ziele! Beide Ideologien hassen Juden und Israel. Und deshalb benutzt Jeder den Anderen, bis.... Nun, die Zukunft wird es zeigen!

  • S
    Samir

    Herr Seidel, wenn Sie sich schon so wissend und differenzierend geben, dann sollten Sie auch wissen, dass der Bundesinnenminister THOMAS und nicht Lothar de Maizère heisst.

     

    Ferner ist es eine Schande für das Demokrativerständnis in unserer Republik, wenn Sie die Anstrengungen und Bemühungen der VS-Behörden, die um Aufklärung auch im Bildungsbereich- bemüht sind nicht gutheissen sonder schlecht reden! Wie sollten froh sein, dass inzwischen auch innerhalb der Sicherheitsbehörden qualifiziertes Personal sitzt, das an Aufklärung und nicht an Panikmache interessiert ist!!!

     

    ...aber anscheinend gibt es hier immer irgendjemanden, der sich aus Profilierungsgründen "kritisch" äußern muss...

     

    Was die IGMG angeht sollten sie etwas kritischer sein und eher mit Lösungsansätzen als mit bloßer Kritik ankommen...das würde man zumindest als "konstruktiv" bezeichnen können...

  • N
    Nemo

    herr seidel, mit verlaub, schreiben sie ihre einseitig idiologisch eingefärbten kommentare bitte in zukunft auf islam.de oder besser gleich beim muslim markt. da gehören islamisten versteher und schönredner wie sie nämlich hin!

  • A
    Amos

    Man braucht die Spy-Oransisationen nicht, wenn man verfassungskonforme Politik macht. Aber wie man mittlerweile kapiert hat, scheint diese Verfassung nur eine Schönwetter- Verfassung zu sein, die bei schlechtem Wetter massakriert wird, weil die Kassenlage

    bestimmend ist. Z.B.: Eigentum verpflichtet oder Jeder ist vor dem Gesetz gleich. Allein diese beiden Artikel,

    werden längst nicht mehr von der Obrigkeit akzeptiert, obwohl sie diese bei "Schönwetter" selbst ins Grundgesetz eingaben. Die vom Verfassungsschutz beobachtet werden müssten,- die werden es nicht. Denn das Unheil kommt von oben,-von jeher.

  • H
    Hatem

    "Die Integration von umstrittenen, aber gewaltfreien Organisationen kann nicht gelingen, indem man sie durch die Geheimdienste stigmatisiert."

     

    Die Integration von solchen Organisationen kann vor allem dann nicht gelingen, wenn diese Organisationen und ihre Mitglieder SICH nicht integrieren WOLLEN.

     

    Und an der Integrationswilligkeit der MG und vieler ihrer Mitglieder darf man echte Zweifel haben.

  • G
    gelderlander

    Wer schützt eigentlich die Verfassung vor wahnsinnigen Politikern, sdie selbige immer wieder beschneiden? Wer schützt die Verfassung vor dem Verfassungsschutz?

     

    Wie kommt Herr Fromm dazu, zu haluzinieren, das Islmisten und Nazis gemeinsame Sache machen? Ist ihm noch nicht aufgefallen, das Nazis den Islam als Todfeind sehen?

  • K
    kto

    Eberhard Seidel sollte sich zum Thema Extremismus nicht so exponieren, wenn er schreibt:

     

    "Von den 36.000 'radikalen Islamisten', die der Verfassungsschutz gezählt hat, gehören 29.000 Mitglieder der 'Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs' (IGMG) an. Und die ist nicht radikal, sondern gewaltfrei und 'legalistisch'".

     

    Dann weiß ich jetzt endlich, dass für Seidel wohl auch die NPD nicht "radikal" ist, weil sie, zumindest programmatisch, den legalistischen Weg beschreitet. Es geht nicht um eine Radikalität in den Mitteln, sondern um eine der Ziele. Da schenken sich, jede auf ihre Weise, die IGMG und die NPD nichts.

     

    Selten, dass ein eigentlich kluger Kopf wie E.S. sich so blamiert.

  • K
    Kalle

    Den meisten Rechten kann man auch nicht nachweisen das sie extremistisch sind, soll man die auch einfach gewähren lassen bis was passiert?