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Debatte EurozonenkriseWeniger Europa ist mehr

Kommentar von Alexis J. Passadakis

CDU, SPD, FDP und Grüne fordern als Antwort auf die Eurozonenkrise mehr Macht für Brüssel. Für ein „soziales Europa“ ist das genau falsch.

E ine stärkere Integration der EU, bei der weitere nationalstaatliche Kompetenzen auf die supranationale Ebene transferiert werden, steht ganz oben auf einer über Parteigrenzen hinweg verfolgten Agenda: Mehr Europa, lautet die Antwort von der FDP bis zu den Grünen auf die Eurozonenkrise.

Gleichzeitig wurde im Zuge der FDP-Debatte um den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ein explizit chauvinistischer Pol sichtbar – inklusive D-Mark-Nostalgie und direktdemokratisch verkleidetem Nationalismus.

In diesem Konflikt zwischen „mehr EU“ und chauvinistischer Renationalisierung sind die Perspektiven progressiver Bewegungen für ein „soziales Europa“ an den Rand gedrängt. Wie können Gewerkschaften und soziale Bewegungen erfolgreichen Widerstand gegen die rasante Zurichtung der EU zu einer autoritären Austeritätsunion organisieren?

Bild: privat
Alexis J. Passadakis

hat französische, deutsche sowie griechische Wurzeln. Er ist Politikwissenschaftler und Mitglied im Rat von Attac.

Getarnte Hilfe für die Banken

Seit dem Beginn der Krise in der Eurozone haben die Regierungen in der EU eine doppelte Linie verfolgt: Mit als „Hilfe“ an Staaten getarnten Rettungspaketen wurden Milliarden in den maroden Bankensektor gelenkt. Zugleich wurde die Chance erkannt, Haushalts- und Lohnkürzungen durchzusetzen und soziale Rechte abzubauen. Und zwar in einem Maße, wie es in den vergangenen 30 Jahren neoliberaler Umstrukturierung kaum möglich erschien.

In dem von der Troika, also von EU-Kommission, IWF und EZB kontrollierten Griechenland gehört – um nur ein Beispiel zu nennen – die Tarifautonomie bereits der Vergangenheit an. Motor der dahinterstehenden Politik ist insbesondere auch die Bundesregierung. Deren Strategie zielt auf eine dreifache Machtverschiebung:

Erstens sollen die Kräfteverhältnisse in den einzelnen Ländern zuungunsten von Gewerkschaften, öffentlichem Sektor sowie LohnempfängerInnen verschoben werden, die durch massive Kürzungen unter Druck gesetzt werden. Zweitens wird diese Politik des Sozialabbaus durch neue Regelsetzungen auf der europäischen Ebene dauerhaft festgeschrieben, wie etwa die deutsche „Schuldenbremse“ supranational verallgemeinert wird.

Das führt dazu, dass auch in anderen Ländern zivilgesellschaftliche Akteure und nationale Parlamente kaum Spielräume haben, einen Politikwechsel einzuleiten. Drittens verfolgen die deutschen Eliten die Strategie, die EU neu zu hierarchisieren und den Einfluss Berlins substanziell auszubauen.

Die EU wird so einer autoritären Transformation unterworfen. In Ländern wie Portugal und Irland ist die Demokratie bereits durch die Troika suspendiert. Neue Verträge wie der ESM stehen außerhalb der EU-Entscheidungsverfahren und untergraben nationale Verfassungen. Vor allem der Fiskalpakt überträgt das „Königsrecht“ der jeweiligen Parlamente, das Budgetrecht, zu wesentlichen Teilen auf ein demokratisch kaum legitimiertes supranationales Organ der Exekutive, nämlich die EU-Kommission.

Der Fehler von SPD und Grünen

In Deutschland wird dieser Kurs von einer ganz großen Koalition mitgetragen – die beiden Regierungs- und die beiden größeren Oppositionsfraktionen sind sich im Wesentlichen einig. Darüber können auch die Diskussionen über Zugeständnisse nicht hinwegtäuschten, welche SPD und Grüne für ihr Ja zum Fiskalpakt einfordern. Denn selbst wenn Rot-Grün durchsetzen könnte, dass eine Finanztransaktionssteuer und Wachstumsimpulse den Fiskalpakt flankieren, würde dies nichts anderes bedeuten, als demokratische Kompetenzen des Parlaments sowie soziale Rechte für ein Linsengericht zu verkaufen.

SPD und Grüne versuchen sich von der Bundesregierung programmatisch abzusetzen, indem sie die Krisenlösungsparole „Mehr Europa!“ um soziale und demokratische Vorzeichen erweitern. Im Kern zielt ihre Politik auf eine moderat keynesianisch ausgerichtete europäische Wirtschaftsregierung und die Demokratisierung der EU-Institutionen, vor allem durch eine Stärkung des Europäischen Parlaments.

Eines aber wird dabei unterschlagen: Nie war der Kontinent weiter von einer demokratischen EU und einem „Europäischen Sozialmodell“ entfernt als heute. Deshalb bieten auch die rot-grüne Varianten einer stärkeren Integration keine Alternative. SPD und Grüne können nicht schlüssig erklären, welche politischen Kräfte absichern sollen, dass die weitere Übertragung von nationalstaatlicher Souveränität auf die europäische Ebene einem wie auch immer gearteten sozialen und demokratischen Kurs folgt.

Ein Kooperatismus mit starken Gewerkschaften und Sozialverbänden, der bis in die 1980er Jahre ein Pfeiler des Wohlfahrtsstaates war, ist heute nicht greifbar – angesichts der Schwäche der Gewerkschaften zeichnet sich eine Renaissance nicht einmal an einem fernen Horizont ab. Soziale Bewegungen über Ländergrenzen hinaus bringen derzeit – trotz erster Ansätze – nicht das nötige politische Gewicht auf die Waage.

Chance für neue Bündnisse

Wenn aber die Dynamik der EU-Integration auf eine Verschärfung des neoliberalen Projekts zugunsten der Reichen hinausläuft, werden sich Linke nicht nur gegen chauvinistische Strömungen positionieren müssen. Sondern auch gegen den supranational orientierten Block, der „mehr Europa“ propagiert und dabei die Abwicklung sozialer und demokratischer Rechte durchsetzt.

Widerstand dagegen heißt vor allem: eine Blockadestrategie auf dem nationalstaatlichen Terrain gegen weitere Schritte europäischer Integration. Soziale Bewegungen können dabei auf ihre Erfahrungen aus den transnational koordinierten „Non!“-Kampagnen gegen den Lissabon-Vertrag schöpfen.

Ein solidarischer Entwicklungspfad kann nicht mittels, sondern nur gegen die EU-Institutionen durchgesetzt werden. Für aus guten Gründen auf europäische Zusammenarbeit setzende Linke mag dies keine einfache Erkenntnis sein. Doch sie eröffnet gerade jetzt, wo sich die Krisendynamik zuspitzt, auch die Möglichkeit für neue Bündnisse. Der Protest gegen den Fiskalpakt und die Selbstentmachtung der Parlamente ist ein erstes Testfeld für eine solche Neupositionierung.

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4 Kommentare

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  • J
    Jan

    Guter Kommentar, Herr Passadakis.

     

    Wir können nicht erwarten das konsolidierte Macht (und damit der Euro) gut für die Leute ist. Die Macht muss weitgehend dezentral organisiert sein um Misbrauche zu vermeiden.

     

    Mehr Europa = weniger Demokratie

     

    Wir brauchen mehr regionale Währungen. Eine einzige Währung ist sehr schlecht für Europa, weil Wettbewerbsfähigkeit nicht nur vom "guten Willen" der Bürger abhängt. Rein geographisch betrachtet sind periphäre Staaten einer Währungsunion benachteiligt.

     

    Regionalwährungen fördern die regionale Wirtschaft, schöpfen Arbeitsplätze, usw. und sie werden nicht von Eliten beherrscht und manipuliert.

     

    Viele Leute verstehen nicht, dass der Dollar eine Privatwährung ist, und der FED ein Privatgeschäft. Dass die Politiek jemals sowas zugelassen hat, und die Medien davon nie berichten, zeigt dass wir von Maffiosi regiert werden und die Bevölkerung in der Schule eine Gehirnwäsche unterzogen wird.

  • A
    Alexander

    Leider sehr selten zu lesen in Deutschland, dass der deutsche Loesungsweg fuer die Eurokrise eine ganze Menge Nebenwirkungen hat. Alexis' Kommentar wirft deshalb Licht auf ein paar wichtige Problemfelder. Die wichtigste Beurteilung liegt wohl in der zutiefst undemokratischen Macht der EU Kommission und derer Organe. Auch das de facto Eingreifen des deutschen Nationalstaates in die Belange anderer EU-Nationalstaaten ist zutiefst fragwuerdig. Es ist keine Frage, dass der lobbygesteuerte Kommissionsmastodont kein Interesse an einer sozialen Ausrichtung der Reformen hat. Stimmt auch, dass selbst eine stærkere demokratisierung des EU Systems mit stærkerer Einbindung des EU Parlaments zur Zeit kaum etwas bræchte - aber das ist wohl eher dehalb der Fall, weil die Wæhler sich fuer eine sozialfeindliche Zusammensetzung des Parlamentes entschieden haben. Ein linkeres/sozialeres EU Parlament wuerde eher auf die soziale Balance achten als die momentane Zusammensetzung. Dies ist also (abgesehen davon, dass das Parlament zur Zeit nicht genuegend Einflussnahme hat) ein rein politische Frage! Ein Soziales/linkes System læsst sich nicht aufbauen ohne soziale/linke Entscheidungstræger.

    Genau das gleiche Problem besteht bei der Frage der Beteiligung der Gewerkschaften am "System". Der Zusammenbruch dieser kam vor allem zustande, weil die Mitglieder die (politische) Zustimmung entzogen. Umgekehrt kann auch die beste Systemreform nicht die Macht der Gewerkschaften wiederherstellen - die Menschen ihnen beitreten, zustimmen und aktiv in ihnen sein.

    Ergo: Das Momentane Dilemma muss vor allem einem angelastet werden, næmlich dem europæischen Buerger. Er hat soziale Belange vernachlæssigt, die falschen Politiker in nationale und europæische Gremien gewæhlt und die falschen Strukturen im lobbysystem unterstuetzt. Die systemischen Unzulænglichkeiten in Europa verstærken den politischen Willen.

  • PP
    Peter Pander

    Und...?

     

    Was können wir dagegen tun?

     

    Wir sind ein Volk von hirngewaschenen Schluffis, die alle noch glauben, dass die Politik es richten wird.

     

    Sie wird es richten! Uns alle! Hin!

  • L
    Larry

    Die lassen die Banken entscheiden, die lassen die Industrie entscheiden, jetzt will man dass Brüssel entscheidet. Können die auch selbst mal was entscheiden? Jeder Blöde will in die Politik-, kann aber nichts erreichen: außer seine Pfründe sichern.