Debatte Eurobonds: Schlagseite des Eurobonds
Auch wenn es auf den ersten Blick so erscheinen mag: Eine europäische Schuldenagentur ist keine Lösung für die gegenwärtige Finanzkrise.
U nter progressiven Denkern scheint es aktuell zum guten Ton zu gehören, sich mit einiger Verve für Eurobonds auszusprechen. (Nicht zuletzt in vielen Beiträgen der taz). Aber nicht jede Art von straffer Knebelung verschafft allen immer Lust, manchmal tut es manchen auch einfach nur weh.
Man kann Eurobonds aus drei Gründen sehr skeptisch gegenüberstehen. Der erste Einwand sind ungeklärte verfahrenstechnische Fragen. Wer soll eigentlich bestimmen wie viel ein Land an Eurobonds bekommen soll? Dazu liest man wenig. Bisher ist die Staatsverschuldung nationale Sache, die durch die bekannten zwei Grenzziehungen seitens der EU-Verträge limitiert wird: in der Summe nicht mehr als 60 Prozent des BIP und 3 Prozent davon bei der Nettoneuverschuldung.
Nun sind diese Schranken in der Finanzkrise so gut wie überall gerissen worden. Und die EU-Kommission versucht Schadensbegrenzung, indem ein Pfad des langsamen Abschmelzens zu den alten Werten definiert werden soll. Wie müsste man sich die Verteilung der Eurobonds vorstellen, soll etwa auch hier die Kommission (ein bekanntlich wenig demokratisches Gremium) entscheiden, wie viele Kredite ein Land zukünftig aufnehmen darf? Das wäre eine extreme Entmachtung nationaler Politik.
Eine Alternative stellt die Fixierung einer Untergrenze dar. Jean-Claude Juncker hat vorgeschlagen, dass durch Eurobonds maximal ein Umfang von 40 Prozent des jeweiligen BIP abgedeckt werden sollen. Aber das würde etwa Griechenland gar nicht wirklich helfen. Denn wenn es für den - erheblichen - Rest weiter Fantasiezinsen zahlen muss, bleibt es auch mit Eurobonds ein Pleitekandidat. Und was passiert, wenn die griechischen (oder irischen oder …) Abgeordneten die Faxen der aufgezwungenen Austeritätspolitik einmal dicke haben und ihren Anteil bei den Eurobonds einfach nicht mehr zahlen? Selbst wenn die EU dann ihre sonstigen Zahlungen einstellen würde, das dürfte sich immer noch lohnen. Diese Gefahr erklärt, warum die US-Bundesstaaten, die ja auch eine Währungsunion darstellen und hohe Zinsdifferenzen unter sich aufweisen, für ihre Schulden eben nicht wechselseitig haften mögen.
"No-Bail-out"-Klausel
Dann ist da noch ein zeitliches Problem. Eurobonds sind einfach kein kurzfristig geeignetes Mittel, die Kreditkrise mehrerer Länder der EU in den Griff zu bekommen. Ihre Einführung verlangt nichts weniger als eine Änderung des Europavertrags.
Volkswirt und Soziologe, ist Professor an der Universität Flensburg in den European Studies und Vorsitzender des Arbeitskreises Politische Ökonomie.
Im Moment können die Hilfen für Griechenland, Irland und Portugal noch über den Artikel 122 abgewickelt werden, der den finanziellen Beistand im Falle außergewöhnlicher Ereignisse erlaubt. Mit Eurobonds, die ja allen Mitgliedern der Eurogruppe auch im Nichtkrisenfall als eine Art Standardeinnahme zur Verfügung stehen sollen, ist eindeutig Artikel 125 angesprochen. Und da heißt es nun wenig auslegbar klar ausgedrückt, dass die Union nicht für die Verbindlichkeiten der Mitgliedstaaten haftet. Das ist die berühmte "No-Bail-out"-Klausel aus dem Maastricht-Vertrag, ohne den es mit hoher Wahrscheinlichkeit den Euro nie gegeben hätte.
Ein zur Einführung von Eurobonds nötiges Vertragsänderungsverfahren zur Änderung oder Aufhebung dieses Artikels, das von allen Mitgliedstaaten mit positivem Ergebnis durchgeführt werden muss, dauert aber Jahre. Und das Ergebnis für ein solches Vorhaben wäre bei mittlerweile 27 Staaten noch dazu durchaus ungewiss. Denn man kann drittens auch politisch ein großes Fragezeichen hinter dieses Projekt setzen. Eurobonds bedeuten, dass die Länder der Eurozone kollektiv Anleihen zu einem dann gemeinsamen Marktzins ausgeben.
Da unter den Staaten aber solche mit sehr guter wie mit sehr schlechter Bonität sind, wird es für manche Länder eine signifikante Zinssenkung, für andere aber eine Zinssteigerung bedeuten. Für Deutschland lautet eine Schätzung, dass hier jährlich um 17 Milliarden Euro höhere Zinslasten anfielen. Der aktuelle Versuch der schwarz-gelben Regierung, eine Steuersenkung durchzusetzen ist auf breite Ablehnung gestoßen. Die berechtigte Kritik: Das Staatswesen in Deutschland ist magersüchtig geworden, und einen weiteren Abfall im Umfang und in der Qualität öffentlicher Daseinsvorsorge wollen viele Bürgerinnen und Bürger nicht mehr sehen.
Wo bleibt die Demokratie?
Wer also 17 Milliarden jährlich mehr ausgeben möchte, sollte durchaus auch eine Idee haben, wie dies zu finanzieren wäre. Und sollte auch Argumente gegenüber dem Einwand bereit haben, ob wir mit diesen dann generierten zusätzlichen Einnahmen nicht besser hier etwas unternehmen sollten wie: bessere Bildungsangebote, höhere Hartz-IV-Sätze, eine noch stärkere Förderung erneuerbarer Energie.
Dieser Betrag wäre also eine weitere Transferleistung von Ländern bester Bonität wie Deutschland, Frankreich, die Niederlande an andere Eurostaaten, von Irland bis Italien. Das kann man natürlich durchaus auch befürworten. Schließlich sind die großen europäischen Programme wie der Kohäsionsfonds oder der Sozialfonds ebenfalls Transferzahlungen, bei denen die wohlhabenderen Länder bewusst netto draufzahlen. Aber es wäre bei den Eurobonds eine Leistung, die weder demokratisch unter Mitwirkung des Europäischen Parlaments gestaltet wird, noch für die eine Gegenleistung vorgesehen ist.
Wenn schon Transferausweitung und wenn schon Änderung der Verträge, dann bitte künftig auch Mitwirkung etwa der Art, dass die Steuersysteme in den begünstigten Ländern in Ordnung gebracht werden. Dass nicht mehr Irland für Kapitalgesellschaften eine Steueroase bleibt und in Griechenland gut verdienende Selbstständige sich der Besteuerung entziehen können. Solche Gegenleistungen wird man aber nicht bekommen, wenn über Eurobonds der Transfer nur indirekt statt direkt über ein Budget stattfindet. Da die demokratische Gestaltung außen vor bleibt, sind Eurobonds eigentlich gar kein progressives Projekt. Es wäre wirklich ein wenig zu viel des Masochismus, wenn man von Deutschland aus etwa die Regierung Berlusconi mitsubventionieren würde, ohne sich wenigstens eine politische Mitsprache über die Gestaltung der Verhältnisse in Italien dafür einzukaufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben