Debatte Euro-Krise: Totalausfall in Brüssel
Unter Präsident Barroso tut die Europäische Kommission zu wenig, um die gebeutelte Gemeinschaftswährung zu retten. Ihr fehlt der Mut dazu.
P ünktlich zum Ende der Brüsseler Sommerpause hat der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, eine Videobotschaft versandt. Darin erklärt er, seine Kommission arbeite hart an einem Weg aus der Finanz- und Wirtschaftskrise.
Nur: Wo war seine Behörde in den vergangenen Monaten, als sich alle den Kopf zerbrachen, wie der Euro und damit letztendlich auch die Europäische Union zu retten sind? Die Brüsseler Kommission hat einen Totalausfall beim Management der wohl größten Krise der Gemeinschaft seit der Gründung 1950.
Die Kommission hat sich in den letzten Monaten weitgehend darauf beschränkt, Aufträge der EU-Mitgliedsstaaten beziehungsweise der Eurogruppe auszuführen. So haben Experten der Generaldirektion Wirtschaft und Währung haben maßgeblich an der detaillierten Ausarbeitung der Sparprogramme für Griechenland und deren Überprüfung vor Ort mitgewirkt. Aber politische Initiativen, die über rein technische Hilfsarbeiten hinausgehen? Fehlanzeige!
RUTH REICHSTEIN lebt seit sechs Jahren in Brüssel. Sie ist Europakorrespondentin der taz und berichtet als freie Autorin auch für verschiedene Medien über die Politik der Europäischen Union und über Belgien.
Angst vor der Kanzlerin Merkel
Der Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn etwa spricht seit Monaten von Eurobonds. Er hat angekündigt, dass die Kommission prüfen will, ob dieses Mittel geeignet ist, zur Entspannung der Märkte beizutragen. Aber für einen konkreten Vorschlag hat es bisher nicht gereicht. Der Mut fehlt - nicht nur Rehn, sondern der gesamten Kommission. Sie will sich nicht anlegen mit der "mächtigsten Frau der Welt", Angela Merkel.
Auch die Europäischen Verträge lassen Eurobonds bisher nicht zu. Darin heißt es, dass die Euroländer nicht für die Schulden der anderen aufkommen sollen. Die Kommissare verstecken sich hinter diesen juristischen Hürden und lassen die Mitgliedsstaaten machen. Eigeninitiative ist ein Fremdwort in Brüssel. Dabei wäre die durchaus sinnvoll.
Auch wenn eine Vertragsänderung die Zustimmung der Mitgliedsstaaten erfordert, würde eine eindeutige Stellungnahme der EU-Kommission den Druck auf Berlin und die anderen nationalen Regierungen erheblich erhöhen. Früher oder später könnten sie sich der Forderung, die auch aus dem Europäischen Parlament kommt, nicht mehr widersetzen. Aber die Kommission gibt sich stattdessen mit dem Status des Sekretariats der Mitgliedsstaaten zufrieden.
Das kritisieren mittlerweile auch Abgeordnete im Europäischen Parlament. "Mehr Ernsthaftigkeit" bei der Bewältigung der Krise forderte zum Beispiel der konservative Österreichische Abgeordnete Othmar Karas kürzlich in einer Ausschussdebatte im EU-Parlament. Der deutsche SPD-Abgeordnete Udo Bullmann vermisst bei der Kommission "Stärke und Durchsetzungskraft". Dass es auch anders geht, zeigt die Vergangenheit: Die Macht der Mitgliedsstaaten hat einige Kommissionsmitglieder nicht daran gehindert, ihre Meinung laut und deutlich auszusprechen.
Mangel an Unterstützung
Schon 1969 hat der damalige französische Vizekommissionspräsident Raymond Barre erklärt, eine Währungsunion sei nur akzeptabel, wenn die Mitgliedsländer ihre Wirtschaftspolitik aufeinander abstimmten und sich gegenseitig auf die Hilfe und Unterstützung ihrer Partner verlassen könnten. Auch Jacques Delors,von 1985 bis 1995 Kommissionspräsident, hat die europäische Integration entscheidend vorangetrieben und sich dafür immer wieder mit den Regierenden angelegt: Er hat den Binnenmarkt durchgesetzt und den Grundstein für die Währungsunion gelegt. Nicht alle seine Ideen wurden umgesetzt, aber es ging voran. Zurzeit üben sich die Kommissare in vorauseilendem Gehorsam. Und wir werden Zeugen eines europäischen Stillstands.
Die Verantwortung dafür allein bei der Europäischen Kommission zu suchen wäre falsch. Sie hat es, zugegeben, nicht leicht: Mit 27 Mitgliedsstaaten ist die Kompromissfindung wesentlich schwieriger als zu sechst oder zu zwölft. Außerdem hatte Jacques Delors grundsätzlich das Vertrauen des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Heute dagegen verweigern Berlin und Paris der Kommission jegliche Unterstützung.
Die Behörde wird absichtlich klein gehalten, um die Souveränität der Länder nicht zu gefährden. Und weil die Eurogruppe eben nicht gleichzusetzen ist mit der gesamten Union, sind die Kompetenzen der Kommission stärker begrenzt. Aber selbst da, wo sie könnte, bleibt die Kommission untätig. Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit der totalitären Regierung in Ungarn: Obwohl die faktische Abschaffung der Pressefreiheit eindeutig den EU-Verträgen widersprach, leitete die Kommission kein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land ein - auf Druck der übrigen Regierungen.
Barroso spielt dieses abgekartete Spiel mit, und zwar auch aus Eigennutz. Während seiner ersten Amtszeit als Kommissionspräsident hat er bei den Mitgliedsstaaten bereits auf "lieb Kind" gemacht. Als Gegenleistung bekam er eine zweite Amtszeit, und jetzt zeigt er Merkel und Co, dass sie sich nicht getäuscht haben und er brav nach ihrer Pfeife tanzt.
Kein Ende der Misere abzusehen
Visionen fehlen - in den Hauptstädten und in Brüssel. Auf der Strecke bleiben die EU und letztendlich auch ihre Bürger, mit deren Geld ein Loch nach dem anderen gestopft wird, ohne dass ein Ende der Misere abzusehen wäre. Die Rettung des Euros ist kein Nebenjob. Deshalb gibt es nur einen Ansatz, um den Zusammenbruch des europäischen Projekts langfristig zu verhindern: Die Wirtschaftspolitik muss durch ein unabhängiges Gremium in Brüssel besser koordiniert und vom Europäischen Parlament kontrolliert werden.
Das würde nicht nur Entscheidungsprozesse beschleunigen, weil nicht mehr alle nationalen Parlamente bei jeder Haushaltsänderung zustimmen müssten, sondern es würde auch dafür sorgen, dass einzelstaatliche Interessen nicht mehr grundsätzlich wichtiger genommen werden als das europäische Gesamtprojekt.
Immerhin hat der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble jetzt geäußert, langfristig mehr Kompetenzen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf die Europäische Union übertragen zu wollen. Sogar eine Vertragsänderung würde er dafür in Kauf nehmen. Aber bisher scheint das kaum einer hören zu wollen.
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