Debatte Energiewende: Mehr grüner Ärger schadet nicht
Umweltschützer übertreiben es mit ihrer Kompromissfreude und spielen so den Nachhaltigkeitsfuzzis in die Hände. Es fehlt die Schlagkraft, dabei kann man jetzt einiges reißen.
H ört auf mit Versöhnung, liebe Umweltschützer. Sie bringt nichts. Gestern lud die Kanzlerin zum Energiegipfel, und wo war der Protest, dass es mit der Umsetzung hapert, dass die konventionelle Wirtschaft blockiert und blockiert? In knapp einem Monat steht in Rio de Janeiro der nächste Erdgipfel an. Die Staats- und Regierungschefs wollen der „nachhaltigen Entwicklung neuen Schwung verleihen“.
Von Protest rund um das Treffen keine Spur. Wie viele Kuschelgipfel soll es noch geben? Sicher, den Planeten nicht zu ruinieren, die Gesellschaft gerechter zu gestalten, dabei aber das ökonomische Wachstum nicht zu vergessen – dies alles drei zu haben wäre ungeheuer schön. Das Anliegen, das inzwischen allgemein mit dem Wort Nachhaltigkeit gelabelt wird, hat nichts an Berechtigung verloren.
Nur: Der Begriff erweist sich inzwischen als kontraproduktiv. Zu viel Harmonie auch. Der Ausstoß der gefährlichen Treibhausgase steigt und steigt. Riesige Flächen tropischer Wälder werden jeden Tag vernichtet. Der Fang von frei lebenden Fischen nimmt ab, denn ein Drittel der weltweiten Bestände gilt als überfischt.
Nötig sei eine tiefgreifende sozial-ökologische Transformation, forderte auch Ulrich Brand. Der Professor für internationale Politik an der Universität und Mitglied der Wachstums-Enquete des Deutschen Bundestags hat recht. Aber was heißt das praktisch? Wie kommt man voran? Selbstkritik tut not, und zwar von allen, die sich als Ökologen verstehen.
leitet das Inlandsressort der taz. Zuvor arbeitete sie im Parlamentsbüro. Seit 1996 beobachtet sie die Umwelt- und Wirtschaftspolitik der Regierung, insbesondere die Atom- und Energiepolitik.
Rüstungs- und Ölindustrie finden sich nachhaltig
Jürgen Maier vom Forum Umwelt & Entwicklung sagt: „Wir müssen wieder aggressiver und kritischer werden.“ Man sollte auf ihn hören. Das Versprechen, das Staats- und Regierungschefs auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 abgaben, war so verlockend. Die globalisierte Welt sollte eine gerechte werden, in der es sich auch in Zukunft noch gut leben lässt. Alles rechne sich. Alles werde partner-schaftlich. Die Idee nutzt sich ab.
Zwanzig Jahre später, zur Rio+20-Konferenz, findet sich die Rüstungsindustrie nachhaltig. Die Ölindustrie auch. Herzlichen Glückwunsch. Die Gegenseite vereinnahmt den Begriff erfolgreich für sich. Sie macht glauben, dass nachhaltig sei, wenn Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichrangig behandelt werden. Dass der Begriff einst der Forstwirtschaft entlehnt wurde, die der Natur den Vorrang lassen muss, um langfristig zu überleben, spielt keine Rolle mehr.
Die Umweltgemeinde hat in dem Moment verloren, in dem sie sich dem Drei-Säulen-Modell nicht laut genug widersetzt und klarmacht, dass die Ökologie den Rahmen setzt, in dem ökonomische und soziale Ziele verwirklicht werden. Den Umweltschützern ist die Hierarchie abhandengekommen und auch die Schlagkraft, Dabei waren sie so erfolgreich im Kampf etwa gegen die Müllberge, die Dünnsäureverklappung auf hoher See oder den sauren Regen. Waren.
Wie das passieren konnte? Man wollte es einfach zu gerne glauben: Der Planet werde sich durch kluge Technik retten, der Einsatz von Rohstoffen vom Wachstum abkoppeln lassen. Die Politik werde klüger. Ende der neunziger Jahre begännen rot-grüne Zeiten.
Kompromisspapiere
Tatsächlich beschäftigt Öko das politische Tagesgeschäft und Umweltschützer sitzen im Nachhaltigkeitsrat der Regierung. Sie schreiben mit an den Kompromisspapieren für die weltweiten Klimaverhandlungen. Doch die von den Konservativen laut verkündete Energiewende ist keine.
In Rio hatten alle, die sich zur Nachhaltigkeit bekannten, schließlich auch den Auftrag gegeben, den Kampf gegen die Erderwärmung in einem völkerrechtlichen Vertrag festzuschreiben. Doch die Diplomaten sitzen immer wieder zusammen und beschließen – zu wenig. Die Welt heizt mit Öl, Kohle, Gas die Erderwärmung weiter an. Die Regierungen räumen der Ökologie keine Priorität ein, der alten Wirtschaft schon.
Und die Umweltschützer? Sie sind ja selbst verstrickt in die Verhandlungsprozesse. Wer aber grün nicht nicht radikal denkt, sondern den politischen Formelkompromiss schon vorwegnimmt, muss im Kampf mit denen verlieren, die beliebige ökonomische Belange in Stellung bringen. Es geht eben nicht ohne Streit.
Öko fordern. Sich außerhalb stellen. Sich Gehör verschaffen. Das ist anstrengend – zumal der Klimawandel, die Energiewende, die Weltenrettung für schlichte Schwarz-Weiß-Botschaften zu kompliziert sind. Windräder drehen sich in der Landschaft, Stromtrassen werden durch die Natur gelegt.
Erneuerung der Energieversorgung
Ökologen müssen Zielkonflikte aushalten. (T. C. Boyle hat das in seinem neuesten Roman, „Wenn das Schlachten vorbei ist“, beschrieben. Darf man tausende Ratten töten, um auf einer Insel das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen?) Angela Merkel hat ihre einstige Rolle als Klimakanzlerin unter dem Eindruck der weltweiten Finanzkrise längst abgegeben.
Die Rio+20+Konferenz schenkt sie sich gleich ganz. Sie will zwar „nachhaltiges“ Wachstum, meint damit aber noch nicht einmal grün, sondern einfach langfristig. Die Umwelt braucht den Ohne-Wenn-und-Aber-Fürsprecher. Die Umweltlobby kann jetzt was reißen, nicht auf der kommenden Rio-Konferenz, aber zu Hause.
Sie muss zeigen, dass die Erneuerung der Energieversorgung – weg von Atom, Kohle und Öl, raus aus der Abhängigkeit von wenigen großen Konzernen – funktionieren kann, dass es Platz gibt für neue Hochspannungsleitungen oder Windkraftanlagen, dass Fehlentwicklungen vermieden werden.
Effizientere Fernseher reichen nicht
Denn es könnte die Politik in anderen Ländern verändern, wenn eine starke Industrienation den Umstieg schafft. Die Lobbyisten müssten sich dafür aber auch mal unbeliebt machen. Ja, es kann sein, dass die Strompreise steigen. Ja, nur mit effizienteren Fernsehern ist es nicht getan. Und ja, es ist unklar, wie sich das langfristig auf das Bruttosozialprodukt auswirkt.
Umweltschützer sind zuallererst für die Umwelt da. Die Abwägung mit anderen Lobbyisten muss die Politik treffen und sich für ihre Entscheidungen vor den Wählern rechtfertigen. Mit netten, leisen Worten kommt in der Politik niemand weiter.
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