Gewiss könnte man Angela Merkels jüngste Regierungserklärung als Ausdruck ihrer Hilflosigkeit interpretieren. Man könnte ihn aber ebenso gut als Zeichen ihrer Führungsstärke auslegen. Schließlich: Was zählt, wenn alle Debatten geführt sind, ist der Erfolg. Wer fragt noch nach Methoden, wenn der Jubel losbricht?
Nüchtern betrachtet, lässt mich die merkelsche Behauptung, Europa könne sich eine Reflexionsphase nicht leisten, eigentlich nur eins vermuten: Die Frau hat schlechte Berater. Es gibt offenbar doch noch schlimmeres, als Spindoctoren, die ausschließlich und ohne Rücksicht auf eventuelle Persönlichkeitsmerkmale ihrer Schützlinge den markig die Faust schwingenden Redner propagieren. Im Falle Merkel müssen berufserkrankte Brachialpropheten am Werke sein. Ihrer Klientin haben diese Leute offenbar nichts besseres zu raten, als dass sie sich irgendwelche Zweifel zumindest nicht öffentlich erlauben darf. Soll sie doch, bitteschön, nach Dienstschluss in ihr Kopfkissen heulen, die Kanzlerin! Hauptberuflich hat sie zielgerichteten Optimismus zu verbreiten. Sonst kommt sie womöglich zur Strafe als Zitat ins US-Fernsehen. 24 Stunden lang. Und da muss sie dann die größte denkbare Gefahr für den Fortbestand der Welt geben.
Frau Merkel Spin-These lautet: Das Vertragswerk kommt, die Frage ist nur, wann. Dabei kann es auch der Kanzlerin keinesfalls entgangen sein, dass Europa um eine Reflexionsphase keinesfalls herumkommen wird, wenn das so weiter geht. Es sei denn, die EU-Führung und mit ihr die führenden Köpfe der diversen Mitgliedsländer gäben sich die Blöße, die eigene Unfähigkeit einzugestehen und ihren Völkern das Maul zu verbieten.
Dass sie bei Bedarf auch zu diesem letzten aller Mittel greifen werden, die Führer Europas, bezweifle ich nicht. Die Frage allerdings, was ich mir von einer Volksabstimmung zum Thema „Was wollt ihr denn überhaupt“ verspreche, ist einen andere. Die EU-Politik ist für mich kein Kulturprogramm. Ein paar Gründe dafür sind im Artikel genannt worden. Kontrast allein ist mir persönlich deshalb dann doch entschieden zu wenig. Gerade weil es nicht danach aussieht, als würden die Führungskrääfte des womöglich irgendwann einmal vertragsveinten Europas die Ziele teilen, die Christian Semler ihnen ans Herz legen möchte.
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