Debatte EU-Verfassung: Irische Kurzsichtigkeit

Die EU-Verfassung wird zu Recht kritisiert. Was aber, wenn jetzt die kooperationsbereiten Länder ein neues Europa gründeten? Es ist Zeit für einen radikalen Neuanfang.

Sie haben es doch nur gut gemeint, die Basisdemokraten von der kleinen grünen Insel namens Irland. Sie wollten ihre Nachbarn in Europa lediglich darauf hinweisen, dass dieser Lissabon-Vertrag ein unverständliches Kauderwelsch ist, dass er zu wenig Schutz vor sozialer Demontage bietet und der militärischen Aufrüstung der EU keinen Riegel vorschiebt. Als ob das all diejenigen, die sich mit dem Vertragswerk befasst haben, nicht selber wüssten. Das quälende Ringen seit Anfang 2002 um eine neue Arbeitsgrundlage für die EU hat ja bereits gezeigt, dass schon die 15 Länder vor der Erweiterung nicht bereit waren, mehr Demokratie zu wagen. Eine EU mit 27 Mitgliedern ist es erst recht nicht.

Das sei kein Nein zu Europa, versicherte die irische Europaabgeordnete Kathy Sinnott nach dem gescheiterten Referendum, sondern ein Ja für ein besseres Europa. Nun wären alle Parteien aufgerufen, das europäische Projekt demokratischer, transparenter und berechenbarer für seine Bürger zu machen. Das hatten die Verfechter der französischen Nein-Kampagne vor drei Jahren auch verlangt, als die Verfassung in Frankreich gescheitert war. Auch sie hatten berechtigte Kritik an einem Vertragswerk geübt, das in der Kompromissmühle der Mitgliedsstaaten schon viele Federn hatte lassen müssen. Trotzdem enthielt es damals noch deutlich weniger Übergangsfristen und war vor allem deutlich lesbarer als der jetzt zur Ratifizierung anstehende Text.

Die Franzosen haben bis heute keine Gelegenheit bekommen, über ein demokratischeres, transparenteres und sozialeres Europa abzustimmen, als es die Verfassung ermöglicht hätte. Sie bekamen stattdessen einen schlechteren Vertrag, über den sie gar nicht mehr befragt wurden. Den Iren wird es genauso ergehen. Die Europabefürworter unter ihnen versichern nun trotzig, das sei doch gar nicht schlimm. Man müsse eben so lange mit dem Nizza-Vertrag weiterarbeiten, bis Europa reif sei für mehr Demokratie. Genau das sagen die Euroskeptiker in Großbritannien und Polen auch. Betrachtet man die Vorbehalte, die dem Lissabon-Vertrag von euroskeptischer und europafreundlicher Seite entgegengebracht werden, Punkt für Punkt, dann ist die geübte Kritik zumeist nicht haltbar. Die Behauptung etwa, Abtreibung werde in allen EU-Ländern legalisiert, ist genauso aus der Luft gegriffen wie der Vorwurf, alle Mitgliedsstaaten müssten sich an Rüstungsprojekten oder EU-Einsätzen ohne UN-Mandat beteiligen.

Die irische Nein-Kampagne warb unter anderem mit dem Argument, Irland werde mit dem Lissabon-Vertrag seinen Kommissar in Brüssel verlieren. Richtig ist, dass die Vertragsänderung dazu geführt hätte, dass ab 2014 nur noch jeweils zwei Drittel der Mitgliedsländer einen eigenen Vertreter in die Kommission entsenden. Bei 27 Mitgliedsländern wären das 18 Kommissare gewesen. Alle fünf Jahre hätte die Zusammensetzung wechseln sollen, sodass nicht nur kleine Länder, sondern auch Deutschland oder Frankreich zeitweise ohne Kommissar hätten auskommen müssen. Eine ähnliche Klausel steht übrigens auch schon im Nizza-Vertrag. Sie erlaubt 20 Kommissare, die ebenfalls rotieren sollen - und das nicht erst ab 2014, sondern schon vom kommenden Jahr an.

Möglicherweise werden die Regierungschefs nun einstimmig beschließen, dass in der neuen Kommission 2009 doch wieder jedes Land durch einen Kommissar vertreten sein soll. Wenn es darum geht, Posten zu schaffen oder zu erhalten, sind sich die Politiker bei allen inhaltlichen Differenzen ja doch immer schnell einig. Die Reaktion der Brüsselskeptiker darauf kann man sich ausmalen. Die gleichen Kritiker, die keinesfalls auf einen irischen Kommissar verzichten wollten, werden dann wieder Brüssels bürokratischen Wasserkopf anprangern.

Und damit liegen sie ja nicht einmal falsch. Wer weiß schon, was der rumänische Kommissar Leonard Orban, der offiziell für "Mehrsprachigkeit" zuständig ist, den ganzen Tag so treibt. Der irische Kommissar Charlie McCreevy hat zwar das in der EU äußerst wichtige Ressort für Binnenmarktfragen inne, doch ist sein Blick auf die Welt so neoliberal, dass die wenigsten irischen EU-Gegner daran ihre Freude haben dürften. Wem Arbeitnehmerrechte und öffentliche Dienstleistungen am Herzen liegen, dem müsste eigentlich kein irischer Kommissar in Brüssel lieber sein als dieser.

Das Nein in Frankreich vor drei Jahren kann ebenso wie das Nein jetzt in Irland zur EU-Reform als Protest gegen Sozialdumping, Globalisierung, Bürgerüberwachung und Aufrüstung im Kampf gegen den Terrorismus interpretiert werden. Doch Konkurrenz aus Ländern mit niedrigeren Sozialstandards, verstärkter Datenaustausch ohne Datenschutz und Auslandseinsätze ohne UN-Mandat werden ja nicht dadurch aus der Welt geschafft, dass der Lissabon-Vertrag geplatzt ist. Im Gegenteil.

Ein gestärktes Europaparlament hätte dafür sorgen können, dass diese Probleme öffentlich diskutiert werden. Es hätte mit der Reform erstmals das Recht erhalten, eigene Gesetzesvorschläge zu machen. 1 Million Unterschriften wären ausreichend gewesen für ein Bürgerbegehren, mit dem man die Politik hätte zwingen können, ein Gesetz auf den Weg zu bringen. Angesichts von 480 Millionen EU-Bürgern ist diese Zahl schnell erreicht; das Bürgerbegehren hätte ein realistisches politisches Instrument werden können.

Wenn nun ein Mitgliedsland dafür gesorgt hat, dass alle übrigen diese Verbesserungen nicht einführen können, hat das mit Demokratie wenig zu tun. Es ist vor allem für Spanien und Luxemburg bitter, die in einem Volksentscheid der Verfassung zustimmten und sich nur auf den schlechteren Lissabon-Vertrag einließen, um alle anderen ins Boot zu holen. Auch in den 13 Ländern, wo die Parlamente die Verfassung absegneten, wird man sich fragen, warum man nun weiter dem deutlich schlechteren Lissabon-Vertrag hinterherjagen sollte.

Vom Kommissionspräsidenten bis zur Merkel-Sarkozy-Achse plädieren alle dafür, den Ratifizierungsprozess in den noch ausstehenden acht Ländern weiterlaufen zu lassen, damit am Ende Irland isoliert in der Ecke steht und in einem zweiten Referendum den Patzer ausbessert. Als Beruhigungspflaster müssten weitere Protokolle und Erklärungen dem Vertragswerk beigefügt werden, die es noch unverständlicher machen werden. Außerdem gilt als wahrscheinlich, dass Tschechiens euroskeptische Regierung die irische Entscheidung als Vorwand nehmen wird, um die Ratifizierung abzusagen.

Anstelle eines realpolitischen "Weiter so" aber ist es jetzt wirklich Zeit für einen radikalen Neuanfang. Die 15 Länder, die sich zur EU-Verfassung bekannt haben, sollten die bestehenden Verträge kündigen und auf der Grundlage der Verfassung eine neue Union gründen. Sie würden sicher nicht lange unter sich bleiben. Binnen eines Jahres hätten bis auf Tschechien und Großbritannien alle wieder einen Aufnahmeantrag gestellt. Irland und Frankreich vermutlich zuallererst. DANIELA WEINGÄRTNER

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